Silent Inflamm­a­tion: Still, unbe­merkt und reversibel

10.05.2023 | Medizin

Aus­ge­hend vom vis­ze­ra­len Fett­ge­webe spielt die Silent Inflamm­a­tion bei zahl­rei­chen Erkran­kun­gen eine Rolle. Sie wird auch mit der Ent­ste­hung der Insu­lin­re­sis­tenz in Ver­bin­dung gebracht. Zen­tral ist der Ein­fluss der Ernäh­rung: Con­ve­ni­ence Food und raf­fi­nier­ter Zucker befeu­ern das ent­zünd­li­che Geschehen. 

Mar­tin Schiller

Die Liste der Erkran­kun­gen, an denen Silent Inflamm­a­tion betei­ligt ist, ist lang: Dia­be­tes mel­li­tus und des­sen Spät­kom­pli­ka­tio­nen wie Neph­ro­pa­thie, kar­dio­vas­ku­läre Erkran­kun­gen; Steato­sis hepa­tis, NASH, ent­zünd­lich-rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen, auto­in­flamm­a­to­ri­sche Erkran­kun­gen und Asthma bron­chiale. Beson­ders aus­ge­prägt ist die chro­nisch-schwe­lende Ent­zün­dung im vis­ze­ra­len Fett­ge­webe. Eine Schlüs­sel­rolle spielt dabei die unter­schied­li­che Akti­vie­rung von Fett­ge­webe-Makro­pha­gen, wie Univ. Prof. Tho­mas Stul­nig, Vor­stand der 3. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung für Stoff­wech­sel­er­kran­kun­gen und Nephrolo­gie der Kli­nik Hiet­zing in Wien, erklärt. „Unter nor­ma­len phy­sio­lo­gi­schen Bedin­gun­gen ist der repa­rie­rende M2-Phä­no­typ vor­herr­schend. Durch Expan­sion des Fett­ge­we­bes und der damit ver­bun­de­nen Ver­grö­ße­rung der Adi­po­zy­ten wird aller­dings ver­mehrt der M1-Phä­no­typ gebil­det, der in Folge stark pro­in­flamm­a­to­ri­sche Zyto­kine pro­du­ziert.“ Die M1-Makro­pha­gen seien somit das kon­krete Anzei­chen für das Vor­lie­gen einer Silent Inflamm­a­tion. Als wesent­li­che Aus­lö­ser wer­den Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas eingestuft.

„Kalo­rien­re­duk­tion und Nor­ma­li­sie­rung des Kör­per­ge­wichts sen­ken nach­weis­lich den Adi­po­zy­ten-Stress und kön­nen auch die sub­kli­ni­sche Inflamm­a­tion wie­der redu­zie­ren“, berich­tet Stul­nig. Vis­ze­ra­les Fett sei meta­bo­lisch akti­ver als sub­ku­ta­nes Fett; die­ses neige ten­den­ti­ell mehr zu inflamm­a­to­ri­schen Vor­gän­gen. Der Experte wei­ter: „Die Silent Inflamm­a­tion geht oft mit einer Dys­biose ein­her. Dadurch kommt es zu einer Darm­bar­rie­restö­rung, dem Leaky Gut Syn­drom.“ In der Folge gelan­gen ver­mehrt Toxine von Darm­bak­te­rien in den Blut­kreis­lauf und befeu­ern das ent­zünd­li­che Gesche­hen im Orga­nis­mus. Auf­grund die­ser Zusam­men­hänge ergebe sich aber auch, dass man Per­so­nen im Auge behal­ten müsse, die zwar kein Über­ge­wicht haben, aber zu viel Vis­ze­ral­fett auf­wei­sen. „Es gibt Evi­denz dafür, dass diese Men­schen trotz Nor­mal­ge­wicht eine Insu­lin­re­sis­tenz auf­wei­sen kön­nen. Das liegt daran, dass gerade die Ent­ste­hung einer Insu­lin­re­sis­tenz stark mit Silent Inflamm­a­tion in Zusam­men­hang gebracht wird und diese damit in der Ent­wick­lung von Typ 2‑Diabetes eine Rolle spielt“, erklärt Stul­nig dazu.

