Antibiotika bei Kindern: Tendenz zur Zurückhaltung

14.08.2024 | Medizin

Grippale Infekte, Gastroenteritiden und Rhinosinusitis erfordern in der Regel keinen sofortigen Einsatz von Antibiotika im Kindesalter. Bei Otitis media wird empfohlen, abzuwarten, sofern es sich nicht um junge Säuglinge oder eine massive Entzündung handelt.

Martin Schiller

Kleinkinder haben jährlich rund sechs bis zehn Infekte. „In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um virale Infektionen und damit um keine Indikation für den Einsatz von Antibiotika“, sagt Priv. Doz. Hans Jürgen Dornbusch, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und Lehrbeauftragter der Medizinischen Universität Graz. Rund zwei Drittel der Kinder werden seiner Einschätzung nach mit Antibiotika übertherapiert. Eine sorgsame Abklärung und Zurückhaltung beim Einsatz von Antibiotika seien daher bei den allermeisten Infektionen empfohlen.

Bei „grippalen Infekten“ mit Fieber, Schnupfen und Husten ohne Atemnot ist laut Dornbusch zunächst kein Einsatz von Antibiotika empfohlen, sondern eine Re-Evaluierung der Situation bei Verschlechterung des Zustands des Kindes. Fieber kann auch Anzeichen für einen Harnwegsinfekt sein, wie Dornbusch erläutert: „Gerade in den ersten Lebensmonaten ist Fieber oftmals das einzige Symptom für einen solchen Infekt.“ Das beim Erwachsenen klassische Symptom des Brennens beim Urinieren könne vom Kind nicht benannt werden und häufiger Harndrang ist im Windelalter schwer erkennbar. „Das Kind ist eher weinerlich, die Windel weist oft einen üblen Geruch auf“, nennt Dornbusch andere mögliche, unspezifische Symptome. In solchen Fällen rät er zu Harnstreifentest und Harnkultur mit Keimidentifikation und Sensitivitätstestung für die weitere Abklärung. Nach positivem Streifentest (unter Berücksichtigung von Leukozyten, Nitrit, Eiweiß und pH-Wert) solle eine antibiotische Therapie unverzüglich begonnen und gegebenenfalls an das Ergebnis der Sensitivitätstestung angepasst werden. Keine Verschreibung von Antibiotika sei hingegen, mit Ausnahme einer Salmonellose im Säuglingsalter, bei einer Gastroenteritis erforderlich.

Eine häufige Erkrankung mit traditionell hohem, aber laut Dornbusch vielfach vermeidbarem Antibiotikagebrauch ist die Otitis media. Hier gelte eine Wait-and-see-Strategie. Ab einem Alter von sechs Monaten sollte ein Tag, ab zwei Jahren drei Tage beobachtet werden, ehe Antibiotika zum Einsatz kommen – „es sei denn, es handelt sich um eine massive Mittelohrentzündung“, fügt der Experte hinzu. Und er nennt ein weiteres Beispiel für Zurückhaltung bei Antibiotikagabe: „Nur bei einem Drittel der Kinder mit starker Rötung im Hals werden Streptokokken nachgewiesen und bei der Hälfte davon werden später Antikörper dagegen entwickelt – das bedeutet, dass nur ein kleiner Teil wirklich an einer Streptokokken-Angina erkrankt ist.“ Bei einer Halsentzündung würden Kindern so viel häufiger Antibiotika verabreicht als notwendig. Selbst, wenn ein Abstrich positiv auf eine bakterielle Infektion ist, rät Dornbusch zum Abwarten, sofern das Kind nicht schwer erkrankt ist. In der Regel klinge der Infekt nach vier Tagen wieder ab. Wachsamkeit im Hinblick auf seltene schwere Streptokokkeninfektion, unter anderem Pneumonie und Sepsis, sei allerdings angezeigt.

