Harnwegsinfekte: Komplizierende Faktoren

25.03.2024 | Medizin

Anatomische Anomalien, Entleerungsstörungen und Niereninsuffizienz sind Faktoren, durch die ein akuter Harnwegsinfekt als kompliziert eingestuft wird.  Auch bei Schwangeren und Männern wird stets die komplizierte Form angenommen. Die asymptomatische Bakteriurie hingegen gilt als unkompliziert und erfordert oft keine Behandlung.

Martin Schiller

Die akute, sporadisch auftretende oder wiederkehrende Infektion der Harnblase ohne begleitende Risikofaktoren wird bei der Frau als unkomplizierter Harnwegsinfekt eingestuft. Ausnahme: Schwangerschaft. Klassische Symptome der unkomplizierten Form sind Brennen beim Wasserlassen, imperativer Harndrang, Pollakisurie, Hämaturie und Schmerzen oberhalb der Symphyse. „Die Symptome des komplizierten Harnwegsinfektes äußern sich zusätzlich meist in Fieber und Rückenschmerzen“ sagt Univ. Prof. Shahrokh F. Shariat von der Universitätsklinik für Urologie am AKH Wien. Zudem gelten bestimmte Faktoren als komplizierend. Dazu zählen anatomische Störungen oder funktionelle Störungen im Harntrakt wie zum Beispiel Harnblasendivertikel, Nieren-/Harnleitersteine, Prostatavergrößerungen, Niereninsuffizienz, Entleerungsstörungen der Harnblase oder Harnblasenkatheter. Da es in der Schwangerschaft zu anatomischen und physiologischen Veränderungen der Nieren und der ableitenden Harnwege kommt, erfolgt die Einstufung des Infektes stets als kompliziert. Dies gilt auch bei Immundefizienz sowie bei Personen mit schlecht eingestelltem Diabetes mellitus. „Ein Harnwegsinfekt beim Mann wird ebenfalls immer als kompliziert eingestuft“, betont Shariat.

Eine asymptomatische Bakteriurie gilt als unkomplizierter Infekt. Zwar sind hier Bakterien im Harn nachweisbar; vielfach wird laut Shariat aber keine Therapie benötigt. Dies gelte für Frauen (auch postmenopausal) ohne Risikofaktoren, Diabetespatienten mit stabiler Stoffwechsellage und auch für Personen in Pflegeeinrichtungen, sofern anatomische Veränderungen ausgeschlossen werden können.

Frauen sind insgesamt in erhöhtem

Maße gefährdet, an einem Harnwegsinfekt zu erkranken. Dies hat laut Priv. Doz. Rainer Gattringer vom Institut für Hygiene und Mikrobiologie am Klinikum Wels-Grieskirchen, vielfältige Gründe: „Aufgrund der weiblichen Anatomie ist das Risiko einer Besiedelung der Harnröhre mit Darmkeimen höher als beim Mann. Bei postmenopausalen Frauen wiederum spielen hormonelle Veränderungen eine wesentliche Rolle in der Pathogenese.“ Maßgeblich ist der Abfall von Östrogen und eine daraus resultierende vaginale Atrophie. Symptome sind unter anderem ein vermehrtes Auftreten von Scheidentrockenheit und ein Anstieg des pH-Werts in der Vagina – beides Risikofaktoren für die Entwicklung eines Harnwegsinfekts und eines Rezidivs.

Antibiotika der ersten Wahl

Eine Antibiotikatherapie führt laut Literatur zu einem rascheren Abklingen der Symptome, ist wirksam zur Verhinderung einer Pyelonephritis und senkt das Komplikationsrisiko im Fall eines Rezidivs. Zur Antibiose der ersten Wahl zählen beim unkomplizierten Harnwegsinfekt Fosfomycin, Nitrofurantoin und Pivemecillinam.

Die empfohlenen Dosierungen lauten:

  • Fosfomycin: 3 g einmalig
  • Nitrofurantoin: viermal täglich 50 bis 100 mg für fünf Tage
  • Pivemecillinam: dreimal täglich 400 mg für drei bis fünf Tage

Bei Männern kann laut Shariat auch Trimethoprim zweimal täglich für sieben Tage eingesetzt werden. Nicht mehr indiziert sei beim unkomplizierten Harnwegsinfekt die Gabe von Aminopenicillinen und Fluorchinolonen wie Ciprofloxacin.

Beim komplizierten Harnwegsinfekt erfolgt die Therapie mit Amoxicillin und Aminoglykosiden oder Cephalosporinen der zweiten Generation plus Aminoglykosid oder mit Cephalosporinen der dritten Generation i.v. „Diese Therapie setzt eine gleichzeitige Behandlung der eigentlichen Ursache wie zum Beispiel Steine oder Prostatahyperplasie voraus“, merkt Shariat an.

