CIRS: „Meilenstein der Patientensicherheit“

25.11.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die anonyme Plattform www.cirsmedical.at feiert ihr 15-jähriges Bestehen. Sie ermöglicht den offenen Austausch über unerwünschte medizinische Ereignisse, um die Patientensicherheit zu erhöhen.

„Vor 15 Jahren hat die Österreichische Ärztekammer einen Meilenstein der Patientensicherheit geschaffen“, erklärte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), im Rahmen einer Pressekonferenz. CIRSmedical wurde im November 2009, nach Vorbildern aus der Schweiz und Deutschland, in Österreich durch die ÖÄK implementiert und bis heute zur Gänze finanziert. Operativ umgesetzt wird die Plattform von der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Medizin (ÖQMED). „Die großen Vorteile von CIRSmedical sind die Niederschwelligkeit und der breite, anonyme Zugang“, hielt Steinhart fest. Die Plattform wendet sich primär an alle im österreichischen Gesundheitswesen Beschäftigten, aber auch an alle Patienten.

Keine Schuldzuweisungen

„Im Sinne einer nachhaltigen Qualitäts- und Fehlerkultur im österreichischen Gesundheitswesen bietet CIRSmedical eine Lösung zur systematischen Analyse von Zwischenfällen. Klar ist aber auch eines: Der Fokus liegt auf dem Vorfall im Speziellen, nicht auf Schuldzuweisungen und möglichen Sanktionen für den Einzelnen“, so Steinhart. Berichtet werden können alle sicherheitsrelevanten Ereignisse, die im österreichischen Gesundheitswesen auftreten. Dies können Fehler, Beinahe-Schäden, entdeckte Risiken, kritische oder auch unerwünschte Ereignisse sein. „Die digitale Plattform ermöglicht es, dass anonymisiert Fälle berichtet werden, aus denen alle lernen können – ohne Sanktionen“, sagte Steinhart. Bisher sind 1.367 Berichte eingegangen, 956 wurden veröffentlicht, 407 wurden aufgrund von unzureichendem Lerneffekt gelöscht. „Ich bin davon überzeugt, dass es der Österreichischen Ärztekammer mit dieser Online-Plattform gelungen ist, wesentlich dazu beizutragen, die Patientensicherheit zu erhöhen“, betonte Steinhart. Das Bewusstsein über das Gefahrenpotential, das ein komplexes, multiprofessionelles Gesundheitsversorgungssystem in sich birgt, wie auch das Wissen um die notwendigen Sicherheitsstrategien, sei definitiv gestiegen, so der ÖÄK-Präsident: „Wichtig ist auch, den Fokus auf die Herausforderungen, die eine zunehmend digitale Medizin mit sich bringt, zu legen und entsprechende Probleme rasch zu identifizieren und zu lösen.“ Vor einer Veröffentlichung der Berichte werden diese nach strengen Regeln geprüft. Wichtig ist, dass sie sachlich und vollständig sind, zudem muss der Berichtende den Vorfall entweder selbst beobachtet haben oder daran beteiligt gewesen sein. „Es geht uns mit diesem Projekt zur Patientensicherheit nicht um Berichtsrekorde, sondern darum, dass sich möglichst alle Bereiche des Gesundheitswesens daran beteiligen“, erklärte Steinhart. Zu betonen sei auch, dass die Plattform auf den Vorfall fokussiere, nicht auf mögliche Sanktionen für den einzelnen. „Wir bieten mit der Plattform zudem die Möglichkeit, Fehler als Lernquelle zu nutzen“, ergänzte der ÖÄK-Präsident.

Anonymität für maximalen Lerneffekt

„Die Plattform ist anonym. Damit wird sichergestellt, dass über Fehler oder Beinahe-Fehler offen und ohne Einschränkungen oder Beschönigungen berichtet wird“, betonte Artur Wechselberger, Referent im ÖÄK-Referat für Qualitätssicherheit und Qualitätsmanagement. So würde die Voraussetzung geschaffen, dass Menschen bereit sind, sicherheitsrelevante Vorkommnisse zu berichten. Dies unabhängig davon, ob durch die Fehler oder Beinahe-Fehler ein Patient zu Schaden kam oder nicht. „Über den offenen Austausch sollen Beschäftigte im Gesundheitswesen für die Zukunft lernen, kritische Situationen zu entschärfen und ein sinnvolles Risikomanagement zu führen. Oft sind es systemische Fehler, die kritische Situationen provozieren“, hielt Wechselberger fest. So ließen sich die meisten Vorfälle auf Organisations-, Kommunikations- oder Medikationsfehler zurückführen. Auch bei der Anwendung technischer und elektronischer Systeme können sich Fehlerquellen ergeben. Ein wichtiger Meilenstein in den vergangenen 15 Jahren seien auch die CIRS-Meldegruppen – sozusagen „hausinterne CIRS-Systeme“, die interessierten Einrichtungen wie Rettungsdiensten, Fachgruppen, Krankenhäusern und Krankenhausverbänden angeboten werden, so Wechselberger.

