Epstein-Barr-Virus: Der stän­dige Begleiter

12.04.2023 | Medizin

Der Höhe­punkt der Inzi­denz für infek­tiöse Mono­nu­kle­ose liegt zwi­schen 15 und 24 Jah­ren, wobei die Infek­tion bei älte­ren Erwach­se­nen sich von der bei Ado­les­zen­ten in der Sym­pto­ma­tik unter­schei­det. Nach der Pri­mär­in­fek­tion per­sis­tiert das Virus lebens­lang und wird immer wie­der asym­pto­ma­tisch über den Oro­pha­rynx ausgeschieden. 

Irene Mle­kusch

Mehr als 90Prozentdererwachsenen Bevöl­ke­rung welt­weit sind sero­po­si­tiv für Epstein-Barr-Virus (EBV)-Antikörper. Zwar fin­det die Pri­mär­in­fek­tion meist im Kin­des­al­ter statt, aber weni­ger als zehn Pro­zent der infi­zier­ten Kin­der ent­wi­ckeln eine kli­nisch rele­vante Sym­pto­ma­tik. „Kin­der ent­wi­ckeln eher sel­ten schwere kli­ni­sche Sym­ptome des Pfeiffer’schen Drü­sen­fie­bers. Der Schwer­punkt der kli­nisch sym­pto­ma­ti­schen Erkran­kung liegt in der Ado­les­zenz oder im jun­gen Erwach­se­nen­al­ter“, erklärt Univ. Prof. Eli­sa­beth Puch­ham­mer-Stöckl vom Zen­trum für Viro­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Der Höhe­punkt der Inzi­denz für Infek­tiöse Mono­nu­kle­ose liegt im Alter von 15 bis 24 Jahren.

Typi­sche Trias

In den meis­ten Fäl­len zeigt sich bei infek­tiö­ser Mono­nu­kle­ose eine Trias von Fie­ber, Pha­ryn­gi­tis und sym­me­tri­scher Lympha­deno­pa­thie. „Belegte Ton­sil­len fin­den sich eher bei Jugend­li­chen und sind im loka­len Befund einer Strep­to­kok­ken-Angina ähn­lich“, fügt Univ. Prof. Vol­ker Stren­ger von der Kli­ni­schen Abtei­lung für all­ge­meine Päd­ia­trie an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Kin­der- und Jugend­heil­kunde in Graz hinzu. Glie­der­schmer­zen, fau­li­ger Mund­ge­ruch, kör­per­li­che Schwä­che und Müdig­keit, ein gene­ra­li­sier­tes Exan­them, orale Haar­leu­ko­pla­kie, pala­ti­nale Pete­chien, peri­or­bi­tale Ödeme, Ikte­rus, Sple­no­me­ga­lie und/​oder Hepato­me­ga­lie kön­nen eben­falls im Rah­men der Erst­in­fek­tion auf­tre­ten. „Die Infek­tion kann theo­re­tisch jedes Organ betref­fen“, merkt Stren­ger an. Ältere Erwach­sene reagie­ren eher mit einer Hepato­me­ga­lie, Ikte­rus und Fie­ber, wäh­rend sich etwa 15 Pro­zent der Ado­les­zen­ten mit nur unspe­zi­fi­schen Sym­pto­men wie Müdig­keit und Leis­tungs­kn­ink prä­sen­tie­ren. Puch­ham­mer-Stöckl emp­fiehlt daher, bei Jugend­li­chen mit sub­fe­bri­len Tem­pe­ra­tu­ren und län­ger andau­ern­der Müdig­keit einer­seits an eine EBV-Infek­tion zu den­ken und ande­rer­seits eine Infek­tion mit dem Zyto­me­ga­lie-Virus als Dif­fe­ren­ti­al­dia­gnose in Betracht zu zie­hen. Nach der Pri­mär­in­fek­tion per­sis­tiert das Virus lebens­lang vor allem in B‑Lymphozyten und wird immer wie­der asym­pto­ma­tisch über den Oro­pha­rynx ausgeschieden.

Dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­tisch kom­men kli­nisch neben bak­te­ri­el­len Infek­tio­nen mit beta­hä­mo­ly­sie­ren­den Strep­to­kok­ken der Gruppe A und Arca­no­bac­te­rium hae­mo­ly­ti­cum auch Infek­tio­nen mit dem Zyto­me­ga­lie-Virus, eine pri­märe HIV-Infek­tion und eine Toxo­plas­mose in Betracht. Bei der Strep­to­kok­ken-Angina fin­det sich jedoch für gewöhn­lich keine aus­ge­prägte Müdig­keit und keine Sple­no­me­ga­lie. Infek­tio­nen mit dem Zyto­me­ga­lie-Virus und Toxo­plasma gon­dii sind in der Regel nicht mit einer schwe­ren Pha­ryn­gi­tis ver­ge­sell­schaf­tet. Trotz­dem soll­ten ein kom­plet­tes Blut­bild und eine Sero­lo­gie erfol­gen, um die Dia­gnose zu sichern.

Rela­tive oder aty­pi­sche Lymphozytose

Häu­fig fin­det sich bei Pati­en­ten mit einer infek­tiö­sen Mono­nu­kle­ose eine rela­tive oder aty­pi­sche Lym­pho­zy­tose, wel­che bei älte­ren Per­so­nen oft weni­ger deut­lich aus­ge­prägt ist. Aty­pi­sche Lym­pho­zy­ten fin­den sich aber ebenso im Rah­men von ande­ren vira­len Infek­tio­nen wie bei­spiels­weise HIV, Röteln, Hepa­ti­tis B oder beim Zyto­me­ga­lie-Virus. Bei Erwach­se­nen kommt es meist zum Anstieg der Tran­sami­na­sen um das Zwei- bis Drei­fa­che der Norm. Puch­ham­mer-Stöckl rät in jedem Ver­dachts­fall zu einer sau­be­ren sero­lo­gi­schen Dia­gnos­tik und dem Nach­weis von EBV-spe­zi­fi­schen Anti­kör­pern. IgM-Anti­kör­per gegen das EBV-Virus­kap­sid-Anti­gen (VCA) fin­den sich bei fast allen Pri­mär­in­fek­tio­nen; sie sind bis zu zehn Wochen nach­weis­bar. Teil­weise sind sie auch bei EBV-Reak­ti­vie­run­gen vor­han­den. IgG-VCA ent­wi­ckeln sich zwar auch früh und per­sis­tie­ren lebens­lang. „Nach­weis­bare IgG-Anti­kör­per sind daher kein Beweis für eine akute Erkran­kung oder Kom­pli­ka­tion, son­dern zei­gen nur, dass die Pati­en­ten in der Ver­gan­gen­heit bereits eine Erst­in­fek­tion mit EBV durch­ge­macht haben“, ver­deut­licht Puch­ham­mer-Stöckl. Die genauere zeit­li­che Ein­ord­nung der Infek­tion gelingt teil­weise durch Anti­kör­per gegen das EBV-spe­zi­fi­sche nukleäre Anti­gen (EBNA), die bei den meis­ten Pati­en­ten erst nach sechs bis acht Wochen nach­ge­wie­sen wer­den kön­nen oder durch spe­zi­fi­sche Avi­di­täts-Tests, mit denen rezente von zurück­lie­gen­den Infek­tio­nen unter­schie­den wer­den können.

