Onko­lo­gi­sche Nach­sorge: Sys­tem­er­kran­kung Krebs

16.03.2023 | Medizin

Bei der Nach­sorge von Pati­en­ten mit einer Tumor­er­kran­kung muss jedes neu auf­tre­tende Sym­ptom auch im Hin­blick dar­auf abge­klärt wer­den. Gene­rell muss ein ver­mehr­tes Bewusst­sein dafür geschaf­fen wer­den, dass Krebs eine Sys­tem­er­kran­kung ist, die Schei­dungs­rate erhöht und zum Ver­lust des Arbeits­plat­zes füh­ren kann. 

Mar­tin Schiller

Lau­fende Auf­merk­sam­keit gegen­über mög­li­chen Sym­pto­men des Tumors und Auf­merk­sam­keit, dass die meis­ten Pati­en­ten alters­be­dingt oder durch bestehende sys­te­mi­sche Erkran­kun­gen gut ein­ge­stellt sein müs­sen – das sind zwei wesent­li­che Berei­che der onko­lo­gi­schen Nach­sorge. „Jedes neue Sym­ptom muss auf einen Zusam­men­hang mit einer Tumor­er­kran­kung, die der Pati­ent bereits hatte, abge­klärt wer­den“, sagt Univ. Prof. Richard Greil von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Salzburg.

Auf all­ge­meine Tumor­vor­sorge achten

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Punkt sei das Durch­füh­ren der all­ge­mei­nen Tumor­vor­sorge und Prä­ven­tion. Warum? Ein Pati­ent mit einer Tumor­er­kran­kung hat eine 20- bis 25-pro­zen­tige Wahr­schein­lich­keit, par­al­lel einen zwei­ten Tumor zu haben oder zu bekom­men. Greil nennt ein Bei­spiel dazu: „Einer Frau mit einer Tumor­er­kran­kung, die kein Mam­ma­kar­zi­nom hat, sollte des­we­gen ver­mit­telt wer­den, dass ein Mam­mo­gra­fie­scree­ning wich­tig ist, weil das Risiko für eine zweite oder dritte Tumor­er­kran­kung besteht.“

Ein wich­ti­ges und auch kom­ple­xes Thema bei der onko­lo­gi­schen Nach­sorge ist das Fati­gue-Syn­drom, wie Univ. Prof. Felix Keil von der 3. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung am Hanusch­Kran­ken­haus in Wien fest­hält. „Durch Strah­len­the­ra­pie oder Che­mo­the­ra­pie kön­nen Erschöp­fungs­zu­stände, Müdig­keit und Antriebs­lo­sig­keit aus­ge­löst wer­den. In eini­gen Fäl­len kommt es zur Chro­ni­fi­zie­rung die­ser Zustände.“ Aus­lö­ser für Fati­gue kann eine Anämie sein, die infolge einer funk­tio­nel­len Stö­rung des Eisen­ein­baus auf­tritt. „Unter­su­chun­gen im Rah­men der Nach­sorge umfas­sen dies­be­züg­lich die Abklä­rung eines Eisen­man­gels und eine Unter­su­chung auf funk­tio­nel­len Eisen­man­gel“, sagt Keil. Auch endo­kri­no­lo­gi­sche Beein­träch­ti­gun­gen kön­nen Ursa­che des Fati­gue-Syn­droms beim onko­lo­gi­schen Pati­en­ten sein. Außer­dem solle ein Augen­merk auf die mög­li­chen Fol­gen von Fati­gue gelegt wer­den: „Viele Pati­en­ten machen infolge des­sen kaum noch Bewe­gung, was wie­derum die Ent­ste­hung von Über­ge­wicht und Adi­po­si­tas för­dern kann.“ Auch Immo­bi­li­sie­rung oder funk­tio­nelle Ein­schrän­kun­gen infolge der Grund­krank­heit kön­nen zu Bewe­gungs­man­gel und Ent­wick­lung von Über­ge­wicht führen.

Osteo­po­rose als Spätfolge

Vor allem bei Frauen, die an einem Mam­ma­kar­zi­nom erkrank­ten, kann als Spät­folge Osteo­po­rose auf­tre­ten. „26 Pro­zent ent­wi­ckeln in den fol­gen­den 15 Jah­ren Frak­tu­ren. Die Auf­merk­sam­keit für die­ses Thema ist des­halb enorm wich­tig“, betont Greil. Keil nennt den Man­gel an Vit­amin D und hor­mo­nelle Beein­träch­ti­gun­gen als häu­figste Gründe. „Gerade bei jun­gen onko­lo­gi­schen Pati­en­tin­nen kann es durch eine frühe Ein­stel­lung der hor­mo­nel­len Tätig­keit zu einer ver­früh­ten Meno­pause kom­men, wodurch sich das Osteo­po­rose-Risiko deut­lich erhöht.“ Wei­ters sollte beson­ders auf die mög­li­che Ent­ste­hung einer Hüft­kopf­ne­krose infolge von Ste­ro­idein­nahme oder der Strah­len­the­ra­pie geach­tet werden.

