ÖÄK-Regierungsprogramm: Übernehmen – anwenden – erfolgreich sein

10.09.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die Österreichische Ärztekammer präsentierte in zwei Pressekonferenzen ihr „Regierungsprogramm“ für die kommende Legislaturperiode, um es der Politik und den Sozialversicherungen näherzubringen. „Diesen Leitfaden wollen wir mit den künftig politisch Verantwortlichen gemeinsam und konstruktiv abarbeiten“, sagte ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart.

Sascha Bunda

Angesichts der zahlreichen Baustellen im österreichischen Gesundheitssystem ist die Weichenstellung, die am 29. September mit der Nationalratswahl erfolgt, entscheidend wie selten zuvor. Viele Probleme müssen umgehend angegangen werden. Die Österreichische Ärztekammer hat sich daher auf die Wahl 2024 besonders intensiv vorbereitet, um die politischen Entscheidungsträger bestmöglich dabei zu unterstützen, den richtigen Weg einzuschlagen. Ergebnis war das „ÖÄK-Regierungsprogramm“, das auch Bestandteil der jüngsten ÖÄZ-Sonderausgabe war und im Monat vor der Wahl aufgrund der Dichte der Inhalte in zwei Pressekonferenzen der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

„Wir möchten den künftigen politisch Verantwortlichen einen Leitfaden, ein ‚Regierungsprogramm‘, für die Gesundheitsversorgung der Zukunft präsentieren, den wir gerne mit ihnen gemeinsam und konstruktiv abarbeiten möchten“, betonte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Aktuell erlebe man negative Auswirkungen wie Ärztemangel in öffentlichen Spitälern und im kassenärztlichen Bereich, lange Wartezeiten für Termine in Kassenarztpraxen oder für Operationen in Spitälern, Aufnahmestopps in Kassenordinationen, das Vordringen privater Investoren in der Gesundheitsversorgung, etc. – „Der Fortbestand unseres solidarischen Gesundheitssystems ist also alles andere als gesichert. Das gefährdet insbesondere die vielen Menschen, die aufgrund eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten auf ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem angewiesen sind“, unterstrich Steinhart.

„Damit ausreichend viele Ärzte unserem solidarischen und sozialen Gesundheitssystem zur Verfügung stehen, muss sichergestellt werden, dass sie erstens in Österreich bleiben, und dass sie zweitens gerne in öffentlichen Spitälern und Kassenpraxen arbeiten“, brachte es Steinhart auf den Punkt. Österreich müsse also bei der Beschäftigung von Ärzten international konkurrenzfähig werden. Dafür sei eine Reihe von geeigneten größeren und kleineren Maßnahmen erforderlich, die attraktivere Rahmenbedingungen für den Arztberuf schaffen. Und nicht zuletzt werde sich die Ärzteschaft auch gegenaufkommende Tendenzen einer profit-orientierten Konzernisierung in der medizinischen Versorgung wehren. „Zahlreiche internationale Beispiele zeigen, dass solche Trends eine Verschlechterung der Versorgung befürchten lassen und die ärztliche Freiberuflichkeit bedrohen. Ärzte müssen ihre Patienten nach ausschließlich medizinischen Kriterien behandeln können und es darf zu keinerlei kommerziell motivierten Vorgaben durch Betriebswirte und Controller kommen“, so Steinhart.

Gesundheitskompetenz stärken

Eine der wichtigsten Säulen der Gesundheitsversorgung ist es, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken, idealerweise bereits in möglichst frühen Lebensphasen. Daher schlägt die ÖÄK vor, ein eigenes Schulfach „Gesundheitsbildung“ als verbindlichen Bestandteil in den Lehrplan zu integrieren. „Das kann so früh wie möglich geschehen, am besten schon im Volksschulalter. Wir stehen dafür jederzeit für Gespräche mit dem Unterrichtsministerium bereit“, so Steinhart.

Steinhart verwies exemplarisch auf das erfolgreiche Projekt „Med4School“, eine Initiative der Ärztekammer für Wien, der Wiener Krankenversicherungsträger und ihrer Kooperationspartner, die der Gesundheitsförderung in Volksschulen dient. Im Rahmen dieses vielsprachigen Projektes lernen Schüler, wie ihr Körper funktioniert, aber auch, wie wichtig ein intaktes Gesundheitswesen für die Gesellschaft ist. So wird auf einfache Weise Gesundheitskompetenz vermittelt. „Das Projekt läuft jetzt seit zwei Jahren an den Wiener Schulen und erhält von allen Seiten höchstes Lob“, resümierte Steinhart.

Generell soll der Präventionsgedanke stärker in allen Bereichen des Gesundheitswesens verankert werden: „Wir streben eine Weiterentwicklung der e-Card zu einer digitalen Gesundheitsvorsorgekarte an. Begleitend muss ein bundesweites Gesundheitsvorsorgeprogramm mit Anreizsystemen her, individuell angepasst an alle Altersgruppen. Der medizinische Erfolg des seit Jahrzehnten bestehenden und erfolgreichen Mutter-Kind-Passes, dessen 50. Geburtstag wir heuer feiern durften, soll dafür Pate stehen“, erklärte Steinhart.

