Peripar­tale Depres­sion: Schlaf­man­gel macht affek­tiv instabil

10.02.2023 | Medizin

Dass sich in der Schwan­ger­schaft Depres­sio­nen mani­fes­tie­ren, ist nicht unge­wöhn­lich. Extrem hohe Ansprü­che, Zwei­fel und Zusatz­be­las­tun­gen kön­nen zu einer krank­haf­ten Angst­spi­rale füh­ren. Wobei dem Schlaf ent­schei­dende Bedeu­tung zukommt.

Julia Fleiß

„Peripar­ta­le­psy­chi­sche Erkran­kun­gen stel­len die häu­figs­ten schwan­ger­schafts­as­so­zi­ier­ten Kom­pli­ka­tio­nen in west­li­chen Indus­trie­na­tio­nen dar“, sagt Priv. Doz. Chris­tine Hört­nagl von der Abtei­lung für Psych­ia­trie, Psy­cho­the­ra­pie und Psy­cho­so­ma­tik an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck über den Stel­len­wert der Erkran­kung. Obwohl das erste Tri­me­non einer Schwan­ger­schaft psy­chisch und soma­tisch eine schwie­rige Phase sei, ent­wi­ckel­ten die meis­ten Betrof­fe­nen im zwei­ten Tri­me­non eine peripar­tale Depres­sion. Die depres­sive Phase kann auf­grund einer gene­ti­schen Vor­be­las­tung oder wegen zusätz­li­cher Stress­fak­to­ren im Ver­lauf der Schwan­ger­schaft ent­ste­hen. „Nor­mal ist, dass gewisse Ängste kurz vor der Geburt stär­ker wer­den. Krank­haft ist es, wenn Pati­en­tin­nen aus der Angst-Gedan­ken­schleife nicht mehr aus­stei­gen kön­nen“, ergänzt Clau­dia Rei­ner-Lawug­ger von der Spe­zi­al­am­bu­lanz für peripar­tale Psych­ia­trie in der Kli­nik Otta­kring in Wien.

Unge­wöhn­lich ist das Auf­tre­ten einer Depres­sion in der Schwan­ger­schaft laut Rei­ner-Lawug­ger kei­nes­wegs: „In der Gestalt­the­ra­pie spricht man von fünf Säu­len der Iden­ti­tät. Wer­den zwei oder drei die­ser Säu­len desta­bi­li­siert, kann es zu psy­chi­schen Erkran­kun­gen kom­men. Eine Schwan­ger­schaft bringt eigent­lich alles durch­ein­an­der.“ Aber 80 Pro­zent der betrof­fe­nen Schwan­ge­ren hät­ten eine psych­ia­tri­sche Vor­ge­schichte, wie die Exper­tin betont, da sie schon „min­des­tens ein­mal“ in ihrem Leben eine mani­feste psy­chi­sche Krise erlebt haben. Risi­ko­fak­to­ren für peri- und postpar­tale Kri­sen kön­nen etwa ein schwie­ri­ges fami­liä­res Umfeld, finan­zi­elle Sor­gen, eine Fami­li­en­ana­mnese für Depres­sion, ein trau­ma­ti­sches Geburts­er­leb­nis oder ein chro­nisch kran­kes Kind sein. So kann es durch­aus auch vor­kom­men, dass man­che Frauen erst beim zwei­ten Kind eine Depres­sion ent­wi­ckeln, auch wenn es durch das erste Kind zu einer wesent­lich grö­ße­ren Lebens­um­stel­lung kommt. Die Schwere der Erkran­kung kann im Rah­men einer aus­führ­li­chen Ana­mnese oder mit einem Scree­ning-Test erfasst wer­den wie etwa mit der Edin­burgh post­na­tal depres­sion scale EPDS oder dem PHQ‑9 Pati­ent Health Ques­ti­on­n­aire (siehe Kas­ten). Die Früh­erken­nung ist laut den Exper­tin­nen wich­tig für den Behand­lungs­er­folg. Für die Dia­gnose gibt Rei­ner-Lawug­ger zu beden­ken: „Schlaf­man­gel ist eines der Kar­di­nal­sym­ptome. Ist der Schlaf über einen län­ge­ren Zeit­raum gestört, wird die Situa­tion affek­tiv insta­bil“. Und wei­ter: „Wir spre­chen übli­cher­weise von einer peripar­ta­len Depres­sion, weil sie oft von der Schwan­ger­schaft in die Postpar­tal­zeit switcht“. Dabei muss die postpar­tale Erst­ma­ni­fes­ta­tion einer Depres­sion klar vom Baby­blues abge­grenzt werden.

