Chronische Wunden im Alter: Komplexe Herausforderung

15.07.2024 | Medizin

Wundheilungsstörungen sind in der Geriatrie eine häufig auftretende und komplexe Herausforderung, die die Lebensqualität und Morbidität der Patienten beeinträchtigt. Ältere und vor allem demente Patienten kommen mit Wunden oft zu spät in die Versorgung.

Sophie Hanak

„Ungefähr ein Prozent der Bevölkerung leidet unter einer chronischen Wunde, mit steigendem Alter zunehmend“, erklärt Priv. Doz. Barbara Binder von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Universität Graz. Ab dem 80. Lebensjahr sei mit drei Prozent der Bevölkerung zu rechnen. „Wenn eine Wunde acht bis zwölf Wochen trotz adäquater Therapie nicht abheilt, ist sie chronisch“, präzisiert die Expertin. Die physiologischen Prozesse der Wundheilung sind bei älteren Patienten meist von unterschiedlichen intrinsischen und extrinsischen Faktoren beeinflusst. Verzögerungen bei der Wundheilung würden hauptsächlich durch altersbedingte Veränderungen wie eine verminderte Zellproliferation und eine verringerte Angiogenese verursacht, so Binder: „Schließlich ist die Immunantwort geschwächt und meist bestehen Komorbiditäten wie etwa Diabetes mellitus Typ 2, PAVK oder Polyneuropathie.“ So liege die Prävalenz des Diabetes mellitus bei über 60-Jährigen bereits bei 22 Prozent. Hinzu komme chronische Druckeinwirkung vor allem bei immobilen Patienten. „Eine bedeutende Ursache ist auch Mangel- und/oder Fehlernährung, der westliche Lebensstil und somit das metabolische Syndrom,“ ergänzt Binder. Zu den häufigsten chronischen Wunden zählen der Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum, das diabetische Fußsyndrom und Dekubitalulcera.

Die Therapie chronischer Wunden beim geriatrischen Patienten kann langwierig sein. Zu Beginn stehen eine exakte Diagnose und Behandlung der Grundkrankheiten: „Die Ursache der Wunde muss diagnostiziert werden, um die entsprechende kausale und symptomatische Therapie durchzuführen oder zu veranlassen.“ Bei Hinweisen auf eine venöse Ursache sollte eine farbcodierte Dublexsonographie durchgeführt werden, bei Verdacht auf eine arterielle Durchblutungsstörung eine ABI-Messung (arterieller Arm/Bein-Index). Weiters müssten laut Binder die Stoffwechsel lage, Medikamenten-, Allergie- und Schmerzanamnese bestimmt werden. Auch eine Beurteilung des Allgemein- und Ernährungszustandes sei zu empfehlen.

In weiterer Folge wird die lokaltherapeutische Wundversorgung in die Wege geleitet; das moderne Wundmanagement basiert auf einer phasengerechten Versorgung der bestehenden Wunden. Zu Beginn werden chronische Wunden mit neutralen Wundspüllösungen gereinigt.

Antiseptika werden im Falle einer infizierten Wunde und so kurz wie möglich eingesetzt. Bei Wundbelägen kommen zur Reinigung epithelschonende Faser-Pads zum Einsatz, während eine chirurgische Reinigung bei starken Belägen notwendig ist. Als Wundauflagen kommen abhängig von der Exsudatmenge Alginat- oder Hydrofaserverbände, Schaumstoffe oder Superabsorber zur Anwendung. Neue Technologien wie Kaltplasma oder kaltes gepulstes Rotlicht treiben den Heilungsprozess von Wunden voran.

Das Grundprinzip ist die feuchte Wundbehandlung, ausgenommen die periphere arterielle trockene Gangrän, wie Binder ausführt. Moderne Wundverbände könnten bis zu einer Woche auf der Wunde belassen werden. „Die Lokaltherapie muss dem jeweiligen Wundstadium angepasst werden und ist abhängig vom aktuellen Lokalbefund. Die Therapie muss immer individuell abgestimmt werden,“ erklärt Binder. Wichtig sei auf jeden Fall die Kompressionstherapie bei venöser Genese (PAVK ausgeschlossen) und eine Rekanalisierung der arteriellen Strombahn bei PAVK. Beim diabetischen Fußsyndrom sollte eine regelmäßige klinische Fußinspektion durchgeführt werden und auf eine Druckentlastung durch orthopädisches Schuhwerk geachtet werden. Der Decubitus ist die häufigste chronische Wunde bei multimorbiden und immobilen Patienten und eine regelmäßige Inspektion und Risikobewertung sei laut Binder auch hier „unumgänglich“. Zusätzlich bedürfe es Maßnahmen wie Mobilisierung, regelmäßige Lagerungswechsel und kontinuierliche Hautpflege.

Letzter Ausweg Amputation

Es gibt eine große Bandbreite von chronischen Wunden, die zu Amputationen führen können, wobei das diabetische Fußsyndrom die größte Gefahr darstellt, wie Priv. Doz. Afshin Assadian von der Abteilung für Chirurgie der Klinik Ottakring in Wien erklärt. Und weiter: „Häufig kommen die Patienten für eine Behandlung der Wunden erst sehr spät ins Krankenhaus. Das trifft besonders bei älteren und vor allem dementen Personen zu.“

Die größte Gruppe der Indikationsamputationen sei jene mit ausgeprägten Wunden, wo etwa bereits Entzündungen der Knochen auftreten, durch die eine Wiederherstellung nicht mehr möglich ist. „Dann gibt es die kleinere Gruppe der Patienten mit einem unkontrollierbaren ischämischen Schmerz. Diese Patienten weisen eine äußerst schlechte Lebensqualität auf und die Amputation ist dann die beste Lösung“, sagt Assadian. Die dritte Gruppe umfasse jene Patienten, die eine akute Verschlechterung der chronischen Wunde aufweisen, die zu einer lebensbedrohlichen Situation führt. Hier sei die Amputation als eine „Notfallmaßnahme“ erforderlich, wie Assadian berichtet. „Für geriatrische Patienten ist eine Amputation natürlich besonders schwierig und belastend, da oft gar keine Prothese mehr möglich ist und dann die Mobilität und Selbstständigkeit verloren gehen“, wie er weiter ausführt.

Um eine Amputation vorzubeugen, sei eine frühzeitige Betreuung chronischer Wunden maßgeblich. „Das Ziel muss es sein, Wunden so schnell wie möglich zu heilen, damit die Lebensqualität geriatrischer Patienten wiederhergestellt wird und vor allem eine gewisse Selbstständigkeit und Mobilität bewahrt werden können“, so Assadian abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2024