Interview Günther Steger: Jahrestagung der ÖGS – Änderungen der Therapie-Standards

10.09.2023 | Medizin

In den vergangenen Jahren konnten markante Änderungen der Therapie-Standards bei low-HER2-Expression, triple-negativem Mammakarzinom und luminalem Karzinom erzielt werden, sagt Univ. Prof. Günther Steger bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Senologie Anfang September in Wien. Das Gespräch führte Martin Schiller.

Welche Therapiefortschritte gibt es für Frauen mit einem Mammakarzinom? Mammakarzinome mit einer low-HER2-Expression waren bisher von einer Immuntherapie ausgenommen, nur HER2-Hochexprimierer wurden als empfindlich für die HER2-Antikörpertherapie eingestuft. Die low-HER2-Expression wird jedoch seit kurzem als Sub-Entität angesehen und daraus ergeben sich markante Änderungen in den Therapie-Standards. Durch die Entwicklung des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats Trastuzumab-Deruxtecan kann nun bei niedriger Expression des HER2-Rezeptors eine signifikante Lebensverlängerung in der Palliativtherapie erzielt werden. Ungefähr 30 Prozent der Betroffenen kommen für diese Therapie in Frage.

Wie sieht es bei der Behandlung des triple-negativen Mammakarzinoms aus? Bis vor kurzem stand für die Betroffenen nur eine ungezielte zytostatische Chemotherapie zur Verfügung. Wenn im Frühstadium neoadjuvant behandelt wurde und eine Komplettremission erzielt werden konnte, bestand zwar eine gute Prognose, aber insgesamt waren die Metastasierungsraten und infolgedessen auch die Mortalität hoch. Das könnte sich durch neu entwickelte Immuntherapien ändern, die sich gegen das PD-1-Molekül beziehungsweise dessen Ligand PD-L1 richten. Diese Molekülstruktur induziert nicht nur Apoptose, sondern versieht Tumorzellen gewissermaßen mit einer Tarnkappe, sodass sie durch die körpereigene Immunität nicht erkannt werden können.

Wo setzt diese neue Immuntherapie konkret an? Die neuen PD-1- und PD-L1-Antikörper durchbrechen in Kombination mit Chemotherapie diese Tarnung und machen damit die Tumorzellen für Immunantworten des Körpers empfindlich. Erste Studiendaten haben vergangenes Jahr Erfolge dokumentiert. Bei der neoadjuvanten und adjuvanten Therapie konnten bessere Ansprech- und Überlebensraten erzielt werden. Bei der Palliation ist es gelungen, die symptomarme Überlebenszeit zu verlängern. Es handelt sich also um einen deutlichen Fortschritt in einem prognostisch bislang schlechten Kollektiv. Diese Therapie ist für rund die Hälfte der Patientinnen mit einem triplenegativen Mammakarzinom geeignet.

Wie ist der Stand der Dinge beim luminalen Karzinom? Beim luminalen Karzinom hat sich eine Verbreiterung der Therapiepalette ergeben. Nachdem bereits die Einführung der CDK4/6-Inhibitoren vor einigen Jahren in Kombination mit Antihormontherapien Erfolge erbracht hat, hat die Entwicklung von PIK3CA-Inhibitoren eine deutliche Verlängerung der Überlebenszeit gezeigt. Ein Überleben mit Krebs über viele Jahre ist somit trotz Metastasierung wieder für mehr Patientinnen Realität geworden. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass immerhin 40 bis 50 Prozent aller luminalen Karzinome eine PIK3CA-Mutation aufweisen.

Welche Möglichkeiten ergeben sich durch die Behandlung mit CDK4/6-Inhibitoren? Besonders erfreulich sind rezente Daten aus der MonarchE-Studie und aus der NATALEE-Studie. Sie haben für den adjuvanten postoperativen Einsatz von Abemaciclib und Ribociclib eine Verringerung der Inzidenz von Metastasierung ergeben – und das hochsignifikant sowohl in der Risikogruppe der Lymphknoten-positiven Personen als auch bei den Lymphknoten-negativen Patientinnen. Zusammen mit Antihormontherapie ergeben diese CDK4/6-Inhibitoren einen signifikanten Vorteil hinsichtlich eines rezidivfreien Überlebens und auch für absolutes Überleben.