Bei mehr als der Hälfte der Erkrank­ten kommt es zu Sple­no­me­ga­lie. Diese erreicht in der zwei­ten und drit­ten Erkran­kungs­wo­che ein Maxi­mum mit einem kaum tast­ba­ren Milz­rand­bo­gen. Sub­kap­su­läre Milz­blu­tun­gen oder spon­tane Milz­rup­tu­ren tre­ten bei Erwach­se­nen bei bis zu 0,5 Pro­zent der Betrof­fe­nen auf. Ein erhöh­tes Risiko für eine Rup­tur fin­det sich bei männ­li­chen Erkrank­ten unter 30 Jah­ren zwi­schen dem vier­ten und 21. Tag nach dem Beginn der Sym­ptome. Stren­ger emp­fiehlt eine Milz­so­no­gra­phie bei stark aus­ge­präg­ter infek­tiö­ser Mono­nu­kle­ose vor allem bei sport­lich akti­ven Pati­en­ten. Er warnt jedoch davor, dass die Sono­gra­phie „nur eine Moment­auf­nahme dar­stellt“ und sich die Milz auch spä­ter im Ver­lauf noch ver­grö­ßern könne. Um das Risiko einer Rup­tur so gering wie mög­lich zu hal­ten, sollte min­des­tens drei Wochen auf Sport ver­zich­tet wer­den. Risi­ko­ar­mer Sport kann danach wie­der­auf­ge­nom­men wer­den. Akti­vi­tä­ten mit einer hohen Ver­let­zungs­ge­fahr und bei denen es zu einer Zunahme des intra­ab­do­mi­nel­len Drucks kommt, soll­ten län­ger gemie­den wer­den. Stren­ger wei­ter: „Für eine Kon­troll-Sono­gra­phie gibt es keine kla­ren Richt­li­nien“. Und bei Kin­dern ohne beson­dere sport­li­che Ambi­tio­nen sei „nach der kli­ni­schen Gene­sung eher keine Kon­trolle nötig.“


Kom­pli­ka­tio­nen

Ver­schie­dene Kom­pli­ka­tio­nen wer­den mit der infek­tiö­sen Mono­nu­kle­ose in Ver­bin­dung gebracht. Dazu zäh­len Atem­wegs­ob­struk­tio­nen, auto­hä­mo­ly­ti­sche oder aplas­ti­sche Anämie, Throm­bo­zy­to­pe­nie, Neu­tro­pe­nie, Hepa­ti­tis, Oti­tis media, Pneu­mo­nie, Neph­ro­pa­thie und Myo­kar­di­tis. Neu­ro­lo­gi­sche Kom­pli­ka­tio­nen sind sel­ten, kön­nen aber zwei bis vier Wochen nach den Initi­al­sym­pto­men auf­tre­ten. Virus-Enze­pha­li­tis, Gesichts- und Hirn­ner­ven­läh­mung, Guil­lain-Barré-Syn­drom, Menin­gi­tis, Mye­li­tis, peri­phere und opti­sche Neu­ri­tis sind unter Umstän­den mög­lich. Außer­dem wird wahr­schein­lich das Alice-Im-Wun­der­land-Syn­drom bei Kin­dern durch eine Infek­tion getrig­gert. Ful­mi­nante oder töd­lich ver­lau­fende Pri­mär­in­fek­tio­nen mit EBV kom­men bei immun­kom­pe­ten­ten Per­so­nen sehr sel­ten vor. „Bei einer über­schie­ßen­den Immun­ak­ti­vie­rung kann es zu einer hämo­pha­go­zy­ti­schen Lym­pho­his­to­zy­tose kom­men“, berich­tet Stren­ger. Die Leta­li­tät die­ser Erkran­kung liegt im Kin­des­al­ter bei 75 Prozent.

Spät­fol­gen

EBV ist asso­zi­iert mit der Ent­wick­lung von mali­gnen Erkran­kun­gen wie dem Bur­kitt-Lym­phom, bestimm­ten For­men des Hodgkin-Lym­phoms, dem ana­plas­ti­schen Nas­opha­rynx-Kar­zi­nom, bestimm­ten Magen­kar­zi­no­men, lym­phop­roli­ve­ra­ti­ven Erkran­kun­gen und bestimm­ten B‑Zell-Tumo­ren bei immun­ge­schwäch­ten Per­so­nen. Außer­dem ist die infek­tiöse Mono­nu­kle­ose ein mög­li­cher Trig­ger für das Chro­nic Fati­gue Syndrom.