Ärztliche Fortbildung

Um Ärzte in ihrer Fortbildungspflicht zu unterstützen, werden Berichte aus CIRSmedical.at thematisch zusammengefasst. Multiple-Choice-Fragen ergänzen die Fallschilderungen. Nach dem Studium der Texte und erfolgreicher Beantwortung der Fragen werden den Ärzten automatisch Fortbildungspunkte verbucht. Unter www.cirsmedical.at/e-learning oder www.meindfp.at können fünf CIRSmedical-E-Learning-Artikel nachgelesen werden. Um das Lernsystem weiter bekannt und nutzbar zu machen wurde eine eigene Podcast-Serie, „CIRSmedical – aus Fehlern lernen“ produziert. Die Podcasts sind auf der Webseite abrufbar.

Digitale Herausforderungen

Der Einsatz moderner Technologien und EDV-Lösungen im Gesundheitswesen können dazu beitragen, die Qualität der Patientenversorgung und die Patientensicherheit zu verbessern. Dennoch können – vor allem während der Einführungs- oder Übergangsphase – Fehler auftreten. „Die zunehmende Digitalisierung spielt bei der Patientensicherheit eine besondere Rolle“, sagte Wechselberger. So sind einige Meldungen auf CIRSmedical auf digitale Prozesse, wie etwa telemedizinischen Versorgung oder auch die Umsetzung der digitalen Fieberkurve in den Spitälern zurückzuführen. Es kämen in vielen Gesundheitseinrichtungen oftmals verschiedene elektronische Informations- und Kommunikationssysteme zum Einsatz, die neben der traditionellen handschriftlichen Dokumentation verwendet werden. Um die Patientensicherheit zu erhöhen, müsse hier auch die Sensibilität geschärft werden, auf Schnitt stellen zu achten und Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass diese nahtlos ineinander übergreifen und keine Informations- und Kommunikationsdefizite entstehen. „Bei der Umsetzung von digitalen Lösungen muss daher immer auf Benutzerfreundlichkeit und die enge Einbindung derjenigen, die im laufenden Betrieb in Gesundheitseinrichtungen damit arbeiten, geachtet werden“, sagte Wechselberger. Daher sei es neben einer guten Einschulung von großer Bedeutung, regelmäßiges Feedback bei den Anwendern einzuholen. „Nur so können digitale Prozesse optimiert und mögliche Fehlerquellen minimiert werden“, so Wechselberger.

Ein Entwicklungsschritt der Plattform betrifft die Pläne, auch Bildmaterial, das die gemeldeten Fehler- und Beinahe-Fehler-Situationen besser veranschaulichen könnte, hochzuladen. „Auf jeden Fall muss es unser Bestreben sein, das in den 15 Jahren des Bestehens generierte Wissen, das in CIRSmedical.at steckt, in noch größerem Ausmaß den Beschäftigten im Gesundheitswesen zurückzuspielen“, sagte Wechselberger. Neben den etablierten Schienen wie Vorträgen, Newslettern und anderen schriftlichen Publikationen werden die elektronischen Informationskanäle ausgebaut – neben der Podcast-Serie zählen dazu auch Social-Media-Auftritte, die um kleine Videoclips erweitert werden sollen.

Die nächsten 15 Jahre

Steinhart fasste zusammen: „Diese beeindruckende Leistungsschau zeigt uns und der Öffentlichkeit eindeutig, wie ernst die Österreichische Ärztekammer und die österreichischen Ärztinnen und Ärzte das Thema Patientensicherheit nehmen. Alle im Gesundheitswesen Beschäftigten geben jeden Tag ihr Bestes für unsere Patienten, aber alle sind schlussendlich nur Menschen. Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein und das Verständnis für menschliche Sorgen, Nöte und Bedürfnisse, zeichnen den Menschen gegenüber Maschinen aus, aber kein Mensch ist fehlerfrei.“ Daher sei es ebenso wichtig, Fehler und Fehlerquellen so gut wie möglich zu minimieren. „Hier kann sich die Österreichische Ärztekammer vollen Einsatz auf die Fahnen schreiben“, sagte Steinhart. Er wünschte sich für die nächsten 15 Jahre CIRS, dass auch andere Systempartner ihren Einsatz für die Patientensicherheit noch weiter erhöhen.

Das Gesundheitssystem muss so gestaltet werden, dass es für die dort Tätigen schwerer wird, einen Fehler zu begehen und gleichzeitig leichter wird, das Richtige zu tun. „In der Kassenmedizin würde ich mir beispielsweise wünschen, dass wir von der Frequenzmedizin wegkommen und stattdessen mehr Zeit für das ärztliche Gespräch mit den Patientinnen und Patienten bleibt. So kann nicht nur die Behandlungsqualität erhöht werden, sondern auch das Fehlerrisiko gesenkt werden“, unterstrich der ÖÄK-Präsident. (sb)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2024