Vari­ko­sis: Weni­ger ist mehr

12.04.2023 | Medizin

Bei schwe­ren Aus­prä­gun­gen der chro­nisch venö­sen Insuf­fi­zi­enz zeigt sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ein Rück­gang. Wäh­rend Besen­rei­ser ein rein kos­me­ti­sches Pro­blem sind, stellt die Stamm­va­ri­ko­sis eine krank­hafte Ver­än­de­rung dar. Bei der The­ra­pie von über 60-Jäh­ri­gen gilt ganz grund­sätz­lich: weni­ger ist mehr. 

Manuela‑C. War­scher

Jeder sechste Mann und jede fünfte Frau lei­det an einer chro­nisch venö­sen Insuf­fi­zi­enz (CVI), wobei sich laut Stu­dien aller­dings ein Rück­gang der schwe­ren Aus­prä­gun­gen in den letz­ten Jah­ren beob­ach­ten lässt. Dar­un­ter liegt eine fort­ge­schrit­tene chro­nisch venöse Insuf­fi­zi­enz bei 3,8 Pro­zent der Män­ner und 3,4 Pro­zent der Frauen vor. „Risi­ko­fak­to­ren einer Vari­kose sind fort­ge­schrit­te­nes Alter, weib­li­ches Geschlecht, Schwan­ger­schaf­ten und eine posi­tive Fami­li­en­ana­mnese“, erklärt Univ. Prof. Erich Minar von der Wie­ner Pri­vat­kli­nik. Eine pri­märe Vari­kose kann bereits in der Kind­heit auf­tre­ten – mit stei­gen­der Prä­va­lenz und zuneh­men­der Pro­gres­sion mit fort­schrei­ten­dem Alter.

Kommt es durch ver­schie­dene Fak­to­ren zur pri­mä­ren Vari­ko­sis, ist eine Venen­throm­bose mit resul­tie­ren­der Abfluss­stö­rung, erhöh­tem Venen­druck und Venen­klap­pen­in­suf­fi­zi­enz die Ursa­che für die sekun­däre Vari­ko­sis. „Der Zustand der Venen­klap­pen sollte am bes­ten mit­tels Ultra­schall beur­teilt wer­den“, so Minar. Vari­zen – sie sind vor­wie­gend an der unte­ren Extre­mi­tät loka­li­siert – kön­nen sich in unter­schied­li­cher Aus­prä­gung und Schwe­re­grad ent­wi­ckeln. Kali­ber, Ana­to­mie und Ursprung der betrof­fe­nen Venen defi­nie­ren, ob es sich um eine Stamm­va­rize, Sei­ten­ast­va­rize, Per­forans­va­rize, pel­vine Varize, reti­ku­läre Varize oder Besen­rei­ser­va­rize han­delt. „Besen­rei­ser sind rein kos­me­ti­scher Natur, wäh­rend die Stamm­va­ri­ko­sis häu­fig eine krank­hafte Ver­än­de­rung dar­stellt“, erklärt Minar. Außer­dem kann es bei prä­dis­po­nier­ten Per­so­nen nach der Behand­lung zum neu­er­li­chen Auf­tre­ten von Vari­zen kommen.

Throm­bose ist Rarität

Eine Vari­kose kann ent­we­der sym­pto­ma­tisch mit Juck­reiz, Zie­hen, Schwere- oder Druck­ge­fühl oder asym­pto­ma­tisch mit Ödem und/​oder Haut­ver­än­de­run­gen bis hin zu Ulcus cru­ris veno­sum ver­lau­fen. Bei rund drei bis sechs Pro­zent der Pati­en­ten mit Vari­zen bil­det sich im Lauf der Erkran­kung ein venö­ses Ulcus aus. „Eine Throm­bose ist aber eine Rari­tät. Aus die­sem Grund sollte der All­ge­mein­me­di­zi­ner dem Pati­en­ten auch pri­mär die Angst davor oder vor einem Ulcus neh­men“, schränkt Minar ein. Jeden­falls kann eine „medi­zi­nisch bedeut­same Vari­kose“ wie Stamm­ve­nen- oder Per­forans­in­suf­fi­zi­enz mit einem Ulcus cru­ris veno­sum oder Vari­ko­phle­bi­tis ein­her­ge­hen. Daher kommt der Dia­gnose und Klas­si­fi­zie­rung auch ein zen­tra­ler Stel­len­wert zu. Neben der Kli­nik ist die farb­co­dierte Duplex-sono­gra­phie Mit­tel der Wahl. Sie kann Aus­kunft über die Hämo­dy­na­mik und den Zustand der tie­fen Venen geben. Außer­dem kön­nen Venen­funk­ti­ons­mes­sun­gen durch­ge­führt wer­den. Nicht mehr State of the Art hin­ge­gen sei die Dia­gnos­tik basie­rend auf Kon­trast­mit­teln, erklärt Minar. Aus­zu­schlie­ßen sind vor allem arte­ri­elle Durch­blu­tungs­stö­run­gen und im Fall von Bein­schwel­lun­gen eine kar­diale Insuffizienz.

