Interview Andreas Barnath: „Aus einer Hand“

14.08.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Allgemeinmediziner und Orthopäde Andreas Barnath spricht im Interview mit Sophie Niedenzu über die Kassenarztordination am Land, die Rolle der ärztlichen Hausapotheken in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation und wie durch eine Änderung im Apothekengesetz das Besetzungsproblem von Kassenpraxen gelöst werden kann.

Sie betreiben eine allgemeinmedizinische Kassenarztordination in Oberwölbing – wie sind Sie zu dieser Kassenstelle gekommen? Ich betreibe seit Juli 2007 eine Kassenordination für Allgemeinmedizin mit einer ärztlichen Hausapotheke in Oberwölbling im Bezirk St. Pölten-Land zwischen St. Pölten und Krems. Die Stelle wurde damals bereits ein Jahr vor der möglichen Übernahme ausgeschrieben. Ich konnte mich daher sehr gut auf die Bewerbung vorbereiten und mich auch über die Gemeinde, die ich schon von zahlreichen Heurigenbesuchen kannte, genauer informieren. Der damalige Bürgermeister war sehr hilfsbereit und interessiert, dass eine kontinuierliche medizinische Betreuung für die Bevölkerung gewährleistet bleibt. Da ein neuer Ordinationsstandort notwendig war, habe ich mich mit einem Neubau im Ortszentrum beim Hearing in der NÖGKK präsentiert und dann auch den Zuschlag bekommen. Zu diesem Zeitpunkt absolvierte ich noch meine Facharztausbildung für Orthopädie im LKH St. Pölten, die ich Ende 2007 mit der Facharztprüfung abschließen konnte. Der Neubau startete wenige Wochen nach dem Hearing und konnte pünktlich zum Ordinationsstart im Juli 2007 fertiggestellt werden.

Welche Rolle spielt eine ärztliche Hausapotheke in einem ländlichen Gebiet wie Oberwölbing? Die medikamentöse Versorgung durch eine ärztliche Hausapotheke ist ein Glücksfall für die Patienten. Speziell im ländlichen Raum kommt es durch die Versorgung an einem Ort zu keinen Verzögerungen beim Therapiestart. Es werden unnötige Wege vermieden und nicht nur Zeit, sondern auch Geld gespart. Gerade in den letzten Monaten hat sich durch die Lieferengpässe mancher Wirkstoffe der Vorteil einer Versorgung aus einer Hand bewährt, da ich als Hausapotheker auch genau über die Liefersituation der Medikamente Bescheid wusste und bei meinen Verschreibungen darauf Rücksicht nehmen und notwendige Änderungen sofort umsetzten konnte. Bei den dadurch notwendigen Medikamentenumstellungen hat sich gezeigt, dass das Vertrauen der Patienten in ihren Hausarzt sehr groß war und zusätzliche Verunsicherungen entkräftet werden konnten.

Inwiefern hat das Betreiben einer ärztlichen Hausapotheke Ihre Entscheidung beeinflusst, die allgemeinmedizinische Praxis zu führen? Da ich vor Beginn meiner Tätigkeit in Oberwölbling wenig über Hausapotheken wusste, spielte sie bei der Bewerbung nur eine untergeordnete Rolle. Ich habe mich davor auch für andere Ordinationen in St. Pölten ohne ärztliche Hausapotheken beworben, kam aber aufgrund der damaligen Niederlassungsrichtlinien dort noch nicht zum Zug. Aus heutiger Sicht, kann ich jedoch sagen, dass es ein relevanter Unterschied in der Betreuung der Patienten aber auch der betriebswirtschaftlichen Kalkulation der Ordination ist, eine ärztliche Hausapotheke zu führen.

