Bewegung: Effekte von körperlicher Aktivität

25.09.2023 | Medizin

Regelmäßige moderate Bewegung kann die Gesamtmortalität reduzieren, die negativen Effekte von langem Sitzen ausgleichen, die Immunseneszen zurücksetzen und hat auch positive Effekte bei psychiatrischen Erkrankungen.

Bewegung kompensiert sitzbedingte Mortalität
Das erhöhte Mortalitätsrisiko durch langes Sitzen kann mit moderater körperlicher Aktivität von 60 bis 75 Minuten ausgeglichen werden. In einer Meta-Analyse zeigte sich, dass eine Sitz-Zeit von mehr als acht Stunden pro Tag die Gesamtmortalität in der Follow-up-Phase (zwei bis 18 Jahre) nicht erhöhte, wenn pro Woche Bewegung im Ausmaß von über 35,5 MET-h (MET = metabolisches Äquivalent) ausgeübt wurde. Zum Vergleich: Studienteilnehmer, die über acht Stunden täglich sitzend verbrachten und nur 2,5 MET-h pro Woche beziehungsweise fünf Minuten pro Tag erreichten, wiesen ein um 60 bis 70 Prozent erhöhtes Mortalitätsrisiko auf. Exemplarisch für moderate Bewegung ist Gehen mit einer Geschwindigkeit von 5,6 km/h oder Radfahren mit 16 km/h. Die Zahl der weltweiten Todesfälle durch körperliche Inaktivität ist mit den Folgen des Rauchens vergleichbar. Langes Sitzen wird mittlerweile als das „neue Rauchen“ eingestuft, da es den makro- und mikrovaskulären Blutfluss beeinträchtigt. Lancet 2016

7.000 Schritte gegen die Mortalität
Bereits ein moderates tägliches Schrittvolumen kann das Mortalitätsrisiko senken, so das Ergebnis einer mittleren Beobachtungszeit von fast elf Jahren. Im Rahmen einer Studie wurden 2.110 Teilnehmer in drei Gruppen mit unterschiedlichen Schrittvolumina eingeteilt: niedrig (unter 7.000 Schritte täglich), moderat (7.000 bis 9.000 Schritte täglich) und hoch (mindestens 10.000 Schritte pro Tag). Bei der Gruppe mit moderatem Schrittvolumen zeigte sich eine signifikant niedrigere Mortalitätsrate als in der Gruppe mit der niedrigen Schrittzahl. Die Intensität der Bewegung spielte dabei keine Rolle. JAMA 2021

Bergsport für die Psyche
Bereits eine dreistündige Bergwanderung zeigt deutliche Verbesserungen der affektiven Valenz und des Wohlbefindens sowie eine Reduktion von Angst und Fatigue, so die Ergebnisse von mehreren Studien. Das in Deutschland praktizierte Gesundheitswandern führte neben positiven physischen Effekten auch zu signifikanten Verbesserungen des psychischen und sozialen Wohnbefindens. Eine Studie zu Boulder-Psychotherapie (Bouldern = Klettern ohne Kletterseil und Klettergurt an Felsblöcken oder künstlichen Kletterwänden in Absprunghöhe) zeigte nach acht Wochen Verbesserungen der Symptomatik bei Patienten mit Depressionen und Evidenz für Langzeiteffekte nach zwölf Monaten. Die Umgebungsbedingungen scheinen für die Wirkung eine wichtige Rolle zu spielen. Bergwandern wiederum ergab stärkere Effekte auf die affektive Valenz, Aktivierung und Fatigue als Laufbandtraining. Effekte des Panoramas wurden in einer Innsbrucker Studie mit alpinen und neutralen Stimuli untersucht. Sowohl bei psychisch beeinträchtigten Personen als auch in der gesunden Kontrollgruppe zeigten sich durch alpine Bilder positivere Effekte auf die emotionale Verfassung als durch neutrale Stimuli. PLoS One 2017/Heliyon 2019/BMC Psychiatry 2020

Mortalität: Leistungsfähigkeit als Prädiktor
Die körperliche Leistungsfähigkeit ist bei Männern ein stärkerer Prädiktor für die Gesamtmortalität als eine kardiovaskuläre Erkrankung. Jede Metabolische Äquivalent-(MET-)Leistungszunahme war mit einer zwölfprozentigen Verbesserung der Überlebensrate verbunden, unabhängig davon, ob die Probanden gesund waren oder eine Grunderkrankung hatten. NEJM 2002

Therapie bei psychiatrischen Erkrankungen
Regelmäßige körperliche Aktivität ist eine wirksame therapeutische Option bei psychiatrischen Erkrankungen. Für folgende Krankheiten besteht diesbezüglich Ia-Evidenz: Depression, Angststörung, Schizophrenie, posttraumatisches Stress-Syndrom, kognitive Störungen und leichte Demenz-Erkrankungen. Etwas schwächer ist die Studienlage noch bei spezifischen Phobien und Ess-Störungen (Ib-Evidenz). Aus Sicht der Psychiatrie gelten aktuell die allgemeinen Bewegungsempfehlungen der WHO; konkrete Empfehlungen im Hinblick auf einzelne psychische Erkrankungen gibt es nicht.

Bewegung setzt Immunalterung zurück
Bewegung kann wesentliche Merkmale der Immunalterung zurücksetzen und einen positiven Einfluss auf das Inflamm-Aging ausüben. In einer sechswöchigen Studie mit älteren Personen konnte dies anhand von dreimal wöchentlichen Nordic-Walking-Einheiten dokumentiert werden. Die Teilnehmer, die an Prä-Diabetes litten, waren zuvor körperlich inaktiv gewesen. Im Rahmen des regelmäßigen Trainings sank die Zahl der seneszenten Immunzellen, während die Produktion und Mobilisierung von naiven T-Zellen zunahmen. Neben Katecholaminen (Sport als positiver Stress) sind Myokine die Mediatoren solcher Effekte. In der sportmedizinischen Forschung sind mittlerweile mehr als 100 Myokine bekannt. Sie werden bei Bewegung freigesetzt; viele wirken systemisch antiinflammatorisch. Sport ermöglicht außerdem die metabolische Nutzung des Fettgewebes, die Attraktion und Invasion von Leukozyten werden reduziert. Dadurch verringert sich das Risiko für lokale Entzündungen, die sich gewöhnlich im Alter dynamisieren und systemisch werden können. Nutrients 2020/Frontiers in Physiology 2019

MaS; Quelle: Veranstaltung „Sportmedizin – körperliche Aktivität und ihre Folgen“, Billrothhaus 2023

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2023