Frozen Shoulder: Geduld ist gefragt

10.05.2024 | Medizin

Friert das Schultergelenk nach und nach ein, stehen zuerst die Schmerzen im Vordergrund, gefolgt von aktiver und passiver Bewegungseinschränkung. Die Frozen Shoulder ist zwar selbstlimitierend, der lange Verlauf wird aber als sehr belastend erlebt.

Irene Mlekusch

Die Prävalenz für eine Schultersteife, auch Frozen Shoulder oder adhäsive Kapsulitis, liegt in der Normalbevölkerung bei zwei bis fünf Prozent. Personen zwischen 40 und 60 Jahren sowie Frauen sind häufiger betroffen. Mehr als zehn Prozent der Patienten, die aufgrund von Schulterschmerzen ambulant behandelt werden, lassen sich der Diagnose „Frozen Shoulder“ zuordnen. Ein beidseitiges Auftreten findet sich bei 20 bis 40 Prozent, allerdings zeitlich meist zwei bis drei Jahre versetzt.

Man unterscheidet die primäre idiopathische Frozen Shoulder mit plötzlich einsetzenden, einseitigen anterioren Schulterschmerzen von der sekundären reaktiven Form, die postoperativ oder posttraumatisch auftritt. „Bei der primären Form der Erkrankung liegt eine genetische Disposition vor, die Zusammenhänge sind aber noch nicht gänzlich erforscht,“ erklärt Gernot Aitzetmüller von der Klinik Diakonissen in Linz. Ein erhöhtes Risiko der Erkrankung findet sich bei einer positiven Familienanamnese und Zwillingen. Im Falle einer primären Frozen Shoulder besteht zudem ein signifikanter Zusammenhang mit einer HLA-B27-Positivität.

Als gesicherter Risikofaktor gilt Diabetes mellitus, wobei Betroffene im Durchschnitt fünf Mal häufiger an einer Frozen Shoulder leiden und eher einen gravierenderen Verlauf aufweisen. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit für ein beidseitiges Auftreten der Erkrankungen mehr als doppelt so hoch im Vergleich zur Normalbevölkerung. „Oft ist die Frozen Shoulder stoffwechselassoziiert“, merkt Priv. Doz. Stefan Fischerauer, Leiter der Sport-, Knorpel- und Gelenkchirurgie an der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie in Graz an. Als weitere Komorbiditäten wurden Schilddrüsenfunktionsstörungen, Morbus Dupuytren, Dyslipidämie, Morbus Parkinson, zerebrovaskuläre und kardiopulmonale Erkrankungen, Apoplex, Krebs-, Autoimmun- und Nierenerkrankungen diskutiert.

Jeder Schulterschmerz, der zu einer Bewegungseinschränkung führt, kann der Auslöser für eine sekundäre Frozen Shoulder sein. Häufig liegen Defekte im Bereich der Rotatorenmanschette oder eine Tendinosis calcarea zugrunde. Aitzetmüller nennt als mögliche Ursachen fehlverheilte Frakturen oder fehlplatziertes Osteosynthesematerial. Fischerauer dazu: „Fünf bis 30 Prozent der operierten Patienten oder Patienten mit einem Trauma haben ein Risiko, eine Frozen Shoulder zu entwickeln.“

Der charakteristische Verlauf erfolgt in drei Phasen. In der ersten Phase, dem „Freezing“, stehen die Schmerzen im Vordergrund. Der intensive Schulterschmerz kann diffus, in den Oberarm ausstrahlend und in der Nacht verstärkt sein. Die Einnahme von NSAR zeigt oft keine ausreichende Wirkung. Diese Phase kann wenige Wochen bis Monate dauern und geht mit zunehmender Bewegungseinschränkung in die zweite „frozen“ Phase über. Dabei lassen die Schmerzen nach und die Schultersteife steht im Vordergrund. Diese Phase erstreckt sich über mehrere Monate; mit zunehmender Dauer beginnt die Schultermuskulatur zu atrophieren. Durch eine Kompensation der glenohumeralen Bewegungseinschränkung über die Skapulatranslation kann es zu einer Irritation der skapulaführenden Muskulatur und Überbeanspruchung des Akromioklavikulargelenks sowie der Halswirbelsäule und -muskulatur kommen. Klinisch zeigt sich in der Folge oft das Bild eines überlagerten Zervikobrachialsyndroms mit bis in die Hand ausstrahlenden Schmerzen. In der dritten Phase, dem „thawing“, löst sich die Versteifung der Schulter langsam auf und es kommt zu einer Verbesserung der Beweglichkeit sowie einer weiteren Reduktion der Schmerzen. Die Zeitspanne bis zum vollständigen Auftauen der Schulter ist in der Literatur uneinheitlich. „Bei 94 Prozent der Betroffenen kommt es in mindestens zwei bis maximal neun Jahren zur Selbstheilung“, so Fischerauer: „20 bis 30 Prozent beschreiben leichte Restbeschwerden.“

