Portrait Michael Wagner: Forschung an Grundprinzipien

25.10.2023 | Politik

Je mehr Wissen über die Grundprinzipien von Mikrobiomen generiert wird, umso ausgefeilter sind die Forschungsansätze.  Im neuen Cluster of Excellence für Mikrobiom-Forschung, den Univ. Prof. Michael Wagner leitet, werden systematisch ökologisch relevante Aspekte mit medizinischer Expertise zum Mikrobiom verknüpft.

Ursula Scholz

In der Forschung werden ökologisch relevante Mikrobiome als „grün“ bezeichnet, medizinisch bedeutsame als „rot“. Vernetzt man jedoch das Wissen aus der roten und der grünen Mikrobiom-Forschung, resultieren daraus Erkenntnisse über das Leben auf der Erde. Nicht umsonst bezeichnet sich der Exzellen zcluster „Microbiomes Drive Planetary Health“. „Bislang haben die beiden Forschungscommunitys weitgehend getrennt gearbeitet“, erklärt Michael Wagner, Professor für mikrobielle Ökologie und Direktor des neuen Clusters of Excellence für Mikrobiom-Forschung. Start war am 1. Oktober 2023. „Der Cluster wird die Denkweisen der beiden Gruppen radikal zusammenbringen. In jedem der 19 Workpackages, egal ob zum Thema Mikroben in Abwasserproben oder im menschlichen Darm, sind Forschende aus beiden Bereichen tätig“, erklärt Wagner.

Am Cluster selbst beteiligen sich acht renommierte Institutionen: Neben der auch für die Koordination zuständigen Universität Wien stellen das Austrian Institute of Technology (AIT), das Institute of Science and Technology Austria (ISTA), die Med-Uni Graz, die Österreichische Akademie der Wissenschaften mit dem Center for Molecular Medicine (CeMM), die Technische Universität Wien, die Johannes Kepler-Universität Linz und die MedUni Wien die übrigen Cluster-Mitglieder.

In der ersten Phase fokussieren sich die Forschungsteams auf Fragen, wie Mikrobiome mit ihren Wirten – Pflanzen, Tieren und Menschen – interagieren. „Allein ein Gramm Boden enthält Zehntausende Mikroorganismen-Arten und von den allermeisten dieser Lebewesen ist nicht bekannt, wie sie mit anderen Mikroben, Pflanzen und Tieren im Boden wechselwirken“, erläutert Wagner. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Reaktion der Mikrobiome auf Störungsfaktoren: Was geschieht im Permafrost-Boden, wenn er auftaut oder im Darm-Mikrobiom, wenn der Patient ein Medikament einnimmt?

Je mehr Wissen über die Grundprinzipien der Mikrobiome akkumuliert wird, desto ausgefeilter werden die Forschungsansätze und so soll es im dritten Teilbereich dann um Monitoring und Manipulation gehen – etwa beim Abwassermonitoring, das ausgeweitet werden soll.

Mikrobiome gezielt beeinflussen

All das Wissen soll schließlich gebündelt und dafür genutzt werden, Mikrobiome im Sinne des Menschen und der Umwelt zu beeinflussen. „Da geht es beispielsweise darum, Mikroorganismen im Boden so zu beeinflussen, dass nicht sie den Großteil des Kunstdüngers verstoffwechseln, sondern die Kulturpflanzen.

Andererseits gilt es zu verstehen, wie Darm-Mikroben Medikamente verarbeiten und wie die Wirkung von Medikamenten durch Einsatz individuell abgestimmter Probiotika verbessert werden kann.“

Beide Ansatzpunkte dienen letztlich der Gesundheit des gesamten Planeten. Grund genug für den Wissenschaftsfonds, den Exzellenzcluster mit 21 Millionen Euro zu fördern. Insgesamt konnten für die ersten fünf Jahre des Clusters 35 Millionen lukriert werden. Eine Verlängerung auf zehn Jahre wird angestrebt. „Die volle Wirkung eines solchen stark interdisziplinären Forschungsclusters entfaltet sich ja mit der Zeit“, betont Wagner. Auch ein neues Masterstudium für Mikrobiom-Forschung soll an der Universität Wien implementiert werden.

