Clus­ter-Kopf­schmerz: Geblock­ter Schmerz

10.02.2023 | Medizin

Bis zur Dia­gnose „Clus­ter-Kopf­schmerz“ ver­ge­hen in vie­len Fäl­len bis zu sie­ben Jahre. Die Schmer­zen tre­ten meist geblockt auf nach mit­un­ter jah­re­lan­gen beschwer­de­freien Inter­val­len. Beden­ken, wonach inner­halb einer Epi­sode zuviel Trip­tane ver­schrie­ben wer­den könn­ten, sind den Aus­sa­gen von Exper­ten zufolge nicht berechtigt.

Mar­tin Schiller

Clus­ter-Kopf­schmer­zen tre­ten als geblockte Epi­sode mit zwi­schen­zeit­lich oft mona­te­lan­gen oder sogar jah­re­lan­gen Schmerz­pau­sen auf. Die Beschwer­den äußern sich typi­scher­weise ein­sei­tig und füh­ren beim Pati­en­ten zu einer enor­men Bewe­gungs­un­ruhe („pacing around“). „Diese Unruhe ist ein spe­zi­fi­sches Cha­rak­te­ris­ti­kum und ein wich­ti­ges Unter­schei­dungs­kri­te­rium zu Migräne“, sagt Assoz. Prof. Karin Zeben­hol­zer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Neu­ro­lo­gie in Wien. Der Schmerz sei extrem hef­tig und trete – im Gegen­satz zu Migräne – stets auf der glei­chen Seite des Kop­fes auf. Nach einem schmerz­freien Inter­vall ist ein Sei­ten­wech­sel mög­lich. Die Inten­si­tät des Schmer­zes führt laut Priv. Doz. Franz Rie­de­rer vom Uni­ver­si­täts­spi­tal Bern (und vor­mals Kran­ken­haus Wien-Hiet­zing) bei eini­gen Pati­en­ten dazu, „dass sie mit dem Kopf gegen die Wand schla­gen möch­ten, um Lin­de­rung zu erfah­ren.“ Die Atta­cken kom­men sehr häu­fig nachts, wie Zeben­hol­zer erklärt: „Die Pati­en­ten wachen häu­fig rund ein­ein­halb Stun­den nach dem Ein­schla­fen wegen des star­ken Schmer­zes auf. Auch gegen den Mor­gen hin sind Atta­cken typisch.“

Bei der Ana­mnese spielt die Erhe­bung von auto­no­men Begleit­sym­pto­men eine wich­tige Rolle: Lakri­ma­tion, gerö­tete Augen oder ver­engte Pupil­len, Rhi­nor­rhoe, nasale Kon­ges­tion und Pto­sis jeweils auf jener Seite, auf der auch der Kopf­schmerz auf­tritt. Auch Migräne-artige Sym­ptome wie Aura, Übel­keit, Phono- und Pho­to­pho­bie sind mög­lich. Zu beob­ach­ten ist außer­dem eine indi­vi­du­ell unter­schied­li­che Häu­fung in bestimm­ten Jahreszeiten.

In vie­len Fäl­len tritt der Clus­ter-Kopf­schmerz erst­mals zwi­schen dem 20. und 30. Lebens­jahr auf. Die Ein-Jah­res-Prä­va­lenz liegt bei 0,1 bis 0,2 Pro­zent; bei zehn bis 15 Pro­zent der Betrof­fe­nen kommt es zur Chro­ni­fi­zie­rung. Ganz gene­rell sind Män­ner häu­fi­ger vom Clus­ter-Kopf­schmerz betrof­fen als Frauen; das Ver hält­nis beträgt 3:1. Eine ein­deu­tige Ursa­che für die Erkran­kung konnte bis jetzt nicht ermit­telt wer­den, wie Rie­de­rer erklärt: „Es gibt fami­liäre For­men und eine fami­liäre Häu­fung, aber ein Clus­ter-Kopf­schmerz­gen ist bis­her nicht ent­deckt wor­den.“ So hat sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die These durch­ge­setzt, dass der Hypo­tha­la­mus betei­ligt ist. Ins­ge­samt müsse man davon aus­ge­hen, dass es sich bei der Ent­ste­hung des Clus­ter-Kopf­schmer­zes um einen „kom­ple­xen“ Vor­gang handle. Zeben­hol­zer ergänzt, dass bis­lang keine äußer­li­chen Fak­to­ren als Aus­lö­ser einer Epi­sode bekannt sind und räumt mit einem immer noch gras­sie­ren­den Mythos auf: „Zahn­schä­den oder Kie­fer­schä­den lösen kei­nen Clus­ter-Kopf­schmerz aus. Erwie­sen ist jedoch, dass Alko­hol inner­halb einer Clus­ter-Epi­sode Aus­lö­ser für die nächste Atta­cke dar­stellt. Schon kleinste Men­gen Alko­hol kön­nen eine Atta­cke trig­gern. Die meis­ten Pati­en­ten ver­zich­ten daher ganz dar­auf“, so Zebenholzer.

