Interview Edgar Wutscher: „Lieber heute als morgen“

25.01.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Tiroler Allgemeinmediziner Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, spricht im Interview mit Sophie Niedenzu über Erfolge im vergangenen Jahr und zukünftige Änderungen für niedergelassene Ärzte.

Welche Ziele haben Sie sich für 2024 gesetzt? Wir arbeiten täglich im Gesundheitsbereich und diese Expertise gilt es bestmöglich weiterzugeben. Vergangenes Jahr sind wir leider bei der Gesundheitsreform von der Politik vielfach ignoriert worden. Glücklicherweise haben wir es dann mit politischem und öffentlichem Druck geschafft, viele kritische Entwicklungen abzufangen oder zumindest abzufedern. Wir konnten die beschränkenden Zeitvorgaben zur Einführung des neuen Gesamtvertrags mit der Gesundheitskasse abwenden und haben die Möglichkeit, zumindest über den regionalen Strukturplan ein Stellungnahmerecht vor Beschlussfassung in Anspruch zu nehmen und uns über die Landesgesundheitsplattformen einzubringen. Damit können wir die Gesundheitspolitik in Teilbereichen mitgestalten. Für die Zukunft müssen wir beständig daran arbeiten, dass wir frühzeitig als Experten in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Dazu müssen wir auch konkrete Vorschläge an die Politik liefern. Wir müssen auch weiterhin bestrebt sein, innerhalb der Österreichischen Ärztekammer ebenso wie in der Außendarstellung einheitlich aufzutreten.

Wie sehen Sie den geplanten Ausbau von Primärversorgungseinheiten, der auch heuer voranschreiten soll? Primärversorgungseinheiten können, insbesondere in Ballungszentren, eine sinnvolle Ergänzung des Angebots für Patienten sein. Erfreulich ist auch, dass die EU-Förderung der Primärversorgung nun auch weiter geöffnet wurde. Die EU stellt im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans 2020-2026 100 Millionen Euro für die „Attraktivierung und Förderung der Primärversorgung“ zur Verfügung. Bislang konnte diese Förderung nur für Primärversorgungseinheiten beantragt werden. Wir haben immer wieder gefordert, dass die Kriterien hier geöffnet werden, denn Primärversorgung geschieht ja nicht nur in Primärversorgungseinheiten, sondern ebenso in Einzel- und Gruppenpraxen. Seit Jänner können nun auch Gruppenpraxen für Allgemeinmedizin sowie für Kinder- und Jugendheilkunde eine Förderung beantragen. Voraussetzungen sind eine wöchentliche Mindestöffnungszeit von 40 Stunden, die Einbindung von diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal in der Ordination, das Angebot von Hausbesuchen sowie die Teilnahme an Disease-Management-Programmen. Gefördert werden können vor allem Kosten für den Neu-, Um- und Ausbau von Gruppenpraxen sowie die Kosten für medizinische Ausstattung. Das ist ein Teilerfolg – natürlich wäre es ideal, wenn auch Einzelordinationen auf diesen Topf zur Förderung der Primärversorgung zugreifen könnten.

Was wird sich für niedergelassene Ärzte ändern? Die im Dezember beschlossene Gesundheitsreform sieht vor, dass Wahlärzte ab 2026 ans e-Card-System angebunden und das e-Rezept verwenden sollen. Hier ist es wichtig, dass wir auch in der Umsetzung eingebunden sind, um die Vorstellungen der Wahlärzte mit einfließen zu lassen. Niedergelassene Ärzte müssen außerdem zukünftig verpflichtend codieren – allerdings haben wir in den Verhandlungen erreicht, unsere Vorstellungen mit einzubringen. Ursprünglich wollte man die Art der Codierung über die Köpfe der Ärzte hinweg entscheiden, die im Entwurf ursprünglich gewählte Formulierung einer Codierung nach ICD-10-Standard ist aber für den Arbeitsalltag im niedergelassenen Bereich untauglich. Man kann ein Codierungssystem, das zur Abrechnung in den Spitälern verwendet wird, nicht Eins-zu-eins in den niedergelassenen Bereich übertragen. Aufgrund der konstruktiven Verhandlungen konnte erreicht werden, dass Ärzte zukünftig eine Diagnosecodierung nach verordneter Klassifikation verwenden.

Eine weitere Änderung betrifft den Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin, der heuer Realität werden soll. Ja, es gibt einen Gesetzesentwurf und die Umsetzung sollte hoffentlich dann rasch erfolgen. Das wird auch den Beruf des Allgemeinmediziners aufwerten, was dringend nötig ist. Ebenso müssen andere Fächer wie die Kinder- und Jugendheilkunde und die Gynäkologie soweit aufgewertet werden, dass wieder mehr Ärzte als Kassenärzte tätig sind. Das ist eine der größten Herausforderungen, die uns erwarten: Der Kassenärztemangel muss behoben werden. Da geht es nicht nur um die Aufwertung über die Ausbildung, sondern auch um moderne, den heutigen Leistungen angepasste Honorarkataloge sowie eine gewisse Flexibilität bei den Kassenverträgen.

