Psychotherapie-Gesetz: Absurder Sonderweg

25.02.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die Österreichische Ärztekammer und Vertreter von Fachgesellschaften warnen vor einer Fehlentwicklung durch den aktuell vorliegenden Entwurf für das Psychotherapiegesetz. Dieser würde entgegen seiner Intention die Qualität der Ausbildung verschlechtern und die Behandlungserfolge psychisch kranker Menschen gefährden.

 Sascha Bunda

„Eines soll hier gleich von Beginn an klargestellt sein: Die ÖÄK begrüßt die Neuregelung der psychotherapeutischen Ausbildung im Rahmen einer universitären Ausbildung“, unterstrich Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, im Rahmen eines Pressegesprächs. Ein aktuell vorliegender Gesetzesentwurf zeige aber eine verkehrte Herangehensweise, die weder den Patienten, noch der Forschung, noch dem System etwas bringe: „Eines der Kernprobleme ist die geplante künstliche Abtrennung der Psychotherapie von der psychosomatischen Medizin und der Psychiatrie. Das widerspricht dem internationalen Stand der Wissenschaft, wonach Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie geeint werden sollten und jeder Bereich vom anderen lernen soll“, sagte Steinhart.

Der österreichische Sonderweg sei auch insbesondere erstaunlich, „da die weltberühmtesten Psychotherapierichtungen von Wiener Ärzten kamen, wie Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor Frankl“, erinnerte der ÖÄK-Präsident. „Aber all diese internationalen Koryphäen hätten als Psychiater nach dem Gesetzesentwurf keine Lehrpraxisverantwortlichen für die Psychotherapieausbildung sein können, weil man eben völlig willkürlich die Psychotherapie von der Psychiatrie und der Psychosomatik abtrennen will. Und zwar mit einem metaphorischen Stacheldraht., damit es ja keine Berührungspunkte gibt “, zeigte Steinhart eine der Absurditäten des Entwurfes auf.

Aktuell erfolge die Versorgung mit qualifizierter Psychotherapie nicht nur durch Psychotherapeuten, sondern auch durch Ärzte mit psychotherapeutisch-medizinischer Qualifikation. Diese diagnostizieren, behandeln und betreuen bereits jetzt ihre Patienten entsprechend ihrer jeweiligen Qualifikation nicht nur somatisch, sondern auch psychosomatisch und psychotherapeutisch. „Das ist natürlich sinnvoll, weil die Mehrzahl an Krankheiten ja nicht nur körperliche, sondern auch emotionale Komponenten haben“, so Steinhart. Ebenso hätten sich die bereits bestehenden Gemeinsamkeiten bei Aus-, Fort- und Weiterbildung bewährt und würden erfahrungsgemäß zu deutlicher Qualitätsverbesserung und gegenseitigen Weiterentwicklungsideen führen. „Im vorliegenden Entwurf wird – weltweit einmalig, und aus gutem Grund einmalig – ein komplettes Parallelsystem zur Medizin und Psychiatrie geschaffen, mit eigenem Prüfungssystem ohne Ärzte, einer Aus-, Fort- und Weiterbildung ohne Ärzte und eigene Fachgesellschaften“, fasste Steinhart zusammen.

Diagnostik nur über Arzt

Diese künstliche Abtrennung greife deutlich in den ärztlichen Bereich ein, kritisierte Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und selbst Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. „Man will Psychotherapeuten – auch das international einmalig – bis auf die Medikation die gleichen Kompetenzen wie Psychiatern zugestehen, und das bei gleichzeitig deutlich kürzerer Ausbildung.“ Völlig über-sehen werde dabei eines: „Psychotherapie ist primär eine wirksame Behandlungsmethode, aber keine neue Diagnostik. Die Diagnostik, vor allem hinsichtlich einer möglichen Erkrankung, die durch einen Arzt behandelt werden muss, kann und darf nur durch Ärzte vorgenommen werden“, hielt Bayer den sinnvollen Status quo fest.

Ebenso stört Bayer die geplante Ungleichheit: „Während ein Psychiater erst nach sechs Jahren Studium und dann sechs Jahren Facharzt-Ausbildung erstmals frei niedergelassen behandeln darf, soll es Psychotherapeuten in Ausbildung schon ab Anfang ihrer Ausbildung, also nach fünf Jahren, unter – zumeist zeitlich und örtlich – getrennter Supervision möglich sein, zu behandeln.“ Die Verwissenschaftlichung der Psychotherapie sei zu begrüßen, aber internationale Standards und auch nur der Hausverstand müssten schon beachtet werden, fasste Bayer zusammen: „Mit Westentaschen-Psychiatern ist niemandem geholfen.“

