Kassenärzte: Nachhaltige Lösung

25.02.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die wohnortnahe Versorgung durch niedergelassene Kassenärzte weist Lücken auf. Die bloße Subvention von zusätzlichen Kassenstellen alleine ist keine nachhaltige Lösung, betont die Österreichische Ärztekammer.

Sophie Niedenzu

Zahlreiche Kassenstellen sind nach wie vor unbesetzt, besonders in der Allgemeinmedizin und in den Fächern Kinder- und Jugendheilkunde, Gynäkologie und Dermatologie fehlen Ärzte in der öffentlichen Versorgung. „Diese offenen Kassenstellen lassen sich auch nicht durch die vom Bund subventionierten, zusätzlichen Kassenstellen ignorieren“, sagt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte im Rahmen einer Pressekonferenz. Geht es nach dem „Österreich-Plan“ von Bundeskanzler Karl Nehammer, sollen zu den 100 noch weitere 700 neue Kassenstellen dazu kommen: „Grundsätzlich begrüßen wir die Schaffung neuer Kassenstellen, die wir als Österreichische Ärztekammer auch immer wieder gefordert haben“, sagt Wutscher. Die alleinige Ansage, neue Kassenstellen zu schaffen, führe jedoch zu keiner notwendigen Veränderung: „Eine nachhaltige Lösung der Versorgungsproblematik im öffentlichen, niedergelassenen Bereich benötigt ein ganzes Bündel an strukturellen Maßnahmen“, betont Wutscher.

Was die vom Bund geförderten Kassenstellen angehe, fehlten Details zur konkreten Umsetzung. Grundsätzlich entstehe durch die Förderung von bestimmen Kassenstellen eine Schieflage: „Während ein Gynäkologe für die Übernahme einer Kassenordination bis zu 100.000 Euro Startbonus erhält, erhält ein anderer Gynäkologe, der über die Bewerberliste der Ärztekammer zu einer Kassenstelle kommt, keine Unterstützung – das führt natürlich zu einer Ungleichbehandlung“, sagt Wutscher. Es habe bereits die Situation gegeben, dass Bewerbungen zurückgenommen wurden, weil Bewerber jetzt spekulieren würden, stattdessen eine geförderte Kassenstelle zu erhalten: „Diese Situation sollte schnellstmöglich geklärt werden“, so Wutscher. Daher fordert er, dass der Startbonus auf alle offenen Kassenstellen ausgebaut werden solle – und zwar über alle medizinischen Fächer.

Moderne kassenärztliche Leistungen

Der Startbonus sei ein Faktor, der kurzfristig helfe, Bewerber für offene Kassenstellen zu finden – aber nicht der alleinige. So müssten die kassenärztlichen Leistungen modernisiert werden. Die Bundeskurie niedergelassene Ärzte hat bereits vor Jahren einen einheitlichen Leistungskatalog, in Absprache und enger Zusammenarbeit mit den Bundesfachgruppen, entwickelt. „Nach unserer Präsentation des Leistungskataloges hat es eineinhalb Jahre gedauert, bis überhaupt eine Reaktion seitens der ÖGK gekommen ist“, sagt Wutscher. Die Bundeskurie sei bereit, jederzeit mit der ÖGK die Verhandlungen zu beginnen: „Natürlich wäre uns eine Umsetzung lieber heute als morgen recht. Es ist in einer modernen Kassen-medizin nicht vertretbar, dass Patienten bundeslandabhängig unterschiedliche Leistungen erhalten“, betont Wutscher. Moderne Leistungen und eine leistungsbezogene Honorierung ohne Limits und Degressionen würde das Kassensystem nicht nur wieder attraktiver für niedergelassene Ärzte machen, sondern auch die wohnortnahe Versorgung stärken und die Spitäler entlasten.Vorbild sei hier der jüngste Abschluss mit der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS). Neben einer Honorarerhöhung über viele Leistungen wurden zusätzliche Leistungen aufgenommen, darunter etwa die First-Line-Sonographie bei Allgemeinmedizinern, die Osteoporosemessung oder auch die Tumornachsorge bei malignen Hauterkrankungen. Darüber hinaus wird die Vorsorgemedizin weiterhin ausgebaut: „Dieses mit der SVS geschaffene Gesamtpaket ist innovativ, enthält neue Leistungen und geht mit dem Vorsorgeschwerpunkt auch mit der Zeit“, fasst Wutscher zusammen: „Das Verhandlungsergebnis kommt der Gesundheit der Patienten sehr zugute, daher bleibt zu hoffen, dass diese integrierten modernen Leistungen auch Vorbildwirkung für den Abschluss mit anderen Krankenkassen haben werden.“

