Gerin­nungs­stö­run­gen im Alter: Risiko mit stei­gen­der Tendenz

10.02.2023 | Medizin

Mit zuneh­men­dem Alter steigt das Risiko für Stö­run­gen der Hämo­stase. Zu den Risi­ko­fak­to­ren für eine ver­stärkte Gerin­nung und throm­bo­em­bo­li­sche Kom­pli­ka­tio­nen zäh­len Über­ge­wicht, Bewe­gungs­man­gel und Vari­zen. Das Risiko für tiefe Venen- throm­bo­sen steigt ab dem 60. Lebens­jahr mit jedem wei­te­ren Lebensjahr.

Manuela‑C. War­scher

Auf­grund der ver­än­der­ten Gerin­nung im Alter kann es ent­we­der zu einer ver­stärk­ten Blu­tungs­nei­gung oder zu Throm­bo­sen kom­men“, sagt Univ. Prof. Ingrid Pabin­ger- Fasching von der Abtei­lung für Häma­to­lo­gie und Hämo­sta­seo­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Einer­seits sind Gerin­nungs­stö­run­gen mit blu­tungs­be­ding­ten Kom­pli­ka­tio­nen ent­we­der auf eine kör­per­ei­gene Funk­ti­ons­stö­rung wie onko­lo­gi­sche Erkran­kun­gen oder Erkran­kun­gen des Immun­sys­tems zurück­zu­füh­ren oder sie tre­ten als Neben­wir­kung von Arz­nei mit­teln wie Mar­cou­mar, Aspi­rin oder direk­ten Anti­ko­agu­lan­tien, aber auch nach der Ein­nahme von nicht ste­ro­ida­len Anti­rheu­ma­tika (NSAR) oder Anti­de­pres­siva (SSRI) auf. Immu­no­lo­gisch-getrig­gerte erwor­bene Gerin­nungs­stö­run­gen kom­men so sel­ten vor, dass man sie meist über­sieht, gibt Assoz. Prof. Cle­mens Feis­trit­zer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin V in Inns­bruck zu beden­ken. Aus­schlag­ge­bend sind einer­seits das Aus­maß und ande­rer­seits die Loka­li­sa­tion der Blu­tun­gen. Cha­rak­ter istisch für throm­bo­zy­täre Defekte sind bei­spiels­weise pete­chiale Blu­tun­gen, für plas­ma­ti­sche Defekte flä­chen­hafte Blu­tun­gen. „Für das sel­tene erwor­bene Wil­le­brand-Syn­drom sind Blu­tun­gen nach Ope­ra­tio­nen oder in Weich­teile, auch Häma­tome typisch“, so Pabin­ger-Fasching. Eine erwor­bene Hämo­phi­lie A tritt „klassischerweise“verstärkt bei Män­nern ab 60 Jah­ren auf. „Auto­im­mun­be­dingte Gerin­nungs­stö­run­gen tre­ten im Alter nicht sel­ten neu auf und sind in die­ser Alters­gruppe wesent­lich kri­ti­scher als bei Jun­gen“, betont Pabinger-Fasching.

Ande­rer­seits tra­gen bestimmte Risi­ko­fak­to­ren zur ver­stärk­ten Gerin­nung des Blu­tes und zu throm­bo­em­bo­li­schen Kom­pli­ka­tio­nen bei. Dazu zäh­len neben Über­ge­wicht auch Vari­zen. Ab dem 60. Lebens­jahr nimmt die Zahl der tie­fen Venen­throm­bo­sen zu und dann steigt laut Pabin­ger-Fasching das Risiko „mit jedem Lebens­jahr“. Bei der Dia­gnose selbst hel­fen die „typi­schen Sym­ptome“ (bei­spiels­weise Schmer­zen in einem Bein, Schwel­lung oder bei einer Pul­mo­n­al­em­bo­lie Atem­not und Schmer­zen beim Atmen), Labor (D‑Dimer Bestim­mung) und bild­ge­bende Ver­fah­ren, Ultra­schall bei der Bein­ve­nen­thorm­bose oder Spi­ral-CT bei Lungenembolie.

Dis­se­mi­nierte intra­va­sale Gerin­nung selten

Alters­ty­pisch, aber „extrem sel­ten“ ist die dis­se­mi­nierte intra­va­sale Gerin­nung (DIC) bei mali­gnen Tumo­ren wie bei­spiels­weise beim Mucin-sezer­nie­ren­den Ade­no­kar­zi­nom des Pan­kreas, der Pro­stata oder die akute Pro­mye­lo­zy­ten-Leuk­ämie. Dabei expri­mie­ren Tumor­zel­len Gewebs­throm­bo­plas­tin. Ent­wi­ckelt sich eine DIC kurz­fris­tig wie bei der Pro­mye­lo­zy­ten­leuk­ämie, zieht sie Blu­tun­gen nach sich. Bei einer chro­ni­schen dis­se­mi­nier­ten intra­va­sa­len Gerin­nung bei Kar­zi­no­men kann es auch zu venö­sen throm­bo­ti­schen oder embo­li­schen Ereig­nis­sen kom­men. „Typisch ist, dass ein Pati­ent mit metasta­sier­tem Pro­sta­ta­kar­zi­nom plötz­lich eine Blu­tungs­nei­gung mit Häma­to­men auf­weist“, berich­tet Pabin­ger-Fasching. Bei der auto­im­mu­no­lo­gisch beding­ten Immun-Throm­bo­zy­to­pe­nie gibt es neben einem Erkran­kungs­gip­fel im Kin­des- und Jugend­al­ter einen wei­te­ren im höhe­ren Lebens­al­ter mit einem „wesent­lich höhe­ren Blu­tungs­ri­siko“, wie die Exper­tin betont. Auch ist der Ver­lauf der Erkran­kung im Erwach­se­nen­al­ter häu­fi­ger chro­nisch. So liege die Mor­ta­li­tät bei schwe­rer Throm­bo­zy­to­pe­nie bei Per­so­nen über 60 Jah­ren bei über zehn Pro­zent. Pabin­ger-Fasching rät zur Vor­sicht bei der Gabe von Kor­ti­son bei Pati­en­ten, die an Dia­be­tes mel­li­tus lei­den und gibt auch das erhöhte Osteo­po­ro­se­ri­siko zu beden­ken: „Auch Throm­bo­poe­tin-Rezep­tor-Ago­nis­ten wir­ken nicht bei allen Pati­en­ten.“ Die Behand­lung der Erkran­kung bleibe daher beim ger­ia­tri­schen Pati­en­ten eine „Her­aus­for­de­rung“ und bei Ver­dacht auf ITO ist eine grund­sätz­li­che häma­to­lo­gi­sche Abklä­rung ange­zeigt, so die bei­den Experten.