Bis zur Dia­gnose „Clus­ter-Kopf­schmerz“ ver­ge­hen in man­chen Fäl­len bis zu sie­ben Jahre. Sowohl Zeben­hol­zer als auch Rie­de­rer beto­nen daher, wie wich­tig es ist, das Bewusst­sein für die Erkran­kung zu schär­fen. Besteht auf­grund der Sym­ptome und der typi­schen Chro­no­bio­lo­gie der Ver­dacht auf einen Clus­ter-Kopf­schmerz, spre­chen sich beide Exper­ten für eine Bild­ge­bung mit­tels MRT aus, um eine andere orga­ni­sche Ursa­che für die Beschwer­den aus­zu­schlie­ßen. „In sel­te­nen Fäl­len lie­gen näm­lich Ver­än­de­run­gen vor allem in der hin­te­ren Schä­del­grube vor, die die Sym­ptome aus­lö­sen kön­nen“, sagt Zeben­hol­zer. Im Gegen­satz dazu könne eine Migräne bei einer typi­schen Migräne-Ana­mnese und unauf­fäl­li­gem neu­ro­lo­gi­schen Sta­tus den Aus­sa­gen des Exper­ten zufolge meist rein kli­nisch und ohne Bild­ge­bung dia­gnos­ti­ziert werden.

Klas­si­sche Analge­tika seien laut Zeben­hol­zer bei der Akut­the­ra­pie des Clus­ter-Kopf­schmer­zes nicht hilf­reich. „Ihre Wir­kung würde ein­set­zen, wenn die Atta­cke bereits wie­der abklingt“, erläu­tert Zeben­hol­zer. Eine „gute“ The­ra­pie­op­tion sei hin­ge­gen der Ein­satz von Trip­ta­nen: „Am bes­ten geeig­net ist dazu sub­ku­tan ver­ab­reich­tes Suma­trip­tan, des­sen Ein­satz aller­dings eine chef­ärzt­li­che Bewil­li­gung benö­tigt.“ Rie­de­rer nennt auch Zol­mit­rip­tan in Form eines Nasen­sprays als wirk­same Option, wäh­rend orale Trip­tane „kaum hilf­reich“ seien. Und er weist auf einen wich­ti­gen Aspekt in der Ver­schrei­bung von Trip­ta­nen hin: „Oft gibt es Beden­ken wegen des hohen Trip­tan­ver­brauchs inner­halb einer Epi­sode. Die Gefahr eines Über­ge­brauchs durch ein ‚Zuviel­ver­schrei­ben‘ inner­halb einer Clus­ter­epi­sode gibt es jedoch prak­tisch nicht. Ein Kopf­schmerz bei Medi­ka­men­ten­über­ge­brauch ent­wi­ckelt sich beim Clus­ter-Kopf­schmerz äußerst sel­ten, meist liegt dann auch eine kom­or­bide Migräne vor.“

Als wirk­sam erweist sich auch die Inha­la­tion von 100-pro­zen­ti­gem Sau­er­stoff mit­tels Non-Rebrea­ther-Gesichts­maske. Ist der Pati­ent ein­ge­schult, kann er diese Behand­lung eigen­stän­dig zu Hause durch­füh­ren. Rie­de­rer nennt einige wich­tige Punkte für die Anwen­dung: „Der Sau­er­stoff sollte hoch auf­ge­dreht wer­den, auf min­des­tens sie­ben und idea­ler­weise zwölf bis 14 Liter. Die Anwen­dung kann mehr­mals täg­lich erfolgen.