Apropos Leistungen: Wann wird der einheitliche Leistungskatalog umgesetzt? Wir haben bereits vor Jahren den einheitlichen Leistungskatalog, in Absprache und enger Zusammenarbeit mit den Bundesfachgruppen, entwickelt. Dieses Megaprojekt, das die Bundeskurie nach jahrelanger Arbeit erfolgreich abgeschlossen hat, wird erst jetzt wieder thematisiert. Nach unserer Präsentation des Leistungskataloges hat es eineinhalb Jahre gedauert, bis überhaupt eine Reaktion seitens der ÖGK gekommen ist. Wir haben als Bundeskurie dann unverzüglich mit Verhandlungen begonnen, jetzt liegt es an der ÖGK, zeitnah weitere Termine zu nennen. Natürlich wäre uns eine Umsetzung lieber heute als morgen recht. Es ist in einer modernen Kassenmedizin nicht vertretbar, dass Patienten bundeslandabhängig unterschiedliche Leistungen erhalten. Befremdlich in diesem Zusammenhang finde ich die Aussage von ÖGK-Obmann Andreas Huss, wonach der Versorgungsauftrag beinhaltet, dass alle Ärzte in Österreich verbindlich alle Leistungen des zukünftigen Leistungskataloges anbieten müssen. Das ist einfach nur realitätsfremd. Eine Hausarztpraxis im städtischen Gebiet wird nicht die gleiche Unfallversorgung mit Operationen und Gipsfixationen leisten wie eine Hausarztpraxis in einem Tiroler Skigebiet. Leider hat die ÖGK den positiven Gesprächspfad im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen verlassen. Es wäre wichtig, auf diesen wieder zurückzukehren und endlich wieder gemeinsam an der optimalen Versorgung der Versicherten zu arbeiten.

Wie beurteilen Sie die Meldung, wonach sich laut der ÖGK 100 Allgemeinmediziner und 200 Fachärzte für die neu geschaffenen 100 Kassenstellen vorgemerkt hätten? Grundsätzlich ist das natürlich positiv, aber noch keine umfassende Jubelmeldung. Unabhängig von den 100 zusätzlichen Kassenstellen sind nach wie vor fast 300 Stellen unbesetzt – und die lassen sich nicht durch die aktuellen Bewerbungen ignorieren. Der Startbonus von bis zu 100.000 Euro sollte auf alle offenen Kassenstellen ausgebaut werden. In Kombination mit dem umgesetzten einheitlichen Leistungskatalog und einer leistungsbezogenen Honorierung ohne Limits und Degressionen wird das Kassensystem wieder attraktiver für niedergelassene Ärzte.

Wohin soll sich die Vorsorgemedizin entwickeln? Die Vorsorgemedizin ist leider immer noch stark vernachlässigt. Der Grundpfeiler einer modernen Medizin ist aber ein attraktives Vorsorgemodell. Die SVS ist Vorreiterin, was den Fokus auf die Vorsorge angeht. Die von ihr definierten Gesundheitsziele unterstützen wir in der Praxis. Der Juniorcheck beispielsweise soll weiter ausgebaut werden, auch wird die Beratung der Generation 70 Plus stärker in den Fokus rücken. Grundsätzlich müssen die Vorsorgeleistungen modernisiert und stärker wahrgenommen werden. Was das Brustkrebsführerkennungsprogramm angeht, bemühen wir uns um einen Ausgleich der Honorardifferenzen bei den Radiologen. Wichtig ist auch der Ausbau des öffentlichen Impfprogramms. Leider waren vergangenes Jahr mit einer Million bestellten Impfdosen im Rahmen des Impfprogramms zu wenig Impfstoffe verfügbar, weswegen viele Patienten den Impfstoff letztendlich doch wieder aus eigener Tasche in der Apotheke kaufen mussten. Ich hoffe doch sehr, dass das heuer besser funktionieren wird. Eine Erweiterung des Impfprogramms auf andere Impfungen wäre die richtige Entwicklung. Eines der Erfolgsmodelle der Vorsorgemedizin ist der Mutter-Kind-Pass – dieser zeigt sehr eindrücklich, wie Vorsorgeuntersuchungen rasch Verbesserungen bei der Gesundheit von werdenden Müttern sowie den Kindern bewirken. Wichtig ist hier, dass die Tarife valorisiert sowie Honorarpositionen neu bewertet werden, ebenso werden moderne Untersuchungsmöglichkeiten neu eingeführt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2024