Ärztetage Velden 2024: Adipositas – Auch an Operation denken

15.07.2024 | Medizin

Bei der Betreuung von Adipositas-Patienten kommt dem niedergelassenen Arzt für Allgemeinmedizin eine zentrale Rolle zu: Zum einen, um jene Patienten frühzeitig zu erkennen, die für eine bariatrische Operation infrage kommen, und zum anderen, um in der postoperativen Nachsorge rasch auf mögliche Alarmzeichen reagieren zu können. Bei den Ärztetagen in Velden widmet sich eine medizinische Fortbildung diesen Themen.

Andrea Riedel

Knapp sieben Adipositas-Operationen werden im Schnitt täglich in Österreich durchgeführt. „Doch egal, ob Y-Roux-Magenbypass, Omega-Loop-Magenbypass oder Schlauchmagen-Operationen: Die 2.500 Eingriffe pro Jahr repräsentieren gerade einmal zwei Prozent jener Personen, die die Voraussetzungen für einen bariatrischen Eingriff erfüllen würden“, sagt Ap. Prof. Priv. Doz. Daniel Moritz Felsenreich von der Abteilung für Viszeralchirurgie an der Medizinischen Universität Wien. Dieser kleine Anteil korrespondiere allerdings mit den meisten anderen europäischen Ländern, wie Felsenreich einräumt.

„Durch die geringe Inanspruchnahme operativer Möglichkeiten bleiben Chancen ungenutzt – sowohl für den Einzelnen als auch für die öffentlichen Gesundheitssysteme, die mit Management und Kosten von Adipositas-Begleit- und Folgeerkrankungen immer mehr zu kämpfen haben“, betont Felsenreich.

Niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin kommt bei der Bewältigung dessen, was laut WHO längst als Epidemie zu gelten hat, eine zentrale Rolle zu, so Felsenreich. Einerseits, wenn es um das frühzeitige Erkennen und Aufklären von „operablen“ Personen geht. Andererseits trage eine aufmerksame postoperative Betreuung, die rasch auf mögliche Alarmzeichen reagiert, wesentlich zum Behandlungserfolg bei – umreißt Felsenreich die Schwerpunkte seiner Vorträge bei den diesjährigen Ärztetagen in Velden.

„Die wenigsten Patienten werden derzeit von niedergelassenen Ärzten an die metabolische/bariatrische Chirurgie überwiesen. Geschätzte 70 bis 80 Prozent kommen auf eigenen Antrieb“, sagt der Experte. So kann es vorkommen, dass Betroffene erst dort erfahren, dass sie durch ihren Bodymass-Index für einen Eingriff (noch) nicht infrage kommen. Denn Österreich gehört laut Felsenreich zu jenen Ländern, in denen die Krankenkasse die Übernahme der Kosten für Adipositas-OPs und -Medikamente grundsätzlich an zwei Prämissen knüpft: entweder einen Mindest-BMI von 40 Kilogramm pro Quadratmeter oder 35 Kilogramm pro Quadratmeter, sofern bereits Beierkrankungen vorliegen und andere Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Nach aktuellem medizinischem Erkenntnisstand sollte eine Behandlung allerdings schon vorher zum Einsatz kommen, so Felsenreich weiter: „Die International Federation for the Surgery of Obesity and Metabolic Disorders IFSO hat den Mindest-BMI-Wert in ihren Richtlinien schon herabgesetzt: Ein Eingriff bei bestehenden Begleiterkrankungen ist nun bereits ab einem BMI von 30 in Erwägung zu ziehen.“ Diese Position wird sowohl von der Österreichischen Gesellschaft für Adipositas und bariatrische Chirurgie als auch von der Österreichischen AdipositasGesellschaft unterstützt, wie 2023 in einem gemeinsamen Konsensuspapier festgehalten wurde. Auf nationaler Ebene haben die Schweiz und andere Länder die niedrigeren Grenzwerte bereits übernommen.

