Alopecia areata bei Frauen: Gute Aussichten für Spontan-Remission

10.09.2023 | Medizin

Je weniger Hautareale bei Alopecia areata betroffen sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb eines Jahres zu einer Spontanremission kommt. Rein statistisch gesehen, tritt Alopecia areata gehäuft zusammen mit Schilddrüsenerkrankungen, Psoriasis, systemischem Lupus, rheumatoider Arthritis, Multipler Sklerose und Vitiligo auf.

Die Prävalenz der Alopecia areata liegt bei Erwachsenen bei rund 0,58 Prozent; sie kommt bei Frauen und Männern gleich häufig vor. Nur 0,1 Prozent der Kinder sind davon betroffen; hier sind Spontanremissionen seltener als bei Erwachsenen. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 25 und 29 Jahren. „Asiatische Herkunft, urbanes Lebensumfeld und soziale Isolation begünstigen den Ausbruch der Autoimmunerkrankung“, erklärt Priv. Doz. Christian Posch von der Dermatologischen Abteilung der Klinik Hietzing in Wien. Als wichtigste Prädiktoren für den Verlauf nennt er das Alter, die Dauer und den Schweregrad: „Je jünger der Patient, je länger die Erkrankung andauert und je schwerer sie ausgeprägt ist, umso ungünstiger ist die Prognose.“ Auch Stress, eine positive Familienanamnese sowie atopische Diathese zählen zu den Risikofaktoren.

Alopecia areata ist typischerweise nicht von Pruritus begleitet und hat keine negativen Folgen auf den menschlichen Organismus. Dennoch haben die betroffenen Frauen oft einen hohen Leidensdruck. „Während es bei Männern durchaus nicht ungewöhnlich ist, eine Glatze zu tragen, kann Haarausfall bei Frauen zu Verzweiflung bis hin zur Depression führen“, weiß Univ. Prof. Bettina Toth von der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin.

Haarfollikel noch vorhanden

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen vernarbender und nicht vernarbender Alopezie. Unter den nicht vernarbenden Alopezien ist die Alopecia areata die häufigste. Der Haarfollikel ist noch vorhanden, aber das Haar ist ausgefallen oder abgebrochen. „Das kann man teilweise mit freiem Auge sehen oder mittels Auflichtmikroskopie“, erklärt Posch. Typisch sind die relativ scharf begrenzten, rundlichen, kahlen Areale – meist auf der Kopfhaut, bei Männern ist häufig das Barthaar betroffen. Die Verbreitung ist aber über alle haartragenden Areale möglich: Auch Augenbrauen und sogar Wimpern können ausfallen. Verliert ein Patient die gesamten Körperhaare, spricht man von Alopecia areata universalis. „Das Fortschreiten von limitierten Formen wie der kreisrunden Variante zur Alopecia areata universalis tritt bei etwa fünf Prozent der Patienten ein“, so Posch. Teilweise sind bei Alopecia areata auch die Nägel betroffen. „Man bemerkt eine Tüpfelung oder aufgeraute Oberfläche und spricht von sogenannten ‚Sandpapier-Nägeln‘, erklärt Toth.


Menschliche Haare – in Kürze
Keratin ist der Hauptbestandteil der aus Haarschaft, Haarwurzel und Haarfollikel bestehenden Haare.
Durchschnittliche Kopfhaarmenge pro Mensch:  80.000 bis 120.000
Haardichte: etwa 200 Haare pro Quadratzentimeter
Bei einem Verlust von mehr als 100 Haaren pro Tag spricht man von verstärktem Haarausfall.
Durchmesser der Kopfhaare: rund 0,12 Millimeter
Wachstumsgeschwindigkeit: etwa ein Zentimeter pro Monat

Haarzyklus
Anagenphase (Wachstumsphase): In dieser zwei bis sechs Jahre dauernden Phase befinden sich beim gesunden Menschen etwa 90 Prozent der Kopfhaare.
Katagenphase (Übergangsphase): In dieser zwei bis vier Wochen dauernden Phase befindet sich etwa ein Prozent der Kopfhaare.
Telogenphase (End- oder Ruhephase): In dieser zwei bis vier Monate dauernden Phase befinden sich etwa 18 Prozent der Kopfhaare.

Quelle: www.pschyrembel.de


Der genaue Pathomechanismus der Erkrankung ist nicht geklärt. Den Aussagen von Posch zufolge vermutet man autoimmunologische Faktoren als Auslöser. Bekannt sei, dass Entzündungsmediatoren wie TNF-α, Interferone oder Interleukin-17 eine Rolle spielen. Sie führen zur Ansammlung von Entzündungszellen um den Haarfollikel herum, worauf sich dieser entzündet und in der Folge das Haar abgestoßen wird.