Mehr Flexibilität bei Altersgrenze

In Zeiten, in denen so viel Bedarf an Kassenärzten bestehe, solle auch die Altersgrenze für Verträge fallen, ergänzt Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte. Die Österreichische Ärztekammer setze hier auf Freiwilligkeit: wer länger arbeiten möchte, solle das können. Unter der Voraussetzung, dass es keinen Nachfolger für die Kassenordination gebe: „Sobald es jemanden gibt, der die Kassenordination übernimmt, ist klar, dass die Stelle selbstverständlich dem Nachfolger überlassen wird“, sagt Bayer. In der aktuellen Situation helfe jede Kassenstelle, die man besetzt halten könne. Die Aufhebung der Altersbeschränkung brächte noch weitere Vorteile für alle Beteiligten. „Wir verlieren mit jeder Pensionierung einen riesigen Erfahrungsschatz. Wenn dieser noch länger den Patienten sowie – etwa im Rahmen einer Gruppenpraxis – den jungen Ärzten zur Verfügung stünde, könnten viele davon profitieren“, betont Bayer. Es sei aber klar, dass die Aufhebung der Altersgrenze zwar kurzfristig helfe, aber keine nachhaltige Lösung für den Kassenbereich sein kann: „Grundlegende Verbesserungen wie die Flexibilisierung des Kassenvertrages, der Abbau der Bürokratie, die Abschaffung von leistungsfeindlichen Hemmnissen wie Limitierungen und Degressionen sind neben dem einheitlichen Leistungskatalog nötig, um die Situation nachhaltig zu verbessern“, sagt Bayer.

Überrascht zeigt sich Bayer über die Begründung, warum der Gesundheitsminister die Altersgrenze nicht abschaffen möchte. Argumentiert habe er nämlich, dass bei Unterversorgung ohnehin Ausnahmen möglich seien und dass Kassenärzte ja als Wahlärzte weiterarbeiten könnten: „Derselbe Minister möchte die Zahl der Wahlärzte aber reduzieren und die Regierung fördert Kassenstellen mit bis zu 100.000 Euro“, kritisiert Bayer: „Aber engagierte Kassenärzte sollen Wahlärzte werden – das passt nicht zusammen.“

Fördern, statt verpflichten

Anstatt Anreize zu schaffen und die Kassenmedizin zu fördern, gebe es immer wieder Tendenzen, Wahlärzte zu verpflichten: „Das ist die falsche Richtung“, ist Bayer überzeugt: „Die Bedingungen für ein System zu verschlechtern, mit Zwängen und Verpflichtungen zu drohen, wird die Ärzte nicht verstärkt in die Kassenmedizin bringen“, ist er überzeugt. Umfragen hätten gezeigt, dass Wahlärzte grundsätzlich in einen Kassenvertrag wechseln würden: „Sie möchten im öffentlichen Gesundheitssystem tätig sein, aber unter anderen Bedingungen als die derzeitigen“, sagt Bayer.

Was die Förderungen in der Kassenmedizin angehe, sei grundsätzlich zu begrüßen, dass Österreich nun die EU-Förderung der Primärversorgung weiter geöffnet habe. Die EU stellt im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans 2020-2026 100 Millionen Euro für die „Attraktivierung und Förderung der Primärversorgung“ zur Verfügung. Bislang konnte diese Förderung nur für Primärversorgungseinheiten beantragt werden. Seit Jänner können nun auch Gruppenpraxen für Allgemeinmedizin sowie für Kinder- und Jugendheilkunde eine Förderung beantragen. Voraussetzungen sind eine wöchentliche Mindestöffnungszeit von 40 Stunden, die Einbindung von diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal in der Ordination, das Angebot von Hausbesuchen sowie die Teilnahme an Disease-Management-Programmen. Gefördert werden können vor allem Kosten für den Neu-, Um- und Ausbau von Gruppenpraxen sowie die Kosten für medizinische Ausstattung: „Das ist ein Teilerfolg, denn natürlich wäre es ideal, wenn auch Einzelordinationen auf diesen Topf zur Förderung der Primärversorgung zugreifen könnten“, sagt Bayer.

Auch hier stelle sich die Frage, was nach Auslaufen der Förderung geschehe: „Hier braucht es Planungssicherheit“, betont Bayer.


Zusammenfassend fordert die Bundeskurie folgende Maßnahmen zur Förderung der Kassenmedizin:

  • Keine Parallelstruktur von geförderten Kassenstellen vs. nicht geförderten – Startbonus für alle offene Kassenstellen, klare Umsetzungsrichtlinien
  • Moderne kassenärztliche Leistungen, an die aktuellen Möglichkeiten in der Niederlassung angepasst, keine Limitierungen und Degressionen
  • Umsetzung des einheitlichen Leistungskatalogs
  • Abschaffung der Altersgrenze für Kassenstellen unter bestimmten Umständen
  • Keine Verpflichtung von Wahlärzten, sondern Förderung der Kassenmedizin
  • Klare Regelung bei Auslaufen von Förderungen

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2024