BKAÄ: Ausbildungsevaluierung 2024 – Zeiträuber Bürokratie

11.11.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

77 Prozent der über 4.800 Ärzte in Ausbildung, die an der Ausbildungsevaluierung 2024 teilgenommen haben, fühlen sich durch administrative Aufgaben in ihrer Ausbildung eingeschränkt. Fast genauso viele sehen die Arbeit am Patienten durch Bürokratie beeinträchtigt. Die BKAÄ kennt die Ursachen für dieses Dilemma und nennt seit Jahren erfolgversprechende Lösungen – doch dagegen verschließen sich Politik und Spitalsträger.

Thorsten Medwedeff

Die ärztliche Ausbildung, aber auch die eigentliche ärztliche Arbeit werden durch einen Faktor seit Jahren – und das mit steigender Tendenz – massiv blockiert: Durch die immer mehr werdende Administration und Bürokratie. Das unterstreichen auch die Zahlen der aktuellen Ausbildungsevaluierung 2024, bei der als Modulfrage zu den üblichen Dimensionen auch die Frage nach der Belastung durch dokumentarische und administrative Tätigkeiten unter den Ärzten in Ausbildung (das heißt: alle Ärzte in Basisausbildung, Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin sowie zum Facharzt) abgefragt wurde.

Das Ergebnis: „Insgesamt geben 77 Prozent der Befragten in Österreich an, dass sie sich durch administrative Auflagen in ihrer Ausbildung eingeschränkt sehen“, fasst Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, zusammen. „Dasselbe Bild haben wir bei der Frage, ob die Bürokratie auch bei der Arbeit am Patienten hinderlich ist – hier stimmen 76 Prozent zu. Das sind Werte, die bei uns in der Bundeskurie angestellte Ärzte alle Alarmglocken schrillen lassen. Seit Jahren fordern wir, dass Dokumentationsassistenten in allen Abteilungen angestellt werden müssen, die unsere Ärztinnen und Ärzte von den bürokratischen Aufgaben freispielen. Allein, es gibt seitens der Spitalsträger dazu zu wenig Umsetzungswille.“ Dabei gehe es nicht nur um das Schreiben von Entlassungsbriefen, mittlerweile mache die Dokumentation, Administration und Bürokratie insbesondere bei den Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung bereits mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit aus.

„Wenn es zum Beispiel Bettensperren gibt, verbringen unsere Ärzte im Nachtdienst Stunden nur damit, herumzutelefonieren und freie Betten für Patienten zu finden. Dazu ist eigentlich kein Arzt nötig.“ Das beschreibe auch die generelle Misere: Wegen zu wenig Personal müssen Betten gesperrt werden, das übriggebliebene Personal wiederum verstrickt sich in der Administration – eine fatale Negativspirale. Mayer: „So steigt die Frustration der Ärzte immer mehr – bis hin zum Exit aus dem Gesundheitssystem. Wir müssen gemeinsam mit der Politik und den Trägern daran arbeiten, dass nicht die überbordenden bürokratischen Aufgaben dazu führen, dass die Jungen die Lust am Arztberuf verlieren. Unsere Ärztinnen und Ärzte wünschen sich nichts mehr, als Patientinnen und Patienten zu helfen und beizustehen – und nicht, in Schreibtätigkeiten zu versinken.“

Dramatisches Missverhältnis

Natalja Haninger-Vacariu, seit April dieses Jahres erste Kurienobmann-Stellvertreterin und Turnusärztevertreterin, ist mit dem dezidierten Ziel angetreten, den Bürokratieabbau massiv voranzutreiben. Die Zahlen, die die Ausbildungsevaluierung aufzeigt, findet sie erschreckend: „24,5 Wochenstunden werden demnach von tatsächlich geleisteten 47,4 Wochenstunden österreichweit im Schnitt für administrative Tätigkeiten oder für patientenbezogene medizinische Dokumentationsarbeiten aufgewendet. Das ist ein dramatisches Missverhältnis. Nur 17,1 Wochenstunden können zum Beispiel für klinische Untersuchungen, Visiten, Operationen oder Gespräche mit den Angehörigen genutzt werden. Das ist schlecht für die Patientinnen und Patienten und deren Versorgung, aber auch schlecht für die Ärztinnen und Ärzte, die sich in nervenaufreibenden Schreibarbeiten verstricken anstatt dem nachzugehen, wofür sie eigentlich studiert haben, nämlich ganz für die Patientinnen und Patienten da zu sein.“