Umfassende (Differential-)Diagnostik

Die exakte Diagnose wird mittels klassischer Kopfhautbiopsie und Haaranalyse gestellt. Bei der Biopsie können bei Alopecia areata die Infiltration der Entzündungszellen sowie vermehrt Zytokine nachgewiesen werden. Für eine Haaranalyse werden 20 bis 50 Haare mittels Arterienklemme epiliert und mikroskopisch analysiert. „Man erkennt, ob die klassischen drei Phasen des Haarzyklus verschoben sind. Befinden sich mehr als 20 Prozent in der Telogenphase, spricht das für verstärkten Haarausfall“, konstatiert Toth.

Vor der Wahl der Therapie sollte laut Toth eine umfassende Differentialdiagnostik stattfinden. Denn auch wenn der Haarausfall typisch aussieht, können andere Ursachen zugrunde liegen. „Von der Alopecia areata unterscheidet sich die androgenetische Alopezie, für die Hormonveränderungen verantwortlich sind“, erklärt Toth. Neben der Bestimmung des Hormonstatus sind vor allem bei Frauen mit Haarausfall eine Schilddrüsendysfunktion und ein allfälliger Mangel an Eisen, Folsäure oder Selen auszuschließen.

Weitere mögliche Ursachen für generellen Haarausfall sind Stillzeit, eine vorangegangene Chemotherapie und Syphilis. „Aber auch Medikamente wie etwa hormonelle Kontrazeptiva, Heparin-Spritzen und Anabolika können Haarausfall verursachen“, macht Toth aufmerksam.

Da Autoimmunerkrankungen oft gepaart auftreten, raten Experten in diesem Fall zur weiteren Suche nach Begleiterkrankungen. So ist zum Beispiel bekannt, dass es eine statistische Häufung von Schilddrüsenerkrankungen, Psoriasis, systemischem Lupus, rheumatoider Arthritis, Multipler Sklerose und Vitiligo in Kombination mit Alopecia areata gibt. „Interessanterweise besteht keine Häufung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen“, gibt Posch zu bedenken. Liegt beispielsweise auch eine Psoriasis mit entzündlichen Rötungen oder Schuppungen vor, kann der Haarausfall laut Toth damit in Zusammenhang stehen. „Es gilt, das Hauptproblem zu identifizieren. Es handelt sich dann möglicherweise nicht um die klassische Alopecia areata, was für eine differente Therapie spricht“, so die Expertin.

Eine hohe Rate an Spontanremissionen und die bekannte hohe Erfolgsrate von Placebo in Studien können Betroffenen Hoffnung geben. Posch präzisiert: „Innerhalb des ersten halben Jahres ist die Alopecia areata bei einem Drittel der Patienten komplett abgeheilt, nach einem Jahr sind es 50 Prozent, nach fünf Jahren 75 Prozent.“ Dabei gilt: Je weniger Hautareale betroffen sind, umso wahrscheinlicher ist die komplette Spontanremission. Mitunter wird eine Stressreduktion mit der Abheilung in Verbindung gebracht.

Kommt es nicht zur Spontanremission, erfolgt die Therapie stadienabhängig. Das Grundschema der Behandlung ist immer ähnlich. Posch dazu: „Erstes Ziel ist es, den Erkrankungsprogress zu stoppen. Das erreicht man durch die Veränderung der Zusammensetzung der vorhandenen Entzündungszellen, um den negativen Effekt auf den Haarfollikel auszubremsen.“ Bei einem nur geringen Ausprägungsgrad bietet sich laut Toth die topische Anwendung von Glukokortikoiden an. Sind größere Areale betroffen, werden diese als Injektion oder intravenös verabreicht. Hier ist nach drei bis sechs Monaten ein Behandlungserfolg sichtbar. Bei der Therapie kommen weiters UVA-Lichttherapie, topische Immuntherapie mit Diphenylcyclopropenon oder Diphenylether sowie seit kurzem JAK(Januskinase)-Inhibitoren oral zum Einsatz. „JAK-Inhibitoren greifen breit in die Entzündungskaskaden ein, indem sie immunmodulierend und immunsuppressiv wirken“, erklärt Posch. Nach dem erwirkten Stopp des Haarausfalls stellt sich in der Regel das zweite Behandlungsziel ein, nämlich, dass die Haare wieder nachwachsen. (JF)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2023