Eine Antibiotikaverschreibung auf elterlichen Druck sollte nicht erfolgen. „Diesen Druck gibt es vielfach und er erhöht sich häufig, wenn man in entlegenen Gebieten wohnt und eine Beobachtung nicht so engmaschig wie gewünscht erfolgen kann.“ In den USA etwa sei das Phänomen noch stärker ausgeprägt: „Das CDC bittet dort Eltern sogar bereits öffentlich, den Arzt nicht zur Antibiotikagabe zu drängen.“ Wie beurteilt Dornbusch den Parameter CRP im Rahmen der Abklärung zur weiteren Vorgangsweise? „Zur Erkennung systematischer bakterieller Infektionen handelt es sich um einen hilfreichen Labormarker. Jedoch ist dieser unspezifisch und erbringt keinen Beweis für eine bakterielle Infektion – hierzu sind weitere diagnostische ‚Mosaiksteine‘, insbesondere die entsprechende Klinik notwendig“, so der Experte. Im Falle einer Rhinosinusitis sei in den meisten Fällen kein Antibiotikum nötig, führt Dornbusch weiter aus. Zudem sei beim Säugling zu berücksichtigen, dass die übrigen Nasennebenhöhlen, abgesehen von den Siebbeinzellen, noch nicht fertig pneumatisiert sind. Eine Entzündung der Kieferhöhlen könne daher frühestens ab etwa drei Jahren auftreten, eine Stirnhöhlenentzündung sei erst ab einem Alter von sechs Jahren möglich.

Vor vier bedeutsamen bakteriellen Krankheitserregern können Kinder laut Dornbusch durch Impfungen geschützt werden: Haemophilus influenzae B, Meningokokken, Pneumokokken und Bordetella pertussis. „Es ist wichtig abzuklären, ob diese Impfungen durchgeführt wurden, um die Krankheitsbilder klinisch zuzuordnen oder eine entsprechende Diagnostik durchzuführen und eine Antibiotikatherapie gegebenenfalls ehebaldigst beginnen zu können“, sagt Dornbusch. Der Grundsatz „verhindern statt behandeln“ stehe jedenfalls im Vordergrund.

Therapie bei Pneumonie

Fieber, Dyspnoe, Tachypnoe, abgeschwächtes Atemgeräusch, Tachykardie und Dehydratation können auf eine Pneumonie beim Kind hinweisen. Auch ein Aufblähen der Nasenflügel beim Atmen ist möglich. „Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Symptomatik allerdings uncharakteristisch sein“, betont Dornbusch. Schwere Komplikationen seien selten, müssten aber jedenfalls im Blickfeld sein. Die ambulant erworbene bakterielle Pneumonie wird bei Kindern unter fünf Jahren aufgrund der bekannten Haupterreger (empirisch) primär mit Amoxicillin p.o. (± Clavulansäure) oder Cephalosporin behandelt. Bei Nichtbesserung erfolgt ein Wechsel auf Makrolide. „Kinder ab fünf Jahren erhalten zunächst Makrolide, bei Nichtbesserung wird auf Amoxicillin p.o. (± Clavulansäure) oder Cephalosporin umgestellt“, sagt Dornbusch. Bei atypischen Pneumonien mit Nachweis von Mycoplasmen, Chlamydien (oder Legionellen/typischerweise bei Immunsuppression) ist eine primäre Therapie mit Makroliden indiziert, Beta-Laktam-Antibiotika seien hier nicht wirksam.

Hinsichtlich des Einsatzes von Makroliden weist Dornbusch auf relativ häufige gastrointestinale Nebenwirkungen hin: „Erbrechen, Koliken und Durchfall sind möglich.“ Mit Probiotika könne man diesen adversen Effekten jedoch nicht entgegenwirken, weil Makrolide eine direkte, Motilin-artige Wirkung auf die Darmmuskulatur ausüben.

Resistenzen im Blick

Dornbusch warnt im Hinblick auf mögliche Resistenzentwicklung vor dem Fehlgebrauch von Makroliden außerhalb der Hauptindikation atypische Pneumonie. Und er nennt ein Beispiel für eine problematische Entwicklung: „Cefaclor war lange Zeit das Mittel der Wahl bei Harnwegsinfekten. Der hauptsächliche Verursacher Escherichia coli weist aber mittlerweile zu 60 bis 70 Prozent Resistenz dagegen auf. Die ursprüngliche Empfehlung wurde zwar abgeändert, aber Cefaclor wird mancherorts immer noch verabreicht.“ Generell gelte für die Dauer der Einnahme von Antibiotika auch im Kindesalter das Prinzip: so kurz wie möglich und so lange wie nötig. „Der frühere Grundsatz, eine Schachtel fertig zu nehmen, ist längst obsolet“, betont Dornbusch abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2024