Stress­test für die Partnerschaft

In der Phase der Tumor­er­kran­kung kommt es bei rund einem Drit­tel der Pati­en­ten zur Schei­dung. „Das zeigt, wie sehr eine onko­lo­gi­sche Erkran­kung zum Stress­test für Part­ner­schaf­ten wird“, so Greil. Ein erheb­li­cher Teil der Pati­en­ten weise als Kon­se­quenz aus der Tumor­er­kran­kung schwere Stö­run­gen der Sexu­al­funk­tion auf. Auch die Aus­wir­kun­gen von The­ra­pien auf das Kör­per­ge­fühl und das Selbst­wert­ge­fühl müss­ten den Aus­sa­gen der Exper­ten zufolge berück­sich­tigt wer­den. Greil dazu: „Bei Män­nern sorgt dies­be­züg­lich sehr oft das Pro­sta­ta­kar­zi­nom für eine Beein­träch­ti­gung, bei Frauen der Ein­satz einer anti­hor­mo­nel­len The­ra­pie. Daher ist eine psy­chi­sche und sexu­al­me­di­zi­ni­sche Nach­be­treu­ung oft­mals notwendig.“


Onko­-Kar­dio­lo­gie

„Die Onko-Kar­dio­loi­gie spielt vor allem bei Pati­en­ten, die in kura­ti­ver Inten­tion behan­delt wer­den, eine zen­trale Rolle“, berich­tet Greil. Die­ser Aspekt müsse vor allem beim Ein­satz von mono­klon­a­len Anti­kör­pern beach­tet wer­den; beson­ders bei koexis­ten­ten Risi­ko­fak­to­ren. Keil nennt als Bei­spiel den Ein­satz des kar­dio­to­xi­schen Zyto­sta­ti­kums Anthr­acy­clin. „Hier ist eine kar­dio­lo­gi­sche Nach­sorge jeden­falls erfor­der­lich“. Und Greil schränkt ein: „Je höher die Lebens­er­war­tung durch den the­ra­peu­ti­schen Fort­schritt wird und je mehr neue Sub­stan­zen zum Ein­satz kom­men, umso kom­ple­xer wird die Nach­sorge“. So sei es schwie­rig, die „enorme Zahl an Medi­ka­men­ten“, die jedes Jahr neu dazu kämen, zu über­bli­cken. Und min­des­tens genauso schwie­rig sei es auch, die Neben­wir­kun­gen, die oft erst nach eini­gen Jah­ren auf­tre­ten kön­nen, im Auge zu behalten.


Aus Sicht von Greil müsse ein ver­stärk­tes Bewusst­sein geschaf­fen wer­den, dass Krebs eine Sys­tem­er­kran­kung ist und den Men­schen auch in sei­ner sozia­len Umge­bung betrifft. Das hat oft weit­rei­chende beruf­li­che Kon­se­quen­zen. „Viele Betrof­fene ver­lie­ren ihren Arbeits­platz oder kön­nen nur teil­weise oder schwer in ihren Beruf zurück­keh­ren. In eini­gen Fäl­len ist auch ein Berufs­wech­sel not­wen­dig.“ Dar­aus könn­ten sich finan­zi­elle Här­te­fälle und Armuts­ge­fähr­dung erge­ben – vor allem, wenn gleich­zei­tig die Part­ner­schaft in die Brü­che gegan­gen ist. Ins­ge­samt wür­den diese Aspekte ver­deut­li­chen, dass der Fokus bei der Nach­sorge auch Sozi­al­me­di­zin und psy­chi­sche Betreu­ung umfas­sen müsse. „Auch Lebens­stil­be­ra­tung und sport­me­di­zi­ni­sche Bera­tung wären wich­tig. Das führt jedoch unwei­ger­lich zur Frage, wie man die Zeit dafür auf­bringt“, sagt Greil.

Ver­sor­gung in der Schnittstelle

Im Rah­men der onko­lo­gi­schen Nach­sorge sieht Keil Bedarf bei der Schnitt­stel­len­ver­sor­gung. Fol­gende Tätig­kei­ten könn­ten sei­ner Ansicht nach über­nom­men werden:

  • Koor­di­na­tion der medi­zi­ni­schen Nach­sorge- und Vorsorgeuntersuchungen
  • Koor­di­na­tion von Rehabilitationsanträgen
  • Über­prü­fung des Ver­si­che­rungs­sta­tus und gege­be­nen­falls Inter­ven­tion bei Versicherungsträgern
  • Orga­ni­sa­tion etwa­iger feh­len­der Vor­be­funde von den Schnittstellen
  • Pra­xis­un­ter­stüt­zung bei der Bean­tra­gung sozia­ler Leistungen

Als Bei­spiel für die Bedeu­tung der Schnitt­stel­len­ver­sor­gung nennt Keil die Nach­sorge für Men­schen, die als Jugend­li­che eine onko­lo­gi­sche Erkran­kung hat­ten und einige Jahre spä­ter in die Erwach­se­nen­be­treu­ung über­nom­men wer­den. Außer­dem könn­ten nach Rück­spra­che und Aus­tausch mit spe­zia­li­sier­ten Zen­tren auch Teile der Nach­sorge in einer lau­fen­den The­ra­pie über­nom­men wer­den: „Es ist vor­stell­bar, dass Teile der Nach­sorge aus­ge­la­gert wer­den, wenn eine Spe­zia­li­sie­rung besteht, zum Bei­spiel auf Neben­wir­kun­gen von der The­ra­pie eines Mam­ma­kar­zi­noms. Aller­dings erfor­dert jedes Organ­sys­tem eine eigene Spe­zia­li­sie­rung. Alles aus­zu­la­gern ist des­halb nicht möglich.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2023