Ein entsprechend hoher BMI und das Nichtansprechen auf Therapiemaßnahmen wie Lebensstiländerung oder Medikamente seien jedoch nur zwei von vielen Voraussetzungen für eine Operation. So spiele etwa auch die psychische Verfassung eine Rolle.

„Neben psychologischen und diätologischen Gutachten ist unter anderem eine Magenspiegelung erforderlich. Viele Adipositas-Patienten leiden nämlich unter gastroösophagealem Reflux, der durch die Wahl der richtigen OP-Methode gleich mitbehandelt werden kann“, erklärt Felsenreich. Auch ein erhöhter Konsum von Alkohol oder anderen Drogen beeinflusse die Wahl der OP-Methode beziehungsweise fließe in die Entscheidung darüber mit ein, ob überhaupt ein Eingriff durchgeführt werden kann.

Hinsichtlich der Altersgrenze sei die skelettale Reife entscheidend. Gerade für Jugendliche, bei denen Verhaltens- und medikamentöse Therapien versagt haben, biete die bariatrische Chirurgie die große Chance, Diabetes mellitus, Hypertonie etc. zu verhindern oder zumindest frühzeitig einzubremsen. „Diese jungen Patienten werden in eigenen Adipositas-Zentren behandelt, in denen nicht nur die OP, sondern auch die daran geknüpften Intensivprogramme durchgeführt werden, die eine nachhaltige Änderung des Lebensstils zum Ziel haben.“

Monitoren und Red Flags erkennen

Adipositas ist als chronische Erkrankung zu betrachten, die laut Felsenreich mit der OP nicht „geheilt“ ist. Um die durch die Operation erzielte Gewichtsreduktion langfristig zu sichern, Mangelzuständen vorzubeugen und Beierkrankungen unter Kontrolle zu halten, bedürfen Patienten lebenslanger Nachsorge. Im Zentrum stehen anfangs halb-, dann jährliche Blutanalysen: Bei Dysbalancen im Vitamin- und/oder Elektrolythaushalt sind entsprechende Nahrungsergänzungsmittel nachzudosieren. Es könne eine Zeit dauern, bis man sich an die richtige Dosierung herangetastet habe. „Wichtig ist auch“, so Felsenreich, „dass die betreuenden niedergelassenen Ärzte Alarmzeichen erkennen, die eine Abklärung im Spital erfordern. Beispielsweise krampfartige Schmerzen nach dem Essen, die über einen längeren Zeitraum immer wiederkehren: Bis zu welchem Punkt kann das als normale Nebenwirkung eines Magen-Bypasses gelten und wann ist eine umgehende Abklärung im Spital indiziert?“ Auch solche Szenarien sollen bei den Ärztetagen in Velden durchgespielt werden. Die Betreuung von Adipositas-Patienten sei auch nach einer Operation durchaus zeitaufwändig, was „derzeit im niedergelassenen Bereich noch nicht adäquat von der Krankenkasse abgegolten wird“, meint Felsenreich.

Ausblick: Neue Medikamente

Bei der medikamentösen Adipositas-Therapie sei derzeit ebenfalls einiges in Bewegung, weiß Felsenreich: „Viele der Medikamente, die bisher lediglich Diabetes-Patienten mit Adipositas verschrieben werden konnten, sind nun auch für Personen zugelassen, die, nur‘ adipös sind. Ob vor diesem Hintergrund eher die Zahl der Operationen oder jene der konservativen Therapien zunehmen wird, ist eine Frage, die noch nicht beantwortet werden kann.“27l.27.


27. Ärztetage Velden
25.
bis 31. August 2024

Medizinische Fortbildung „Adipositaschirurgie“ – 26. bis 28. August

  1. August: Indikationen, präoperative Abklärung und Nachsorge
  2. August: Adipositaschirurgische Eingriffe
  3. August: Outcome, Kurz- und Langzeitkomplikationen

Information und Anmeldung: https://www.arztakademie.at/velden


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2024