Fischerauer sieht die Frozen Shoulder als eine rein klinische Diagnostik: „Es bedarf eines guten Verständnisses und taktilen Gefühls für die endgradige Spannung und die Anamnese ist wegweisend.“ Die Patienten präsentieren sich mit einem typischen Kapselmuster mit Einschränkungen der aktiven und passiven Beweglichkeit, wobei die glenohumerale ROM in alle Richtungen erschwert sein kann. Im Seitenvergleich zeigt sich eine deutliche Reduktion der ROM in mindestens zwei Ebenen, vor allem in der Außenrotation und der Abduktion. „Die klinische Diagnostik bezogen auf die Rotatorenmaschettentests ist einfach durchführbar und sehr wichtig, allerdings ist die Interpretation teilweise schwierig“, betont Aitzetmüller und ergänzt, dass die Untersuchung unbedingt am entkleideten Patienten durchgeführt werden soll. Denn die Gesamtabduktion könne durch die Mitbewegung der Skapula eine größere Beweglichkeit suggerieren als tatsächlich vorhanden. Fischerauer gibt zu bedenken, dass das Testen bei der überempfindlichen Schulter oft schwierig ist. „Die frühe Diagnose ist für den Heilungsverlauf wichtig“, merkt Aitzetmüller an: „Hat ein Patient länger als sechs Wochen starke Schmerzen und ist seine Schulter aktiv und passiv nicht mehr bewegbar, deutet das auf eine Frozen Shoulder hin.“

Eine subakromiale Lokalanästhesie kann zur Differenzierung einer Frozen Shoulder im Stadium I von einer akuten Bursitis subakromialis beitragen, da die Symptomatik der Schultersteife trotz Injektion des Anästhetikums bestehen bleibt. Fischerauer gibt zu bedenken, dass der klassische Verlauf bei der sekundären Form etwas abweichen kann: „Als Leitsymptom gilt der zunächst unauffällige Verlauf mit dann zunehmenden Schmerzen. Im weiteren Verlauf sind die Phasen bei der primären und der sekundären Frozen Shoulder gleich.“ Daher sei es unerlässlich bei der Diagnosestellung die zugrundeliegende Pathologie zu erheben.

Knöcherne Ursache ausschließen

Eine weitere Diagnostik mit bildgebenden Verfahren dient Fischerauer zufolge zum Ausschluss von Differentialdiagnosen und zeigt mögliche Pathologien, die parallel vorhanden sind. In jedem Fall sollte aber zum Ausschluss einer knöchernen Ursache der Bewegungseinschränkung ein Röntgen durchgeführt werden. Aitzetmüller fügt hinzu, dass eine unauffällige Bildgebung für eine idiopathische Frozen Shoulder typisch ist. Bei länger bestehender Frozen Shoulder kann sich eine Inaktivitätsosteopenie oder ein leichter Humerushochstand durch die Kapselschrumpfung finden. „Ein MRT kann unterstützende Hinweise zur Untermauerung der Diagnose liefern wie zum Beispiel eine Verdickung des Ligamentum coracohumerale,“ sagt Fischerauer und betont, dass die Bildgebung aber nicht den dynamischen Prozess der Erkrankung widerspiegelt. Aitzetmüller beschreibt im MRT etwas vermehrte Gelenksflüssigkeit, die dem synovialen Reizzustand geschuldet ist und Flüssigkeit in der Bizepssehnenscheide. Auch sonographisch lassen sich Veränderungen im Ligamentum coracohumerale, im Rotatorenintervall, im Recessus axillaris und im Verlauf der Bizepssehne darstellen. Bisher konnten allerdings keine einheitlichen Cut-Off-Werte festgelegt werden. „Oft werden radiologische Befunde operiert und nicht die Beschwerden des Patienten“, warnt Aitzetmüller: „Es ist viel Erfahrung nötig, um eine richtige klinische Diagnose zu stellen.“

Bisher gibt es kein standardisiertes Management zur Behandlung einer Frozen Shoulder. Aitzetmüller macht darauf aufmerksam, dass die Frozen Shoulder eine ernsthafte Erkrankung ist, die sich über Jahre erstrecken kann und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Patienten und dem behandelnden Arzt erfordert. Für Fischerauer ist die Edukation der Patienten relevant, da die Erkrankung einen langen Verlauf mit einer hohen mentalen Komponente hat. Beide Experten empfehlen einen phasenabhängigen individuell abgestimmten Therapieplan. Physio- und Schmerztherapie werden als häufigste konservative Maßnahme verordnet. „Die konservative Therapie verlangt ein stufenweises Herantasten und die Erkrankung kann sich bis zu drei Jahre oder noch länger hinausziehen“, so Fischerauer: „Das ROM kann wiederhergestellt werden, aber Schmerz-zustände können lange bestehen bleiben.“ Der Fokus sollte darauf liegen, was der Patient machen kann und nicht darauf, was zurzeit nicht möglich ist, denn die lange Dauer der Erkrankung nimmt die Psyche der Betroffenen in Anspruch; Fear-Avoidance-Beliefs führe zu weiteren Problemen.