Was müsste getan werden, um die Zahl der Kassenärzte (verglichen mit den Wahlärzten) zu erhöhen? Die Arbeit als Kassenarzt unterscheidet sich von der eines Wahlarztes gewaltig. Nicht nur im Faktor Zeit, der das große Plus des Wahlarztes ist, sondern auch in der Patientenfrequenz und der Bewerbung der eigenen Leistungen. Wir Kassenärzte bekommen unsere Patienten frei Haus geliefert, sind durch den Stellenplan abgesichert und daher in der Lage jeden Patienten quasi zu einem Sozialtarif zu behandeln. Der Wahlarzt kann seinen, betriebswirtschaftlich notwendigen, Stundensatz nur durch einen höheren Tarif erreichen und trifft seine Berufswahl genau aus diesen Überlegungen. Die meisten, mir bekannten, Wahlärzte betreiben ihre Ordinationen bewusst neben einem Anstellungsverhältnis und haben nie eine Kassenstelle angestrebt. Der Allgemeinmediziner als Hausarzt ist ein Paradebeispiel für einen Kassenarzt, wogegen Fächer wie Gynäkologie oder Dermatologie ideale Fächer für Wahlärzte sind. Bei den schwer zu besetzenden Kassenstellen gibt es fast immer Hintergrundgeschichten, warum sich kein Bewerber findet. In der Allgemeinmedizin im kleinstädtischen bzw. ländlichen Bereich ist es meist das zu kleine Einzugsgebiet und die fehlende Möglichkeit, eine ärztliche Hausapotheke zu betreiben. Eine Änderung im Apothekengesetz, nämlich der Wegfall der Abstandsregelung zu öffentlichen Apotheken, würde hier in der Sekunde das Besetzungsproblem von Kassenpraxen lösen.

Welche Herausforderungen sehen Sie darin, als Kassenarzt tätig zu sein? Durch den Leistungsrückstau im niedergelassenen Bereich sind die Anforderungen an Kassenärzte deutlichen gestiegen und auch die Begehrlichkeiten der Patienten haben zugenommen. Auch haben sich die Primärversorgungszentren nicht als die eierlegende Wollmilchsäue erwiesen, da dort oft nur akute Krankheitsbilder aufschlagen, die betreuungsintensiven chronischen Krankheitsbilder aber nach wie vor in den klassischen Primärversorgungseinheiten, nämlich den Kassenordinationen der Allgemeinmediziner, Hilfe suchen. Dass die Kostenwahrheit nach Wegfall der Anschubfinanzierungen der Primärversorgungszentren zu unseren Gunsten ausfallen wird, traue ich mich heute schon zu behaupten.

Wie kann man die Rahmenbedingungen verbessern? Um die generellen Rahmenbedingungen im öffentlichen Gesundheitssystem zu verbessern muss man endlich aufhören die Leistungen zwischen dem extra- und intramuralen Bereich hin und her zu schieben. Der Knackpunkt für mich ist – sowohl in der allgemeinmedizinischen wie auch in der Facharztpraxis – die komplette Versorgung mit Anamnese, Diagnose und Therapie aus einer Hand an einem Ort zu ermöglichen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum der gesundheitlich angeschlagene Patient nach dem Arztbesuch noch einen zusätzlichen Weg auf sich nehmen sollte, um seine Medikamente zu bekommen. Das immer wieder ins Spiel gebrachte Vier-Augen-Prinzip bei der Medikamentenabgabe in Apotheken ist eine Augenauswischerei und ein Scheinargument, da jeder Kassenarzt in seiner Praxissoftware ein Interaktionstool eingebaut hat, das sofort alarmiert, wenn relevante Wechselwirkungen möglich sind. Das Umsatzplus durch die Medikamentenabgabe beim Arzt würde auch kleine, betriebswirtschaftlich schwache Ordinationen mit geringem Einzugsgebiet, attraktiver machen und die Besetzungsprobleme vergessen lassen. Die Apotheken der Jetztzeit sind mittlerweile reine Abgabestellen von Kassenmedikamenten und leben eigentlich nur noch vom Drogeriegeschäft und Zusatzverkäufen.

Sie sind auch als Facharzt für Orthopädie mit einer eigenen Kassenpraxis niedergelassen. Wie gut lassen sich beide Ordinationen im Alltag verbinden? Meine Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie kommt mir in meiner allgemeinmedizinischen Kassenpraxis sehr zu Gute, da fast fünfzig Prozent der Konsultationen etwas mit dem Bewegungsapparat zu tun haben. Bis auf wenige Ausnahmen sind die meisten orthopädischen Leistungen auch im Honorarkatalog der Allgemeinmedizin enthalten und können daher von jedem Allgemeinmediziner erbracht und abgerechnet werden. Einen eigenen Kassenvertrag als Orthopäde habe ich jedoch nicht. Es war daher auch keine Unterstützung der Krankenkasse nötig. Meine Patienten und die Kassen bekommen daher „Zwei zum Preis von Einem“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2024