Standpunkt Harald Schlögel: Wie wir sind

10.10.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Liebe Kollegin! Lieber Kollege!

Viel wurde in den vergangenen Wochen über Streitigkeiten in der Ärztekammer für Wien und deren öffentliche Austragung berichtet. Bestimmt waren Sie davon ebenso erschüttert wie ich. In meiner Funktion als Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich habe ich auch öffentlich mein Missfallen ausgesprochen und dringend um Mäßigung gebeten. Denn es ist leider so, dass die Öffentlichkeit kaum zwischen den einzelnen Ärztekammern differenziert und daher eine Art Sippenhaftung eintritt. Viele von uns sind in der jüngsten Vergangenheit auf Vorgänge angesprochen worden, die wir nicht verschuldet haben und die wir nicht beeinflussen können. Das ist ebenso unverdient wie inakzeptabel.

Wir Ärztinnen und Ärzte haben in der Öffentlichkeit einen ausgezeichneten Ruf, kaum einer anderen Berufsgruppe wird so sehr vertraut, das belegen auch entsprechende Umfragen. Die Ärztekammern haben in den vergangenen Jahrzehnten hart dafür gearbeitet, dass ihr Ruf dem Image der Ärztinnen und Ärzte gerecht wird – mit Erfolg. Im Gesundheitssystem werden die Ärztekammern als zuverlässige Partner und innovative Mitgestalter wahrgenommen. Diese hart erkämpfte Außenwirkung darf nicht durch Macht kämpfe und Interessen Einzelner mutwillig zerstört werden.

Gerade jetzt braucht es eine starke Standesvertretung aller österreichischen Ärztinnen und Ärzte, denn auf die Ärzteschaft kommt in den kommenden Monaten eine Zeit voller eminent wichtiger Weichenstellungen zu. Die Berufsgruppe, die in den vergangenen Jahren das System mit ihrem persönlichen Einsatz und ihrem Pflichtbewusstsein gegenüber den Patientinnen und Patienten aufrechterhalten hat, ist verständlicherweise zunehmend erschöpft oder ausgebrannt. Wir müssen einfordern, dass die Politik denjenigen zuhört, die die Leistung erbringen. Ärztinnen und Ärzte haben es nicht verdient, dass man versucht, über sie drüberzufahren und sie in bröckelnde Systeme hineinzuzwingen.

Um das zu verhindern, müssen wir alle wieder so auftreten, wie wir sind: Als Menschen, die ihren Beruf aus Liebe zum Dienst am Mitmenschen ergriffen haben. Als Ärztinnen und Ärzte, die ein Höchstmaß an Kompetenz mit Empathie verbinden. Und als Standesvertreterinnen und Standesvertreter, die hart verhandeln und Probleme klar ansprechen, aber dabei den Respekt vor dem Gegenüber nicht vergessen.

Dr. Harald Schlögel
1. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2023