Zur noch besseren Veranschaulichung: Prozentual betrachtet werden laut Ausbildungsevaluierung 2024 insgesamt 51,6 Prozent der Gesamtarbeitszeit der Jungärzte für administrative Tätigkeiten und patientenbezogene Dokumentation aufgewendet, während nur 36 Prozent für die direkte, medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten bleiben. 12,4 Prozent entfallen auf andere Tätigkeiten, die nicht diesen beiden Bereichen zuzuschreiben sind. „Das zeigt nur zu deutlich, dass es höchste Zeit für eine Entbürokratisierung der ärztlichen Arbeit ist, um ausreichend Zeit für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zu haben, aber auch, um zu gewährleisten, dass unsere angehenden Mediziner die beste Ausbildung erhalten – die jetzt und hier vorliegenden Zahlen sind nicht dazu da, zu glauben, dass die jungen Menschen in Österreich den Arztberuf in seiner aktuellen Form für attraktiv halten“, befürchtet Haninger-Vacariu.

Nicht zeitgemäße IT

Funktionierende, digitale Lösungen könnten bei der Entlastung von Bürokratie schon helfen – die Umfrage hat allerdings deutlich gemacht, dass in den Spitälern hier noch viel zu viel Luft nach oben ist: Österreichweit gab es nur die Note 4,82 (Höchstnote 6,0) bei der Frage, ob es eine zuverlässige, flächendeckende Internetverbindung gibt, mit deren Hilfe die dokumentarische, ärztliche Arbeit effizient erledigt werden kann. „Im 21. Jahrhundert darf man schon einen Wert erwarten, der nahe an 6,0 heranreicht“, fordert Bundeskurienobmann Mayer. „Ganz schlimm sind die Ergebnisse für das Burgenland und für Wien mit 4,49 – das ist inakzeptabel, dass die IT vielerorts nur mittelprächtig funktioniert.“

Noch schlechter ist die aktuelle Situation bei der Frage nach der Hardware, also ob Tablets oder Computer auf aktuellem Stand für die Arbeit zur Verfügung stehen: Hier ergibt die Ausbildungsevaluierung einen schwachen Wert von 4,17. „Dass Wien mit 3,74 hier das absolute Schlusslicht ist, müsste den Spitälern und deren IT wirklich zu denken geben. Das ist einer Bundeshauptstadt unwürdig“, befindet Haninger-Vacariu, die auch Vizepräsidentin der Ärztekammer für Wien ist. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass unsere Ärztinnen und Ärzte, wenn sie schon zu bürokratischen Aufgaben gezwungen werden, diese wenigstens mit dem neuesten technischen Equipment in ausreichender Verfügbarkeit erledigen können.“

Gefährdung des Gesundheitssystems

„Die bürokratischen und dokumentarischen Tätigkeiten unserer Ärztinnen und Ärzte, insbesondere im Spital, haben jedenfalls ein Ausmaß erreicht, das unsere Gesundheitsversorgung sogar gefährden kann“, konstatiert Mayer zusammenfassend. „Lasst unsere Ärzte endlich das machen, was sie können und wofür wir sie jahrelang ausgebildet haben – nämlich Ärzte sein, die sich um ihre Patienten kümmern und ausreichend Zeit haben für umfassende Gespräche, Untersuchungen, Diagnosen und Therapien. Ich fordere die Politik daher auf, das endlich auch praktisch zu unterstützen und eine Initiative zur Befreiung der Ärzteschaft von dieser überbordenden Bürokratie zu starten!“

Ergebnisse online abrufbar

Die Ergebnisse der Ausbildungsevaluierung 2024 sind transparent und im Detail bis auf Abteilungsebene abrufbar: https://www.aerztekammer.at/ausbildungsevaluierung. Im Frühjahr 2025 gibt es dann die nächste österreichweite Ärzteausbildungsevaluierung, um eine kontinuierliche Qualitätssicherung der ärztlichen Ausbildung zu garantieren.

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2024