Gene­ti­sche Prädisposition

Bis­her war unklar, warum einige immun­kom­pe­tente Men­schen nach einer Infek­tion mit EBV an infek­tiö­ser Mono­nu­kle­ose erkran­ken bezie­hungs­weise Reak­ti­vie­run­gen und Erst­in­fek­tio­nen bei Pati­en­ten nach Trans­plan­ta­tio­nen zu einem Post­trans­plan­ta­ti­ons­lym­phom füh­ren kön­nen. In einer kürz­lich publi­zier­ten Stu­die konnte ein Zusam­men­hang zwi­schen kli­nisch evi­den­ten EBV-asso­zi­ier­ten Erkran­kun­gen und Varia­tio­nen in der inhi­bi­to­ri­schen NKG2A/​LMP‑1/​HLA‑E Achse gezeigt wer­den. Puch­ham­mer-Stöckl dazu: „Tref­fen ein spe­zi­el­ler EBV-Stamm und eine ent­spre­chende mensch­li­che Gen-Varia­tion auf­ein­an­der, hat man ein deut­lich erhöh­tes Risiko, sym­pto­ma­tisch zu erkran­ken, auch wenn man sehr gesund lebt.“


Ver­lauf meist selbstlimitierend

In den meis­ten Fäl­len ver­läuft eine infek­tiöse Mono­nu­kle­ose selbst­li­mi­tie­rend. Stren­ger gibt aber zu beden­ken, dass man­che Pati­en­ten nach einer EBV-Infek­tion län­ger benö­ti­gen, um sich zu erho­len. Die The­ra­pie wie­derum ist rein sym­pto­ma­tisch. Wäh­rend der aku­ten Krank­heits­phase wird Scho­nung drin­gend ange­ra­ten. Par­acet­amol sollte wegen der Beein­träch­ti­gung der Leber­funk­tion nicht ver­ab­reicht wer­den und Ace­tyl­sa­li­cyl­säure ist bei Kin­dern kon­tra­in­di­ziert wegen des Risi­kos für ein Reye-Syn­drom. Puch­ham­mer-Stöckl wei­ter: „Die Gabe von Amino-Peni­cil­li­nen ist zu ver­mei­den, da es bei infek­tiö­ser Mono­nu­kle­ose zu einem gene­ra­li­sier­ten Exan­them kom­men kann.“ Kor­ti­kos­te­ro­ide kön­nen bei Pati­en­ten mit Pha­rynx­schwel­lung und Atem­not, kar­dia­len oder neu­ro­lo­gi­schen Beschwer­den sowie hämo­ly­ti­scher Anämie ver­ord­net werden.

„EBV-Reak­ti­vie­run­gen fin­den häu­fig statt. Sie ver­lau­fen meis­tens asym­pto­ma­tisch“, berich­tet die Exper­tin. Und Stren­ger ver­weist dar­auf, dass vor allem Pati­en­ten nach Organ- oder Stamm­zell­trans­plan­ta­tion im Rah­men einer EBV-Reak­ti­vie­rung schwer erkran­ken kön­nen. EBV steht im Zusam­men­hang mit einem Groß­teil aller Post-Trans­plan­ta­ti­ons-Lym­phome (PTLD, Post Trans­plan­ta­ti­ons-Lym­phom-Dis­or­der). Puch­ham­mer-Stöckl betont, dass vor allem sero­ne­ga­tive Kin­der und Jugend­li­che nach einer Trans­plan­ta­tion gefähr­det sind, im Zuge einer EBV-Pri­mär­in­fek­tion an einem Post-Trans­plan­ta­ti­ons-Lym­phom zu erkran­ken. Auch hier kann die Erkran­kung durch das Trans­plan­tat eines EBV-posi­ti­ven Spen­ders aus­ge­löst wer­den. „Eng­ma­schige Kon­trol­len der Virus­last sind bei Pati­en­ten post Trans­plan­ta­tion erfor­der­lich, um die Ent­wick­lung einer PTLD recht­zei­tig zu erken­nen“, merkt Puch­ham­mer-Stöckl an.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2023