Die Behand­lung hat außer­dem den Vor­teil, dass kaum Kon­tra­in­di­ka­tio­nen bestehen. Bei Lun­gen­er­kran­kun­gen wie etwa COPD ist aller­dings Vor­sicht gebo­ten, gege­be­nen­falls sollte eine pul­mo­lo­gi­sche Kon­sul­ta­tion erfol­gen.“ Rie­de­rer weist aber auch dar­auf hin, dass eine Atta­cke in man­chen Fäl­len nicht voll­stän­dig abklinge. Der Pati­ent müsse dann noch zusätz­lich ein Trip­tan erhalten.

Kurz­zeit­pro­phy­laxe mit Kortison

Als gute Kurz­zeit­pro­phy­laxe erweist sich Kor­ti­son. „Es kann die Atta­cken­fre­quenz redu­zie­ren und die Dauer einer Epi­sode ins­ge­samt ver­kür­zen“, berich­tet Zeben­hol­zer. Eine Epi­sode selbst könne nicht ver­hin­dert wer­den, aber: „Die Kom­bi­na­tion aus Kor­ti­son und dem Kal­zi­um­ant­ago­nis­ten Ver­a­pa­mil stellt eine gute Pro­phy­laxe inner­halb einer Epi­sode dar.“ Jedoch solle Ver­a­pa­mil auch nach dem Abklin­gen der Atta­cke wei­ter ein­ge­nom­men wer­den, um ein erneu­tes Auf­flam­men zu ver­hin­dern. Erst wenn die Pati­en­ten über einen Zeit­raum von acht Wochen schmerz­frei sind, wird Ver­a­pa­mil abgesetzt.

Eine wei­tere Methode der Kurz­zeit- bezie­hungs­weise Über­gangs­pro­phy­laxe ist die Blo­ckade des N. occi­pi­ta­lis major. Dabei han­delt es sich um eine Infil­tra­tion im Bereich des Hin­ter­haupt­nervs mit einer Kom­bi­na­tion aus einem Lokal­an­äs­the­ti­kum und Kor­ti­son. Rie­de­rer dazu: „Es gibt gute Evi­denz, dass damit die Clus­ter-Epi­sode abge­kürzt wer­den kann oder sogar ganz sis­tiert“. Die Behand­lung wird in der Spi­tals­am­bu­lanz durch­ge­führt, ist aber auch im nie­der­ge­las­se­nen Bereich möglich.

Optio­nal: Begleittherapien

Bei häu­fi­gen Epi­so­den von Clus­ter-Kopf­schmer­zen und im Zuge der­sel­ben wird das gehäufte Auf­tre­ten von Depres­sio­nen regis­triert. „Die­sen Aspekt gilt es bei der Behand­lung zu beden­ken“, beto­nen Zeben­hol­zer und Rie­de­rer uni­sono. Die Belas­tung durch den Schmerz schränke die Lebens­qua­li­tät enorm ein. In man­chen Fäl­len führe dies auch zu einer erhöh­ten Suizid-Gefahr

Pati­en­ten mit Clus­ter-Kopf­schmer­zen soll­ten auch im Hin­blick auf ein Schlaf­apnoe-Syn­drom und Schlaf­stö­run­gen ganz gene­rell abge­klärt wer­den. „Auch wenn die Stu­di­en­da­ten hier nicht ein­deu­tig sind“, wie Rie­de­rer ein­schränkt. Er spricht sich außer­dem dafür aus, dass psy­cho­lo­gi­sche Ver­fah­ren unter­stüt­zend zur Anwen­dung kommen.

Ganz wich­tig sei es, einen Clus­ter-Kopf­schmerz­pa­ti­en­ten nicht war­ten zu las­sen, betont Rie­de­rer abschlie­ßend: „Wann auch immer eine Epi­sode auf­tritt: Man sollte so rasch wie mög­lich mit der Behand­lung beginnen.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2023