Dem Lehrbuch voraus

Sein künftiges Forschungsgebiet konnte der 57-jährige Wagner zum Zeitpunkt seiner Studienwahl noch nicht erahnen, denn damals gab es das Wort Mikrobiom schlichtweg noch nicht. Von all den Mikroorganismen konnten in seiner Jugend nur jene näher beforscht werden, die sich kultivieren ließen. Die Identität und Funktion der übrigen blieb der Wissenschaft verborgen. „Wir waren für über 90 Prozent der Mikroorganismen blind. Es war wie eine übersehene Parallelwelt.“ Wagner landete gegen Studienende an der Technischen Universität München (TUM) als wissenschaftliche Hilfskraft zufällig in einem Labor, das neueste Methoden zum kultivierungsunabhängigen Nachweis von Mikroben mittels fluoreszenzmarkierter Gensonden entwickelte. Er, der sich zu Beginn seines Biologiestudiums noch als künftiger Zoologe gesehen hatte, war sofort fasziniert von dieser Parallelwelt und widmete sich gleich darauf in seiner Masterarbeit und Dissertation zuvor unbekannten Bakterien in Kläranlagen. „Dabei stellte sich heraus, dass bislang unbekannte Mikroben für die wichtigen Prozesse in diesen Systemen verantwortlich waren. Ich war regelrecht schockiert, wie wenig von dem, was die Lehrbücher zu Mikroorganismen in diesen biotechnologisch wichtigen Systemen schrieben, korrekt war.“ Heute fußt die Mikrobiom-Forschung vorwiegend auf Genom-Analysen von Mikroben-Gemeinschaften, die mittels Bioinformatik ausgewertet werden, sowie auf Isotopenmethoden zur Funktionsbestimmung der einzelnen Mikrobiom-Mitglieder.

Wagner hat mit seinem Team eigene Methoden entwickelt, Bakterien „beim Fressen zuzusehen“, und damit Aussagen über ihren Stoffwechsel treffen zu können. Er ist außerdem Experte für nitrifizierende Bakterien, die in der Landwirtschaft unerwünscht sind, weil sie das im Kunstdünger enthaltene Ammonium für sich verwenden und dabei zur Eutrophierung und zur Produktion von Treibhausgasen beitragen, die aber in den Kläranlagen beste Dienste bei der Reinigung des Abwassers leisten.

Nach seinem Master in Biologie und dem Summa cum laude-PhD hat sich Wagner stetig hochgearbeitet: DFG-Fellowship in Evanston/Illinois, Assistenzprofessur an der TU München, Habilitation in Mikrobiologie, wissenschaftlicher Oberassistent an der TU München und ab 2003 Professur in Wien. 2019 wurde er zum Gründungsdirektor des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft bestellt. „In der Mikrobiom-Forschung sind wir international gesehen ganz vorne dabei“, betont er stolz. Was er angreift, erledigt er mit 100 Prozent Engagement und Leidenschaft. Noch mehr Nullen braucht er allerdings, um aufzuzählen, was er noch gerne erforschen würde. „Ich finde 100.000 Sachen interessant. Es würde für fünf Leben reichen.“

Auf nach Dänemark

Man könnte meinen, sein Leben sei ausschließlich der Arbeit gewidmet und irrt dabei doch. „Ich bin ein Familienmensch und achte sehr auf eine ausgewogene Balance zwischen Beruf und Privatleben“, betont der vierfache Familienvater. Wann immer es geht, arbeitet er in seiner zum Homeoffice umgebauten Garage. Da geht sich dann auch ein Mittagessen im Kreis der Familie aus. Außerdem spielt er Klavier, liebt Wassersportarten von Schwimmen bis Kajakfahren, interessiert sich für Meditation und geht täglich mit dem Hund spazieren. Allerdings, das gibt er zu, telefoniert er dabei meistens.

Auch seine 20-Prozent-Professur an der Universität von Aalborg im Norden von Dänemark passt er an das Familienleben an: Gemeinsam übersiedelt der gesamte Haushalt (Wagner bezeichnet ihn als „Wanderzirkus“ inklusive Hund und drei Meerschweinchen) in den Sommerferien in das dänische Ferienhaus. Nach der Arbeit kommt er dann am Meer zur Ruhe. Im persönlichen Modell von Wagner sind Arbeitszeit und Freizeit nach Bedarf geregelt: Verbringt die Familie unter der Woche einen Nachmittag miteinander, arbeitet er dafür am Sonntag. „Es ist ähnlich wie bei einem Bauern, der sich mit seinen Tätigkeiten nach dem Wetter richtet.“ In seiner Funktion als Director des Clusters of Excellence legt Wagner gerade die Saat. Die nächsten Jahre sollen dann die Früchte bringen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2023