Wich­tig ist die Vor­be­rei­tung und Auf­klä­rung über den Baby­blues, denn „50 Pro­zent aller Frauen erle­ben postpar­tal den Baby­blues“, kon­sta­tiert Hört­nagl. Klingt die­ses Stim­mungs­tief nicht nach weni­gen Tagen ab und tre­ten meh­rere depres­sive Sym­ptome zusam­men auf, spricht man von einer postpar­ta­len Depres­sion. Diese kann oft auch erst Wochen nach der Geburt auf­tre­ten. Dazu Rei­ner-Lawug­ger: „Viele Müt­ter sind auf­grund ihrer extrem hohen Ansprü­che und ihres Per­fek­tio­nis­mus in so einer Anspan­nungs­spi­rale, dass sie depres­siv werden.“

Bei Depres­sio­nen in der Schwan­ger­schaft sollte je nach Aus­prä­gung jeden­falls früh eine medi­ka­men­töse The­ra­pie oder Gesprächs­the­ra­pie als Add-on ein­ge­lei­tet wer­den. Unbe­han­delte Depres­sio­nen von Schwan­ge­ren kön­nen nied­ri­ge­res Gewicht des Neu­ge­bo­re­nen, Früh­ge­bur­ten und Kom­pli­ka­tio­nen bei der Geburt zur Folge haben. Über die Aus­wir­kun­gen eines erhöh­ten Kor­ti­sol-Spie­gels der Mut­ter auf den Fetus gibt es zahl­rei­che For­schun­gen – mit unter­schied­li­chen Ergeb­nis­sen, wie Rei­ner-Lawug­ger betont. Teil­weise zeigt sich, dass die Amyg­dala ver­än­dert wird und in spä­te­rer Folge Angst­er­kran­kun­gen bei den Kin­dern begüns­tigt wer­den. In Tier­ver­su­chen wurde nach­ge­wie­sen, dass diese Kin­der durch zu viel Stress im Mut­ter­leib ent­we­der schwä­cher oder resi­li­en­ter wer­den. Laut Rei­ner-Lawug­ger hän­gen die Aus­wir­kun­gen „wahr­schein­lich von der Grund­ge­ne­tik des Embryos ab“.

Tabelle „Scree­ning-Test”

Anti­de­pres­siva wer­den in der Schwan­ger­schaft durch­aus ver­schrie­ben, da sie laut den bei­den Exper­tin­nen zu den am bes­ten unter­such­ten Sub­stan­zen zäh­len. Rei­ner-Lawug­ger betont: „Um die betrof­fe­nen Frauen schnell zu sta­bi­li­sie­ren, muss in Kom­bi­na­tion mit der Psy­cho­the­ra­pie phar­ma­ko­lo­gisch ein­ge­grif­fen wer­den.“ Sie ver­si­chert, dass „die Ein­nahme von Anti­de­pres­siva wäh­rend der Schwan­ger­schaft unbe­denk­lich ist“. Natür­lich gäbe es Unter­schiede zwi­schen den ver­schie­de­nen Prä­pa­ra­ten, wie sie ein­räumt: First­line-Anti­de­pres­si­vum für die Schwan­ger­schaft ist inter­na­tio­nal Sert­ra­lin. Hört­nagl nennt auch Citalo­pram als bevor­zugt ver­schrie­be­nen SSRI in der Schwan­ger­schaft, rät jedoch ab von Paro­xe­tin oder Fluo­xe­tin, „da bei die­sen Prä­pa­ra­ten die Anpas­sungs­stö­run­gen bei den Neu­ge­bo­re­nen stär­ker aus­ge­prägt sind und bei letz­te­rem die Mög­lich­keit der Kumu­la­tion gege­ben ist.“ Die Dosie­rung von Medi­ka­men­ten in der Schwan­ger­schaft erfolgt mit­tels Spie­gel­be­stim­mung. „Die Menge, die im Blut vor­han­den ist, ist jene, die im Gehirn the­ra­peu­tisch wirk­sam wer­den kann“, erklärt Rei­ner-Lawug­ger. Zwar gibt es Nor­men, wel­che Wir­kung ein Medi­ka­ment hat, trotz­dem erfolge die Ver­stoff­wechs­lung über das Zytochrom-Sys­tem „indi­vi­du­ell“.

Die Wir­kung von Anti­de­pres­siva beein­flusst – im bes­ten Fall – auch den Schlaf der Pati­en­tin­nen posi­tiv. Wenn nötig, wer­den für den Anfang auch Anti­hist­ami­nika oder Anti­de­pres­siva mit einer aus­ge­präg­ten star­ken Anti­hist­amin-Wir­kung ver­schrie­ben. „Bei schlech­tem Schlaf haben die Frauen erhöhte Stress­be­las­tung. Das ist unbe­dingt zu ver­mei­den“, erklärt Reiner-Lawugger.

Rasche Erfolge bei der Behand­lung von depres­si­ven Schwan­ge­ren stel­len sich dann ein, wenn die Betrof­fe­nen früh­zei­tig Hilfe suchen und anneh­men. Nach sechs bis zwölf Mona­ten Betreu­ung kann der über­wie­gende Teil der Frauen – sofern es sich nicht um eine chro­ni­sche Grund­er­kran­kung han­delt – die Medi­ka­mente wie­der abset­zen. Wich­tig sei, so Rei­ner-Lawug­ger, auf die Kin­der nicht zu ver­ges­sen. „Kin­der von chro­nisch psy­chisch Kran­ken sind sehr belas­tet und müs­sen betreut wer­den.“ Daher seien Ver­laufs­kon­trol­len von Frauen, die in der Schwan­ger­schaft an einer Depres­sion gelit­ten haben, wich­tig. Hört­nagl wünscht sich dafür auch eine inten­sive Ver­net­zung zwi­schen Gynä­ko­lo­gen, Päd­ia­tern, Haus­ärz­ten und Psychiatern.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2023