Medi­ter­rane Ernäh­rung: antiinflammatorisch

Die medi­ter­rane Kost erweist sich nicht nur im Hin­blick auf die kar­dio­vas­ku­läre Pro­gnose als güns­tig, son­dern gilt ganz gene­rell als anti­in­flamm­a­to­ri­sche Ernäh­rungs­form. „Mit Ernäh­rung kann man das ent­zünd­li­che Gesche­hen im Kör­per maß­geb­lich beein­flus­sen“, sagt Judith Saut­ner, Lei­te­rin der II. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung am Lan­des­kli­ni­kum Kor­neu­burg-Sto­ckerau. Vor allem die Art der zuge­führ­ten Fette sei ent­schei­dend. „Es ist durch Stu­dien abge­si­chert, dass ein hoher Anteil von Omega-3-Fett­säu­ren in der Nah­rung zu einer Down­re­gu­la­tion von Ent­zün­dungs­me­dia­to­ren führt und auch die Funk­tion der Darm­bar­riere ver­bes­sert.“ Im Rah­men der west­li­chen Ernäh­rung wür­den aber meist zu viele nicht gesät­tigte Fett­säu­ren und unter den unge­sät­tig­ten vor allem Omega-6-Fett­säu­ren kon­su­miert, aus denen im Orga­nis­mus pro­in­flamm­a­to­ri­sche Boten­stoffe gebil­det wer­den. Der Quo­ti­ent Omega‑6 zu Omega‑3 sollte opti­ma­ler­weise maximal 4:1 betra­gen. Auch inner­halb der Gruppe der Omega-3-Fett­säu­ren müsse jedoch wie­der dif­fe­ren­ziert wer­den, da die wesent­li­chen anti­in­flamm­a­to­ri­schen Effekte von Eico­sapen­taen­säure (EPA) und Doco­sa­he­xa­en­säure (DHA) aus­ge­hen und der Ein­fluss der alpha-Lin­o­len­säure (ALA) dies­be­züg­lich nicht sehr aus­ge­prägt sei. Die Exper­tin rät daher zu reich­lich Fisch­kon­sum und emp­fiehlt, bei Pflan­zen­ölen Rapsöl, Leinöl und Oli­venöl den Vor­zug zu geben. Ein­ge­schränkt wer­den sollte hin­ge­gen der Kon­sum von gesät­tig­ten Fett­säu­ren. Stul­nig erklärt dazu, dass diese Fette die M1-Pola­ri­sie­rung der Makro­pha­gen för­dern, wäh­rend Omega-3-Fett­säu­ren – vor allem EPA – die M2-Pola­ri­sie­rung und das Been­den der Ent­zün­dun­gen for­cie­ren. Eine wei­tere Ernäh­rungs­maß­nahme stellt der ver­mehrte Kon­sum von Bal­last­stof­fen dar. „Durch mehr faser­stoff­häl­tige Pro­dukte und eine Reduk­tion von stär­ke­rei­chen Lebens­mit­teln erge­ben sich güns­tige Effekte auf die Darm-Mikro­biota, womit der ange­spro­che­nen Dys­biose ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den kann.“ Saut­ner räumt auch dem Thema Bewe­gung einen hohen Stel­len­wert ein: „Regel­mä­ßi­ges Aus­dau­er­trai­ning trägt ebenso zu einer Down-regu­la­tion der Silent Inflamm­a­tion bei.“