Im Gegen­satz zur Immun­throm­bo­zy­to­pe­nie und ande­ren Gerin­nungs­stö­run­gen tritt die Pur­pura seni­lis bei älte­ren Men­schen sehr häu­fig auf. Die Pur­pura seni­lis ist keine Gerin­nungs­stö­rung und gekenn­zeich­net durch Pete­chien sowie kleine und grö­ßere Häma­tome am Hand- bezie­hungs­weise Fuß­rü­cken sowie an Vor­der­ar­men und Bei­nen. „Die Pur­pura seni­lis ist nicht nur ästhe­tisch stö­rend, son­dern benö­tig auch lange Zeit, bis sie heilt. Außer­dem bleibt über einen län­ge­ren Zeit­raum ein dunk­ler Fleck“, so Pabin­ger-Fasching. Der Grund für den lan­ge­dau­ern­den Hei­lungs­pro­zess liegt in der alters­be­ding­ten Beschaf­fen­heit der Haut sowie deren feh­len­der oder abneh­men­der Elas­ti­zi­tät. Wor­auf die Exper­tin ganz beson­ders auf-merk­sam macht: „Wich­tig ist, dass kein Leu­ko­plast für den Ver­band ver­wen­det, son­dern eine zarte Kom­presse ver­ord­net wird“. Die Pflege der Haut mit ent­spre­chen­den Cre­men oder Sal­ben sei auch beson­ders wichtig.

Mit­tel der Wahl: Antikoagulation

Bei Vor­hof­flim­mern oder Klap­pen­pro­the­tik ist dau­er­hafte Anti­ko­agu­la­tion das Mit­tel der Wahl – auch bei älte­ren Men­schen. „Den­noch müs­sen in die­ser Pati­en­ten­gruppe ein mög­li­ches Blu­tungs­ri­siko und bestehende Kom­or­bi­di­tä­ten berück­sich­tigt wer­den“, betont Pabin­ger-Fasching. Außer­dem sei die Nie­ren­funk­tion durch Bestim­mung des Krea­tinins ein not­wen­di­ger Ent­schei­dungs­pa­ra­me­ter. „Bei rheu­ma­ti­schen Herz­feh­lern sind Vit­amin K‑Antagonisten Rivaro­x­a­ban vor­zu­zie­hen. Das hat eine rezente Stu­die erge­ben. Mög­li­cher­weise ist dies auch durch Vor­teile auf­grund regel­mä­ßi­ger Kon­trol­len bei den Vit­amin K Ant­ago­nis­ten im Ver­gleich zu den DOAKs bedingt“, führt die Exper­tin aus. Nach Ansicht von Feis­trit­zer stellt die Poly­phar­ma­zie einen der Haupt­gründe für anhal­tende Gerin­nungs­stö­run­gen beim alten Men­schen dar. Daher sollte rou­ti­ne­mä­ßig die lau­fende Medi­ka­tion über­prüft wer­den – beson­ders im Hin­blick dar­auf, ob der­je­nige Aspi­rin oder eine andere Pri­mär­pro­phy­laxe wirk­lich benö­tigt. Feis­trit­zer wei­ter: „Bei vor­lie­gen­der Indi­ka­tion soll die Anti­ko­agu­la­tion oder Plätt­chen­ag­gre­ga­ti­ons­hem­mung unter Berück­sich­ti­gung des Blu­tungs­ri­si­kos ver­ord­net wer­den und die Dosis ent­spre­chend der Beleit­erkran­kun­gen und der jewei­li­gen Zulas­sung anpasst werden“.


Auf einen Blick

1) Die ver­än­derte Gerin­nung im Alter führt ver­mehrt zu Stö­run­gen der Hämo­stase mit blu­tungs­be­ding­ten oder throm­bo­em­bo­li­schen Komplikationen.
2) Onko­lo­gi­sche Erkran­kun­gen, Erkran­kun­gen des Immun­sys­tems oder Arz­nei­mit­tel­ne­ben­wir­kun­gen stel­len Ursa­chen für blu­tungs­be­dingte Ereig­nisse dar.
3) Das Risiko für throm­bo­em­bo­li­sche Erkran­kun­gen nimmt mit dem Alter deut­lich zu und wird durch Über­ge­wicht verstärkt.
4) Die Dia­gnose erfolgt auf­grund der typi­schen Sym­ptome sowie mit Hilfe von Gerin­nungs­tests und bild­ge­ben­den Verfahren.
5) Bei einem alten Men­schen mit Vor­hof­flim­mern, Klap­pen­pro­the­tik, tie­fen Venen­throm­bo­sen oder Lun­gen­em­bo­lie ist eine Anti­ko­agu­la­tion notwendig.


© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2023