„Ein wesentlicher Punkt in der zukünftigen Gesundheitspolitik ist die Abkehr von der Reparaturmedizin hin zur Vorsorgemedizin. Unser neues Modell des lebenslangen Gesundheitspasses ist die logische Weiterentwicklung des Erfolgsmodells Mutter-Kind-Pass: Er erhält alle Vorsorgeuntersuchungen und alle Impfungen für die jeweiligen Lebensabschnitte und wir knüpfen daran auch hohe Ziele“, erklärte Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Als Beispiel nannte er die Koloskopie, die bei der Früherkennung von Darmkrebs eine beeindruckende Erfolgsquote aufweist.

„Leider nehmen aber nur 10 Prozent der Versicherten die Vorsorge-Koloskopie wahr – wir setzen uns mit dem Gesundheitspass das Ziel, diese Quote schon in den ersten Jahren zu verdoppeln“, erklärt Wutscher. Auch bei anderen Vorsorgeuntersuchungen gebe es noch viel Luft nach oben: „Aktuell werden österreichweit über 1,1 Millionen Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt – warum soll nicht auch insgesamt eine Verdoppelung möglich sein?“

Lenkung der Patientenströme

„Wenn wir es dann auch noch schaffen, dass die neue Bundesregierung eine verbindliche Lenkung der Patientenströme umsetzt und damit eine langjährige Forderung der Österreichischen Ärztekammer, dann stünde das System auf viel sichereren Füßen als es jetzt der Fall ist“, betonte Steinhart. „Patientenlenkung ist eines der brennendsten Themen unserer Gesundheitsversorgung“, unterstrich auch Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. „Meine Vision ist eine Patientenlenkung, die beiden Seiten sofort hilft: Zum einen dem Patienten, der zur bestmöglichen ärztlichen Betreuung gelenkt wird, und zum anderen den Spitälern, deren Ambulanzen und folglich auch unsere Ärztinnen und Ärzte durch diesen Prozess massiv entlastet werden würden.“

„Patienten müssen über den Weg durch das System klar informiert werden“, forderte auch Edgar Wutscher. Dazu bedürfe es primär Anreizsysteme für die Einhaltung der vorgesehenen Versorgungspyramide. „Die Versorgungspyramide muss für Patientinnen und Patienten wie folgt logisch nachvollziehbar und klar sein: niedergelassener Allgemeinmediziner – niedergelassener Facharzt – Spitalsambulanz – stationäre Spitalsbehandlung“, postulierte Wutscher.

„Das Ziel muss sein, die Strukturen so auszubauen, dass jeder Patient einen Arzt des Vertrauens als zentralen Ansprechpartner im Gesundheitssystem benennen kann“, so Wutscher. Der Eintritt in die Spitalsambulanz erfolgt dann mit Überweisung durch niedergelassenen Facharzt oder Allgemeinmediziner mit Steuerung über die e-Card – ausgenommen sind natürlich Notfälle.

Voraussetzung dafür sei natürlich eine Stärkung des niedergelassenen Bereichs, etwa durch Flexibilisierung der Kassenverträge. Dazu zähle neben der Etablierung eines neuen, einheitlichen Leistungskatalogs im niedergelassenen Bereich eine leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, z. B. durch lebensphasengerechte Vertragsmodelle. „Es muss also sowohl eine Anstellung als auch eine Niederlassung parallel möglich sein“, sagt Wutscher. Zudem müsse es Ärzten ermöglicht werden, sich auf ihre medizinischen Kernaufgaben zu konzentrieren. Das bedeutet eine Reduktion von Belastungen, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -verpflichtungen sowie eine deutliche Reduktion von Bürokratie in Krankenhäusern und Ordinationen. Zudem müsste die Zuwendungsmedizin erweitert und die leistungsfeindlichen und realitätsfremden Deckelungen und Degressionen abgeschafft werden, so Wutscher, der sich auch gegen die Einführung eines leistungshemmenden Pauschalierungssystems und gegen berufliche Einschränkungen oder Zwangsvorgaben für Wahlärzte aussprach.

Auch in den Spitälern müssten die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden, betonte BKAÄ-Obmann Mayer: „Dienstpläne und Dienstformen müssen attraktiv sein und flexibel an die persönlichen Lebensumstände und Lebensphasen angepasst werden. Dazu gehört zum Beispiel auch die Möglichkeit zu schaffen, Nachtdienste in bestimmen Lebensphasen reduzieren zu können. Ein Wiedereinstieg nach Karenz und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben müssen gefördert werden – insbesondere durch flächendeckende Kinderbetreuungsmöglichkeiten in den Spitälern. Wenn wir den Ärzten bei der Arbeitszeit nicht entgegenkommen, das gilt insbesondere für die ganz jungen und die älteren Kollegen, dann wird es weiterhin dazu kommen, dass sie uns davonlaufen.“