Rezidive urologisch abklären

Anomalien, Abflussstörungen und Steinleiden begünstigen das Auftreten von Rezidiven besonders. „Primär sollte daher eine urologische Abklärung dieser möglichen Auslöser erfolgen“, sagt Gattringer. Als weitere Ursache komme außerdem Harnreflux (vesikorenaler Reflux) in Frage. Sekundär entsteht dieser neben chirurgischen Eingriffen durch eine neurogene Blasenfunktionsstörung, Harnröhrenverengung, Harnblasendivertikel, Überdehnung der Blasenwand, aber auch durch eine Zystitis selbst. „Aus dem Rückstau des Harns beziehungsweise fehlender Durchspülung ergibt sich ein hohes Risiko für bakterielle Aszension und Infekte der Harnwege“, erklärt Gattringer den Zusammenhang. Bei häufigen Rezidiven könnten jedoch auch gramnegative Bakterien dauerhaft eine Art Nische besiedelt haben und die wiederkehrenden Infektionen auslösen. Vor allem bei häufigen Rezidiven sollte verstärktes Augenmerk auf eine mikrobiologische Diagnostik gelegt werden. „Das ermöglicht eine bessere Steuerung der Therapie“, so Gattringer. Goldstandard ist diesbezüglich die Urinkultur.

Zur Rezidivprophylaxe steht eine Reihe von Optionen zur Verfügung, deren Wirksamkeit in Diskussion ist. Shariat stuft Studiendaten zu Cranberryprodukten als „inkonklusiv und daher nicht überzeugend“ ein. Produkte mit Cranberry könnten ebenso wie Präparate mit D-Mannose zwar versucht werden, Shariat informiere Patienten aber dahingehend, „dass eine Wirksamkeit nur im überschaubaren Rahmen zu erwarten ist“.

Eine gute Studienlage sieht der Experte für eine Wiederherstellung der vaginalen Mikrobiota durch Probiotika – dies könne auch zu einem gewissen vorbeugenden Effekt auf Harnwegsinfekt-Rezidive führen. Für Gattringer ist die Datenlage „zu dürftig“, um eine Empfehlung für den Einsatz von Probiotika auszusprechen.

Eine immunaktive Prophylaxe wird von Shariat als „wirksame Option in der Vorbeugung von Rezidiven“ eingestuft. Evidenz gebe es auch für den Einsatz von vaginalem Östrogen bei postmenopausalen Frauen. Für die Kurzzeit-Prophylaxe könne weiters Methenamin-Hippurat zweimal täglich angewendet werden. Als „schwach“ beurteilt Shariat hingegen die Datenlage zur Ansäuerung des Harns; in Einzelfällen sei ein positiver Effekt möglich.

Defekte der Harnblasenschutzschicht (Glykosaminglykanschicht, GAG-Schicht) können zu vermehrter bakterieller Adhäsion am Urothel führen. „Eine GAG-Ersatztherapie mit Hyaluronsäure oder Chondroitinsulfat kann sich in solchen Fällen als schützend für die Harnblase erweisen“, sagt Shariat, wenngleich er darauf verweist, dass es sich um eine invasive Therapie handelt.

Gattringer betont den Stellenwert ausreichender Flüssigkeitszufuhr und empfiehlt durchspülend wirkende Tees. Cranberry-Präparate, D-Mannose und Hyaluronsäure sollten als Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe ausgeschöpft werden, ehe man bei häufigen Rezidiven nach urologischer Abklärung eine antibiotische Prophylaxe erwägt. Diesbezüglich etabliert sei dreimonatige Einnahme von Nitrofurantoin. Auch Cotrimoxazol könne über einen längeren Zeitraum gegeben werden.

Schwierig zu beurteilen ist den Experten zufolge der Effekt von hygienischen Maßnahmen wie Händewaschen vor dem Toilettenbesuch: „Ob solche Maßnahmen signifikante Unterschiede bezüglich des Harnwegsinfektrisikos ergeben, lässt sich in Studien nur schwer zeigen“, kommentiert Shariat.

Risiko Blasenkatheter

Einen besonderen Risikofaktor stelle laut Shariat ein Blasenkatheter dar: „Nach rund einer Woche mit Blasenkatheter hat nahezu jeder Patient und jede Patientin Bakterien im Harn – gleichgültig, um welche Form oder Krümmung es sich handelt.“ Bei Symptomen wird im Regelfall eine Harnkultur angelegt und medikamentös therapiert. Treten jedoch keine Symptome auf und es erfolgt eine medikamentöse Behandlung, riskiere man Resistenzen. Bakterien seien auch 48 Stunden nach Entfernung des Katheters im Harn nachweisbar.


Stabile Resistenzraten in Österreich

Escherichia coli ist der häufigste Erreger erworbener Harnwegsinfektionen. „Die Vorgehensweise in der medikamentösen Therapie basiert auch auf den bisher nachgewiesenen Resistenzen“, sagt Priv. Doz. Rainer Gattringer. Die Resistenzlage sei bei nicht-invasiven Isolaten in Österreich ziemlich stabil. Der Österreichische Resistenzbericht AURES 2021 wies eine Ceph3-Resistenzrate von 5,5 Prozent aus. Ebenfalls niedrig ist die Resistenzrate für Fosfomycin, Nitrofurantoin und Pivmecillinam. Die höchsten Resistenzraten wurden für Sulfamethoxazol/Trimethoprim mit 19,2 Prozent verzeichnet. Die Rate für Fluorochinolone liegt bei 13,4 Prozent.


Rezidive stehen als mögliches Risiko für andere urologische Erkrankungen in Diskussion. Shariat schätzt diese Gefahr als „sehr gering“ ein. Ein Urothelkarzinom als sekundäre Erkrankung sei zwar möglich, die Wahrscheinlichkeit jedoch sehr niedrig. Allerdings könne ein Karzinom vorliegen, das bisher nicht noch nicht diagnostiziert war und sich als Harnwegsinfekt zeigt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2024