Rheu­ma­to­ide Arthri­tis: Risi­ko­fak­tor Rauchen

Auch für die Ent­wick­lung einer Rheu­ma­to­iden Arthri­tis ist Silent Inflamm­a­tion ein wesent­li­cher Fak­tor – „einer von vie­len“, wie Saut­ner betont. Beson­ders im Hin­blick auf das ent­zünd­li­che Gesche­hen gebe es aber Ein­fluss­mög­lich­kei­ten über den Lebens­stil. „In der Phase, in der sich bei ent­spre­chen­der Prä­dis­po­si­tion eine kli­nisch mani­feste Erkran­kung ent­wi­ckelt, erweist sich Rau­chen als star­ker modi­fi­zier­ba­rer Risi­ko­fak­tor.“ Bei der Ernäh­rung sei die Ein­schrän­kung des Kon­sums von rotem Fleisch eine wetere Maß­nahme. Saut­ner dazu: „Stu­dien haben näm­lich gezeigt, dass rotes Fleisch bei bestehen­dem Risiko für Rheu­ma­to­ide Arthri­tis wie zum Bei­spiel bei ACPA-Posi­ti­vi­tät die Ent­wick­lung zur kli­nisch mani­fes­ten Rheu­ma­to­iden Arthri­tis begüns­ti­gen kann“. Ein­ge­schränkt wer­den sollte auch der Anteil von raf­fi­nier­tem Zucker und Con­ve­ni­ence Food in der täg­li­chen Kost. „Gerade hoch ver­ar­bei­te­ten Pro­duk­ten wird oft Glu­kose und High Fruc­tose Corn Syrup zuge­setzt, was erwie­se­ner­ma­ßen das ent­zünd­li­che Gesche­hen befeu­ert“, warnt die Expertin.

Wie sehr Silent Inflamm­a­tion eine Rolle bei der Ent­wick­lung der prä­kli­ni­schen Rheu­ma­to­iden Arthri­tis spielt, zeige laut Saut­ner auch das Thema Zahn- und Zahn­fleisch­ge­sund­heit: „In Stu­dien und auch in ganz rezen­ten Daten wurde ein Zusam­men­hang zwi­schen dem Auf­tre­ten von Par­odon­ti­tis, Adi­po­si­tas mit der Bestim­mung von Lep­tin- und Adipsin-Spie­geln und Rheu­ma­to­ider Arthri­tis gezeigt.“ Außer­dem dürf­ten bestimmte Bak­te­rien wie etwa Por­phy­ro­mo­nas gin­gi­va­lis, der Zahn­fleisch­ent­zün­dun­gen aus­löst, „hier eine Schlüs­sel­rolle spie­len“, wie Saut­ner betont. Adi­po­si­tas und Por­phy­ro­mo­nas gin­gi­va­lis wirk­ten bei Rheu­ma­to­ider Arthri­tis als Krankheitsaktivitäts-steigernd.

Auch bei Pso­ria­sis-Arthri­tis zeigt sich ein Ein­fluss von Silent Inflamm­a­tion. „Die Ent­wick­lung von einer Pso­ria­sis zur Pso­ria­sis-Arthri­tis wird durch star­kes Über­ge­wicht begüns­tigt“, sagt Saut­ner. Auch bei der The­ra­pie der Krank­heit gebe es des­halb Pro­bleme: „Medi­ka­mente gegen Pso­ria­sis-Arthri­tis wir­ken gewichts­ad­ap­tiert. Es ist erwie­sen, dass ihre Wir­kung bei Über­ge­wicht ein­ge­schränkt ist, was im Sinne des Ein­flus­ses von Silent Inflamm­a­tion im Zuge von Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas inter­pre­tiert wer­den kann.“

Inter­pre­ta­tion von CRP

Der klas­si­sche Para­me­ter für Silent Inflamm­a­tion im Blut­be­fund ist laut Stul­nig das C‑reaktive Pro­tein (CRP), da es von Zyto­ki­nen stark expri­miert wird. Per­so­nen mit Silent Inflamm­a­tion haben einen Wert nahe dem Grenz­wert von 5 mg/​l oder leicht dar­über. In Stu­dien wurde bis­her ein Wert von 2–3 mg/​l für den Ein­schluss her­an­ge­zo­gen. Saun­ter ergänzt, dass auch mar­gi­nale CRP-Erhö­hun­gen „jeden­falls endo­kri­no­lo­gi­sche Akti­vi­tät von Adi­po­zy­ten anzei­gen können“.