Wie sieht es mit einer Schwangerschaft trotz Mammakarzinom aus? Ein großer Durchbruch ist die Tatsache, dass wir Frauen im gebärfähigen Alter und mit Kinderwunsch nun trotz Mammakarzinom und laufender antihormoneller Therapie die Möglichkeit zur Induzierung einer Schwangerschaft geben können. Eine adjuvante postoperative antihormonelle Therapie ist mindestens fünf, manchmal auch zehn Jahre notwendig. Für viele betroffene Frauen ist danach keine Familienplanung mehr möglich.

Worauf basiert nun diese neue Erkenntnis? In einer Studie wurde untersucht, ob es möglich ist, diese antihormonelle Therapie nach ein bis zwei Jahren zu unterbrechen, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, schwanger zu werden und kurz zu stillen. Im Anschluss sollte die Antihormontherapie wieder aufgenommen werden. Die Ergebnisse zeigen Erfreuliches: Aus den Daten geht weder für die werdende Mutter im Hinblick auf das Mammakarzinom noch für die Kinder bezüglich Fehlgeburtenrate ein signifikantes Risiko hervor. Das Mammakarzinom ist also keine Kontraindikation für eine Schwangerschaft, selbst dann nicht wenn eine laufende Antihormontherapie für weitere Jahre notwendig ist.

Gibt es neben BRCA1 und BRCA2 weitere Risiko-Gene? Dank des Next Generation Sequencing konnte man neben den Risikomutationen an den Genen BRCA1 und BRCA2 eine Reihe von weiteren Risiko-Genen entdecken. Diese Kandidaten-Gene betreffen insgesamt schon zehn Prozent aller Mammakarzinome. Das ist ein Fortschritt, aber noch kein Durchbruch in der Genetik.

Wie sollte man vorgehen, wenn eine Risikomutation identifiziert wurde? Nachdem festgestellt worden ist, dass eine Mammakarzinom-Patientin oder eine Ovarialkarzinom-Patientin einen genetischen Risikofaktor hat, sollte bei allen volljährigen Nachkommen der ersten und zweiten Linie ein genetischer Test durchgeführt werden, auch bei den männlichen. Warum? Auch die Männer sind Träger des betreffenden Gens und weisen ein erhöhtes Risiko für ein männliches Mammakarzinom, ein Pankreaskarzinom, ein Gallenblasenkarzinom und eventuell auch ein Prostatakarzinom auf. Außerdem geben auch Männer das Gen mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit an alle ihre Nachkommen, also sowohl an Töchter als auch an Söhne weiter. Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir über die Möglichkeit des genetischen Tests aufklären und diese noch bekannter machen.

Ist die Zahl der Mammographie-Untersuchungen nach dem Pandemie-bedingten Rückgang mittlerweile wieder angestiegen? Die Mammographie-Frequenz ist in den ersten beiden Jahren der Pandemie um 20 bis 30 Prozent gesunken. Heute sind wir zwar wieder auf dem Niveau der Zeit vor der Pandemie. Die Auswirkungen der aufgeschobenen Untersuchungen zeigen sich aber bereits, denn die durchschnittliche Tumorgröße bei der Diagnose hat zugenommen. Deshalb ist anzunehmen, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren die Metastasierungsfrequenz, die mit der Tumorgröße korreliert, zunehmen wird. In weiterer Folge ist in fünf bis zehn Jahren von einem Anstieg der Mortalität auszugehen. Erst danach wird die Sterblichkeit vermutlich wieder abnehmen, weil man die Frequenz des Mammographie-Screenings reinstitutionalisiert hat.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2023