Gleiche Standards notwendig

Im Gesetz solle bestimmt werden, dass „psychotherapeutische Versorgung als Krankenbehandlung bei akuten und chronischen Krankheitszuständen Teil des psychotherapeutischen Berufs sei“, hielt Johannes Wancata, em. Professor für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP), fest. Das wecke den Eindruck, dass Psychotherapie für alle Formen und Schweregrade aller psychischen Erkrankungen geeignet und indiziert sei. „Internationale Leitlinien beschreiben auf Basis wissenschaftlicher Studien, dass ausgewählte psychotherapeutische Interventionen bei bestimmten psychischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen, bei anderen psychischen Erkrankungen aber nur eine geringere Bedeutung haben“, so Wancata. Es werde versucht, eine „Psychotherapiewissenschaft“ zu postulieren, die explizit von der medizinischen Wissenschaft abgegrenzt wird. „Diese Psychotherapiewissenschaft soll die Grundlage für Diagnostik und Therapie von Erkrankungen bilden. Inhalt und Methodik dieser Wissenschaft bleiben jedoch völlig unklar. Krankenbehandlung abseits medizinisch-wissenschaftlicher Grundlagen ist jedenfalls abzulehnen“, unterstrich Wancata.

Verschwendung von Ressourcen

Die praktische Ausbildung „hat in psychotherapeutischen Versorgungseinrichtungen, in psychotherapeutischen Lehrpraxen sowie im niedergelassenen Bereich zu erfolgen“, heißt es im Entwurf. Dazu kommentierte Christa Rados, President elect der Österreichischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP): „Wenn Psychotherapeuten psychisch kranke Menschen behandeln sollen, ist es nötig, dass sie über die dafür notwendigen psychopathologischen, medizinisch-diagnostischen und therapeutischen Kenntnisse verfügen.“ In rein psychotherapeutisch ausgerichteten Behandlungseinrichtungen und in psychotherapeutischen Praxen würden allerdings meist nur ausgewählte Krankheitsbilder und kaum akut Kranke behandelt, sodass zumindest ein Teil der Ausbildung verpflichtend in Einrichtungen der psychiatrischen Krankenbehandlung stattfinden sollte.

Dem vorliegenden Gesetzesentwurf entsprechend müssten Ärzte im Anschluss an ihre Facharzt- oder psychotherapeutisch-medizinische Ausbildung zusätzlich die komplette praktische Ausbildung nach dem Psychotherapiegesetz absolvieren, zeigte sich Rados verwundert: „Diese nicht nachvollziehbare Verdoppelung von Ausbildungsinhalten wäre eine Verschwendung finanzieller und personeller Ressourcen.“

Forderungen

In der Stellungnahme zum Gesetzestext, die bereits dem Ministerium übermittelt wurden, sind folgende ÖÄK-Kernforderungen vertreten:

  • Ein abgeschlossenes Medizinstudium ist dem Abschluss des ersten AusbiIdungsabschnittes gleichzusetzen.
  • Fachärzte für Psychiatrie und Kinderpsychiatrie, sowie Ärzte mit entsprechender Spezialisierung bzw. mit PSY 3-Diplom müssen den Berufsangehörigen der Psychotherapie gleichgestellt werden und auf Antrag ohne Prüfung in die Berufsliste aufgenommen werden.
  • Die Ordinationen bzw. Gruppenpraxen dieser Ärzte sind psychotherapeutischen Lehrpraxen gleichzustellen.
  • Wissenschaftliche Fachgesellschaften für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (Psy-Diplome) vermitteln Qualifikationen, die sowohl dem wissenschaftIich-theoretisch fundierten psychotherapeutischen Zugang der Psychotherapiewissenschaften entsprechen. Diese Fachgesellschaften sind daher als gleichwertig einzustufen.
  • Klarstellung, dass hinsichtlich der Ausübung des psychotherapeutischen Berufs grundsätzlich immer nur die psychotherapeutische Behandlung gemeint ist, die immer durch einen Arzt anzuordnen sei.
  • Es muss klargestellt sein, dass Psychotherapie und die von Psychotherapeuten angewandten Therapien nur dort eingesetzt werden dürfen, wo es ausreichend Evidenz gibt.
  • Die ÖÄK muss weiterhin im Psychotherapiebeirat sowie im Gremium für BerufsangeIegenheiten mit je einem Vertreter für den extra- und dem intramuralen Versorgungsbereich sowie einem Vertreter der PSY 3-Diplome vertreten sein.
  • Aus Gründen der Qualitätssicherung und der Patientensicherheit ist es aus Sicht der ÖÄK unbedingt erforderlich, dass für die praktische Ausbildung im 3. Abschnitt eine Pflicht zur Ausbildung im psychiatrisch klinischen Setting im zumindest doppelt so großen Umfang wie im Entwurf vorgesehen verankert wird.

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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2024