USA: Corona-Pandemie – Das Fazit

16.08.2023 | Coronavirus, Politik

Die Corona-Pandemie hat eklatante Schwächen in der Public Health-Infrastruktur der USA und bei den Verantwortlichen offenbart, die Bevölkerung durch eine Krise des Ausmaßes der Corona-Pandemie zu lotsen. Trotz seiner exzellenten Wissenschaft und dem vielen Geld, das in den USA zur Verfügung steht, sei das Land nicht für einen Notfall wie diesen gewappnet gewesen, heißt es unisono.  

Nora Schmitt-Sausen

Die Kritik war harsch. Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte eine Gruppe von mehr als 30 hochrangigen Gesundheits- und Politikexperten ein Buch mit dem Titel „Lessons from the COVID War“. Darin arbeiteten die Autoren, die teils direkt in die Krisenarbeit der offiziellen Stellen involviert waren, die Pandemie auf. Sie kommen zum Schluss, dass die Corona-Bewältigung eine „kollektive nationale Inkompetenz“ offenbart habe.

Im Editorial von „The Lancet“ hieß es kürzlich: „Die unmittelbare Reaktion auf COVID-19 war durch schlechte Führung gekennzeichnet. Die Geringschätzung der Trump-Administration für eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung behinderte die Reaktion auf die Pandemie.“ Viel Kritik gab es auch an den Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die maßgeblich an der Antwort auf die Krise beteiligt waren. Sie hätten sich auf Grund ihrer Struktur, ihrer langsamen Reaktionszeit und den schwierigen politischen Gegebenheiten im Land schwergetan, angemessen zu reagieren (siehe Kasten).

Schlechte Kommunikation

Das größte Defizit – darüber herrscht Einigkeit – war die schlechte Kommunikation mit der Öffentlichkeit – sowohl unter der Regierung Trump als auch später unter Präsident Joe Biden. So gab es in den USA zum Beispiel immer wieder unterschiedliche Empfehlungen zum Tragen von Masken. Das führte zu einer großen Verunsicherung in der Bevölkerung und zu einem großen Vertrauensverlust. Ebenso seien Offenheit und ein transparenter Umgang mit Fehleinschätzungen elementar im Umgang mit der Öffentlichkeit, hieß es in vielen Analysen. Auch daran habe es den US-Verantwortlichen gemangelt.

Aus der Biden-Regierung entsprang im späteren Verlauf der Pandemie der Ausspruch, es handle sich hier um eine „Pandemie der Ungeimpften“. Eine unglückliche Formulierung, wie sich Experten einig sind. Es vermittelte indirekt: Wer an COVID-19 erkrankte oder gar verstarb, sei selbst schuld. Erschwerend kam hinzu, dass die USA politisch und gesellschaftlich in zwei Lager geteilt sind. Weite Teile der Bevölkerung schenkten nur der Seite Gehör, der sie ihr Vertrauen schenkten – ungeachtet der Fakten.


Warum die USA so stark betroffen waren

Die USA, das reichste Land der Welt, mit einem hochentwickelten Gesundheitssystem, waren von der Corona-Pandemie überproportional stark betroffen. Die Nation hat mehr als 1,1 Millionen Corona-Todesfälle zu beklagen. Die Gründe: die zögerliche Reaktion seitens der Verantwortlichen gepaart mit der aufgeladenen Stimmung. Belegt ist, dass Menschen mit einem republikanischen Parteibuch häufiger starben als diejenigen mit einer demokratischen oder unabhängigen Gesinnung. In republikanisch geführten Bundesstaaten sind die Impfraten niedriger als in demokratisch geführten. Auch religiöse und historische Argumente spielten bei der Impfverweigerung eine Rolle – und dies wirkte sich im Einwanderungsland USA mit einem hohen Anteil von Menschen aus anderen Kulturkreisen aus. Als weiterer Grund für die hohen Todeszahlen gilt die Struktur des US-amerikanischen Gesundheitssystems mit zwei wenig miteinander verzahnten Bereichen: dem öffentlichen Gesundheitswesen und dem großen privaten Sektor. Kommunikation und Datenaustausch innerhalb dieser Systeme war und ist schwierig. Auch lebt ein hoher Anteil der US-amerikanischen Bevölkerung in Armut, ist wenig gebildet und verfügt nur über einen schlechten oder gar


 

Mangelnde Datengrundlage

Das zweite große Problem der US-amerikanischen Regierung waren die nur mangelhaft verfügbaren Daten. So musste sich die CDC die Daten aus teils überalterten Quellen der Zentralregierung, den Bundesstaaten und von Gesundheitsdienstleistern zusammensuchen – oder auf andere Länder setzen. „Wir befanden uns in der peinlichen Lage, Großbritannien, Israel oder Südafrika anrufen zu müssen, um herauszufinden, was los war – wie viele Menschen sich mit dieser neuen Infektion infizierten, welche Variante es gab“, sagte Anthony S. Fauci, der sowohl unter Trump als auch unter Biden die Pandemiebekämpfung in den USA leitete, kürzlich im Gespräch mit der New York Times. „Wie viele Menschen wurden geimpft und welche Auswirkungen hatten diese Daten? Wir mussten buchstäblich Monate warten, anstatt es in Echtzeit zu erfahren.“ Fauci hat sich nach seinem Ausscheiden als Amerikas oberster Corona-Berater in mehreren US-amerikanischen Medien zu Fehlern und versäumten Möglichkeiten während der Pandemie geäußert.