Bei der The­ra­pie müsse in ers­ter Linie der Pati­en­ten­wunsch berück­sich­tigt wer­den, zudem könne jeg­li­che The­ra­pie­ent­schei­dung bei über 60-Jäh­ri­gen – vor allem bei inva­si­ven Metho­den – nur unter Abwä­gung des All­ge­mein­zu­stan­des getrof­fen wer­den. „Umso älter, umso weni­ger sollte gemacht wer­den“, betont Minar. Um die venöse Hämo­dy­na­mik zu ver­bes­sern, Stau­ungs­be­schwer­den und Ödeme zu eli­mi­nie­ren, venöse Ulzera abzu­hei­len und Kom­pli­ka­tio­nen weit­ge­hend zu ver­mei­den, ste­hen nicht-inva­sive The­ra­pien wie Kom­pres­sion, ven­o­ak­tive Arz­nei­mit­tel, phy­si­ka­li­sche The­ra­pie und Gewichts­re­duk­tion sowie inva­sive The­ra­pien wie etwa die Skl­ero­the­ra­pie oder andere chir­ur­gi­sche Ein­griffe zur Verfügung.


Sym­ptome

  1. Schwel­lung der Beine, die sich im Laufe des Tages verschlimmert
  2. Schmer­zen
  3. Gefühl der Schwere und Enge
  4. Juck­reiz
  5. Sicht­bare Varizen
  6. Ulcus cru­ris

Klas­si­fi­ka­tion des Schweregrades*

Kli­nisch

C0: Keine Anzeichen
C1: Besen­rei­ser, reti­ku­läre Varizen
C2: Varizen
C3: Ödem, durch venöse Insuf­fi­zi­enz bedingt
C4: Haut­ver­än­de­run­gen, bedingt durch venöse Insuf­fi­zi­enz (Der­ma­to­li­po­skle­rose, Atro­phie blan­che, Pig­men­ta­tion, Stau­ungs­ek­zeme) bedingt
C4a: Vari­kose mit Pig­men­tie­rung oder Ekzem
C4b: Vari­kose mit Der­ma­to­li­po­skle­rose bezie­hungs­weise Atro­phie blanche
C5: Abge­heil­tes venö­ses Ulcus
C6: Flo­ri­des Ulcus

*nach CEAP (Cli­ni­cal con­di­tion; Etio­logy, Ana­to­mic loca­tion, Pathophysiology)


Eine Kom­bi­na­tion die­ser Ver­fah­ren sei „in den meis­ten Fäl­len“ sinn­voll, wie der Experte betont. Bewe­gung, wenig Ste­hen und Sit­zen sowie das Hoch­la­gern der Beine bei exis­tie­ren­der Schwel­lung der Beine unter­stüt­zen diese Maß­nah­men. Minar dazu: „Schwim­men ist das Beste für diese Pati­en­ten.“ Bei Schwel­lungs­nei­gung bil­det die Kom­pres­si­ons­the­ra­pie die Basis für Pati­en­ten mit einer fort­ge­schrit­te­nen chro­nisch venö­sen Insuf­fi­zi­enz und venö­sen Ulzera oder sym­pto­ma­ti­scher Vari­kose. Sind chir­ur­gi­sche Ver­fah­ren indi­ziert, wird in ers­ter Linie auf Strip­ping und Cross­sek­to­mie zurück­ge­grif­fen: „Vor allem bei jun­gen Pati­en­ten mit Stamm­va­ri­kose ist das Strip­ping State of the Art“, bestä­tigt Minar. Wenn auch Schaumskle­ro­sie­rung die am gerings­ten inva­sive Methode von allen endo­ve­nö­sen Abla­ti­ons­tech­ni­ken wie Laser oder Radio­fre­quenz ist und auch belie­big oft wie­der­holt wer­den kann, ver­zeich­net sie „im Ver­gleich zu den ande­ren Tech­ni­ken die höchste Rezi­div­rate“. Per­sis­tiert ein offe­nes Bein trotz fach­ge­rech­ter The­ra­pie bezie­hungs­weise ist nach drei Mona­ten nicht abge­heilt, muss ein Spe­zia­list zu Rate gezo­gen wer­den. Wich­tig ist, dass „ven­o­ak­tive Arz­nei­mit­tel zwar nicht zur Rück­bil­dung der Vari­zen füh­ren, aber die Sym­ptome lin­dern kön­nen“, so Minar abschließend.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2023