Wie kön­nen diese Aspekte nun in der täg­li­chen Pra­xis berück­sich­tigt wer­den? Stul­nig dazu: „Die kar­dio­vas­ku­läre Pro­gnose von Pati­en­ten mit einem Meta­bo­li­schen Syn­drom ist bei einem CRP über 3 mg/​l ungüns­ti­ger ist.“ Bei Men­schen mit vis­ze­ra­ler Adi­po­si­tas könne man ins­ge­samt von einer höhe­ren inflamm­a­to­ri­schen Akti­vi­tät aus­ge­hen. „Es wäre wich­tig, dass sol­che Über­le­gun­gen Ein­gang in die kli­ni­sche Rou­tine fin­den“, betont Stulnig.


Risi­ko­fak­tor bio­lo­gi­sches Alter: iAge

Als Risi­ko­fak­tor für Silent Inflamm­a­tion gilt auch das bio­lo­gi­sche Alter. For­scher der Stan­ford Uni­ver­sity in den USA haben anhand von inflamm­a­to­ri­schen Mar­kern eine Ent­zün­dungs­uhr des Alters („inflamm­a­tory clock of aging“, kurz iAge) erstellt. Sie basiert auf der Theo­rie, dass der alternde Orga­nis­mus sys­te­ma­ti­sche Ent­zün­dungs­pro­zesse auf­weist. Die Wis­sen­schaf­ter ermit­tel­ten nach der Ana­lyse von Blut­pro­ben von 1.001 Per­so­nen über 65 Jah­ren das Che­mo­kin CXCL9 als stärks­ten Fak­tor für iAge. Ver­mut­lich erweise sich iAge als stär­ke­rer Prä­dik­tor der Gesund­heit als das chro­no­lo­gi­sche Alter, so die Schluss­fol­ge­rung der Autoren.

Nature Aging, 2021


SIRT1 als Forschungsansatz

Von gro­ßem Inter­esse für die For­schung ist laut Saut­ner das Silent Inflamm­a­tion Regu­la­tor Sirtuin‑1 (SIRT1). „Sowohl In vitro-Daten als auch In vivo-Daten zei­gen, dass die­ses Pro­tein durch akute Inflamm­a­tion down­re­gu­liert wird. Der aktu­elle Ansatz ist, Arz­nei­mit­tel und soge­nannte Upstream-Mole­küle zu defi­nie­ren, mit denen SIRT1 wie­der gestei­gert wer­den kann, um dadurch eine anti­in­flamm­a­to­ri­sche Wir­kung zu erzie­len.“ In einer Proof of Con­cept Study konn­ten der Zucker­stoff­wech­sel und die kar­dio­vas­ku­läre Pro­gnose durch rein ant­in­flamm­a­to­ri­sche Maß­nah­men durch Gabe eines Sali­cyl­säu­re­de­ri­vats oder eines TNF-Blo­ckers ver­bes­sert wer­den. Auch Inter­leu­kin 1‑Rezeptorantagonisten und Col­chi­cin schnit­ten in einer gro­ßen Stu­die gut ab. Außer­dem ist es laut Stul­nig durch Sta­tine mög­lich, das CRP zu sen­ken. Man nimmt an, dass diese Medi­ka­mente der loka­len Ent­zün­dung in der Gefäß­wand ent­ge­gen­wir­ken. „In Stu­dien konnte gezeigt wer­den, dass die Ver­bes­se­rung der kar­dio­vas­ku­lä­ren Pro­gnose durch CRP-Reduk­tion genauso wirk­sam ist wie eine LDL-Reduk­tion“, so der Experte.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2023