Karriere im Spital

Gleichzeitig zum Ärztemangel im öffentlichen System, den es mit den erwähnten Maßnahmen zu bekämpfen gelte, gebe es aber auch innerhalb der Ärzteschaft einen Mangel, der extern kaum beachtet werde und schwer wiege, betonte Rudolf Knapp der in der zweiten Pressekonferenz Harald Mayer vertrat: „Es rollt ein Mangel an Primarärzten auf uns zu: Das Interesse, Primararzt zu werden, sinkt rapide. Diesen Umstand kompensieren die Spitalsträger mit Doppelt- oder Dreifach-Primariaten, um Engpässe zu verschleiern. Wir haben nicht nur das Problem, dass wir es kaum schaffen, ausreichend Jungärzte im Land zu halten – es möchte auch eigentlich niemand mehr im Spital Karriere machen, sondern so schnell wie möglich das öffentliche Gesundheitssystem verlassen. Wenn wir jetzt nicht auch hier schnell umdenken, droht dem Führungssystem auf Kosten der Versorgung der Kollaps.“ Knapp forderte: „Man muss auch neue Ideen andenken dürfen, etwa geteilte Abteilungsführungen oder Teilzeitmodelle mit klaren Spielregeln.“ Zudem sei ein wesentlicher Faktor Zeit für die direkte Weitergabe von Berufserfahrung und Expertise an die jungen Kollegen im Rahmen von Tutorien. „Nur wenn dafür Zeit geschaffen wird, werden wir auch künftig unsere Primariate wieder leichter und besser besetzen können“, sagte Knapp.

Digitalisierung – aber richtig

Um die Ärzte generell zu entlasten, fordert die Österreichische Ärztekammer auch eine umfassende, funktionierende Digitalisierungsoffensive mit Investitionen in die nationale Gesundheitstelematik-Infrastruktur in Form einer „e-Health-Milliarde“.

„Alles, was im Spital nicht mehr analog gemacht werden muss, sondern automatisch und digital erledigt werden kann, entlastet uns Ärzte, sagte Knapp. „In den meisten unserer Spitäler erfüllt die IT aber nicht das, das wir uns erwarten. Wir stehen gerne mit unserer Expertise bereit, um Digitalisierung zu pushen. Dazu gehört natürlich auch die digitale Vernetzung von extra- und intramuralem Bereich.“

In Dänemark zum Beispiel nutzt der niedergelassene Bereich die gleichen EDV-Systeme wie die Spitäler – und auch die Patienten, nicht nur die Ärzte, können jederzeit jede Information abrufen. „Es braucht Lösungen und Möglichkeiten der Digitalisierung, die zum Nutzen der Patientinnen und Patienten rasch in die medizinischen Prozesse einfließen“, unterstrich Knapp. „Auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir Ärzte in diese Prozesse und Entwicklungen einbezogen werden und dass die IT-Systeme nach unseren Anforderungen gebaut werden. Man darf nicht erwarten, dass sich die Ärzte an die Systeme, die sich IT-Experten ausgedacht haben, anpassen. Denn digitale Medizin soll eine Entlastung für die Ärzte sein – zum Wohle des Patienten.“

Während eine richtig gemachte Digitalisierung in der Medizin die Gesundheitsversorgung auf ein höheres Niveau heben könnte, sind die immer wieder zu hörenden Rufe aus der Politik nach mehr Medizinstudienplätzen in Österreich kein probates Mittel, um den Ärztemangel zu stoppen, unterstreicht der BKAÄ-Obmannstellvertreter: „Über noch mehr Absolventen aus Österreich freuen sich nur unsere Nachbarländer. Bis zu 30 Prozent der Absolventen werden in Österreich nie im solidarischen Gesundheitssystem versorgungswirksam. Ginge man mit ihnen anständig und wertschätzend um und würde man ihnen seitens der Spitalsträger sofort Angebote machen und Ausbildungsstellen anbieten, würden nicht so viele weggehen.“

Weiters fordert die ÖÄK eine EU-weite Quote von Mindeststudienplätzen pro EU-Mitgliedsstaat. Außerdem sollen künftig nur jene EU-Bürgerinnen und –Bürger einen Studienplatz in Österreich erhalten, die auch in ihrem Heimatland Zugang zu einem Studienplatz hätten.

Leichter geht es nicht

„Die Österreichische Ärztekammer versteht sich als Partnerin im Gesundheitssystem, die mit anpackt und die mit Innovationsgeist, Expertise und Handschlagqualität die großen Themen angeht. Wie auch immer die nächste Regierung aussieht, wenn diese Punkte der ÖÄK aufgegriffen und umgesetzt werden, wird es mit dem österreichischen Gesundheitssystem endlich wieder bergauf gehen“, resümierte Steinhart und forderte die Politik auf: „Übernehmen – anwenden – erfolgreich sein. Leichter als mit unserem Programm kann es eine Regierung gar nicht haben.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.9.2024