Die Reaktionszeit der US-amerikanischen Regierung war auf Grund dieses Daten-Defizits oft verlangsamt. So etwa bei der Frage, ob und wie lange Schulen zu schließen sind, wurden die fehlenden Daten zu Hotspots und der Übertragung zu einem großen Problem. Die Folgen: Die US-amerikanischen Schulen waren deutlich länger geschlossen als jene in Europa – mit verheerenden Folgen für viele Kinder und Jugendliche.

Fehlendes Equipment

Wie viele andere Nationen kämpften auch die USA mit dem Mangel an medizinischem Material und Equipment, um die Beschäftigten im Gesundheitswesen und die Bevölkerung sicher durch die Corona-Pandemie zu bringen. Außerdem standen in den USA lange Zeit, als die Menschen in anderen Staaten schon flächendeckend auf das Corona-Virus getestet wurden, noch keine Tests zur Verfügung. COVID-Teststationen, wie es sie vielerorts in Europa flächendeckend gab, gab es in den USA erst relativ spät.

Auch war es in den USA bis zuletzt schwierig, qualitativ hochwertige Schutzmasken zu erhalten. Sich mit ausreichend Gratis-Selbsttests für zu Hause einzudecken, wurde erst möglich, als die Regierung Biden im Winter 2022 dies kostenfrei ermöglichte. Etwa zur gleichen Zeit wurde es möglich, über den Krankenversicherer bis zu acht kostenfreie COVID-Schnelltests im Monat zu erhalten. Zu einem Zeitpunkt, als die Pandemie ihren Zenit aber schon längst erreicht hatte.

Impfung

Ganz oben auf der Positiv-Liste steht die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs, an dem die USA maßgeblich beteiligt waren. „Operation Warp Speed“, gestartet von der Regierung Trump, brachte Impfungen in Rekordzeit auf den Markt. Auch nach Ansicht von Fauci war die Impfung ein Game-Changer und ein beeindruckender Erfolg der Wissenschaft. „Wie viel schlimmer wäre es gewesen, wenn wir nach elf Monaten keinen Impfstoff gehabt hätten? Wenn es drei Jahre gedauert hätte, um einen Impfstoff zu bekommen, hätten wir hier fünf Millionen Tote gehabt“, sagte er im Gespräch mit der New York Times. Jedoch gab es auch Stimmen, die das Impfen als nahezu alleinige Strategie gegen das Virus kritisierten. Die Akzeptanz der US-amerikanischen Bevölkerung war und ist vergleichsweise gering. Lediglich 68 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Nicht nur politische, sondern auch religiöse und ethnische Gründe sowie strukturelle Defizite im Gesundheitswesen werden dafür verantwortlich gemacht.


CDC zeigt sich selbstkritisch

Die Verantwortlichen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) räumten im vergangenen Sommer ein, dass das Krisenhandling der Behörde von Fehlern geprägt war – und dass dies fatale Auswirkungen gehabt habe. In einer Videobotschaft an die rund 11.000 Mitarbeiter sagte CDC-Direktorin Rochelle P. Walensky laut der New York Times, dass die Behörde für „einige ziemlich dramatische Fehler“ verantwortlich sei. Sie nannte die Stichworte Tests, Daten und Kommunikation. Die Fehler müssten aufgearbeitet werden, um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Walensky rief zu einer umfassenden Reform der CDC auf. Zentrale Lehren für die Behörde müssten sein:

+ Refokussierung auf die Bedürfnisse der öffentlichen Gesundheit;

+ schnellere Reaktionszeiten in Notfällen und bei Ausbrüchen;

+ die Bereitstellung von verständlicher Information für Bürger und Gesundheitsbehörden;

+ schnellere Veröffentlichung von Daten.

Die CDC steht bereits seit vielen Jahren in der Kritik. Der zentrale Vorwurf: zu bürokratisch, zu akademisch, zu weit weg vom realen Leben. Während der Corona-Pandemie wurde die Schwerfälligkeit noch sichtbarer. Zusätzlich wurde die Krisenarbeit durch politische und juristische Entscheidungen erschwert. So gab es in mehreren Bundesstaaten Blockaden gegen das verpflichtende Tragen von Masken und richterliche Beschlüsse gegen das Impfen.


Das Autorenteam rund um das Buch „Lessons from the COVID War“ stellt außerdem die Frage, warum ähnliche Anstrengungen wie bei der Operation Warp Speed nicht auch zur Entwicklung von COVID-Medikamenten oder zur Massenproduktion von COVID-Tests und Schutzmasken unternommen wurden.

Der Ausblick der Experten ist skeptisch: Ihrer Ansicht nach sind die USA für eine neuerliche Krise wie eine Corona-Pandemie nach wie vor nicht gewappnet.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2023