Im ersten Stadium empfiehlt Aitzetmüller eine mehrwöchige orale Kortisontherapie: „Damit kann in etwa 80 Prozent der Patienten der Krankheitsverlauf erfolgreich unterbrochen und der fließende Übergang in die Einsteifung verhindert werden. Das Zeitfenster für diese Behandlung ist aber mit wenigen Wochen bis zu drei Monaten sehr schmal.“ Von invasiven schmerzhaften Therapieformen sei in der „Freezing“-Phase abzuraten, da es dadurch zu einer Schmerzzunahme und Verlängerung der Krankheitsdauer kommen kann. Die Schmerztherapie stehe an erster Stelle. „Die wochenlangen starken Schmerzen vor allem auch nachts, sowie die Einschränkung der Beweglichkeit sind sehr belastend für die Betroffenen und erfordern viel Geduld und Durchhaltevermögen“, beschreibt Aitzetmüller. Fischerauer rät davon ab im inflammatorischen Prozess zu operieren, doch kann in der Schmerzphase eine niedrigdosierte intraartikuläre Kortisoninjektion eine Verbesserung bringen.

Physiotherapie gegen Bewegungseinschränkung

Im zweiten Stadium wird der Bewegungseinschränkung mit gezielter Physiotherapie entgegengewirkt. Die Intensität der Physiotherapie sollte aber erst in der dritten Phase langsam erhöht werden; die Beübung der Kraft wird erst bei freier Beweglichkeit empfohlen. „Wurde der Patient mindestens drei Monate ohne merkliche Verbesserung der ROM physiotherapeutisch behandelt, besteht die Möglichkeit einer arthroskopischen Pankapsulotomie ohne Mobilisation“, merkt Aitzetmüller. „Die Erfolge zur Wiederherstellung der ROM stellen sich innerhalb weniger Wochen ein.“ Die Entscheidung für eine Operation sollte individuell mit dem Patienten getroffen werden. Fischerauer zieht erst nach neun Monaten eine arthroskopische Kapsulotomie mit oder ohne Mobilisation in Betracht. „Alleinige Mobilisationen unter Narkose sind jedoch aufgrund des hohen Risikos an iatrogenen Frakturen, Luxationen und Weichteilverletzungen obsolet“, weiß Fischerauer. Die Nachbehandlung der Arthrolyse bestehe wiederum aus einer suffizienten Schmerz-therapie und so früh als möglich konsequenter Physiotherapie. „Rezidive nach überstandener idiopathischen Frozen Shoulder sind sodann sehr selten.“ Im Stadium III empfiehlt Aitzetmüller nur mehr begleitende Physiotherapie zur Wiederherstellung der ROM, in diesem Stadium bestehe keine OP-Indikation.


Differentialdiagnosen

An erste Stelle der Differentialdiagnosen stehen Omarthrose, Subakromialsyndrom, Impingement, Bursitis, Tendinitis calcarea, Rotatorenmanschettendegeneration, ­defekte oder ­rupturen, chronische Luxationen und neuralgische Schulteramyotrophie. „Eine hochgradige Omarthrose und eine verhakte hintere Schulterluxation lassen sich einfach mit einem Röntgen ausschließen“, fasst Gernot Aitzetmüller zusammen. „Bei Verdacht auf eine chronische Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette sollte ein MRT durchgeführt werden.“ Schultersteife kann aber auch andere Ursachen haben wie Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Turmore, Myopathien, Weichteiladhäsionen und Hautkontrakturen oder somatoforme Störungen.

Pathogenese

Die Pathophysiologie der Schultersteife ist nicht vollständig geklärt. Bei einer Frozen Shoulder finden sich immunologische, entzündliche und fibrotische Veränderungen, die zu einer Kontraktur der glenohumeralen Gelenkkapsel mit vermindertem Kapselvolumen führen. „Bei den idiopathischen Formen findet sich eine Hyperaktivierung des Immunsystems mit low grade Inflammationen“, beschreibt Priv. Doz. Stefan Fischerauer. Im histologischen Befund zeigt sich eine Zunahme von Kollagen, Lymphzellinfiltraten und Proteoglykangehalt im Kapselgewebe sowie ein reduzierter IgA­Spiegel. Die übermäßige Expression von interzellulärem Adhäsionsmolekül 1 (ICAM­1) findet sich als Bestandteil des inflammatorischen Prozesses sowohl bei Patienten mit Frozen Shoulder als auch bei Diabetikern.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2024