FGM: Tragisch aktuell

25.10.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Hilfsorganisationen sehen die Verbreitung der weiblichen Genitalverstümmelung traurigerweise wieder im Steigen begriffen. Eine Veranstaltung in der Österreichischen Ärztekammer setzte sich zum Ziel, mehr Awareness für das Thema zu schaffen.

Gemeinsam mit dem Verein Terre des Femmes, deren Vorstandsvorsitzende Beate Wimmer-Puchinger die Organisation federführend vorangetrieben hatte, und dem Frauengesundheitszentrum FEM Süd lud die ÖÄK in ihre Räumlichkeiten, fast 100 Gäste folgten der Einladung. Harald Schlögel, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, verwies in seiner Eröffnungsrede auf rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit: Grundsätzlich wird die Verschwiegenheitspflicht für Gesundheitsberufe bei Kenntnis einer vorsätzlichen schweren Körperverletzung durchbrochen. Eine Anzeigenpflicht besteht, wenn man in Ausübung von seiner beruflichen Tätigkeit von der Tat erfährt.

„Die Verstümmelung weiblicher Genitalien ist ein traumatischer Eingriff, der kurz- und langfristige gesundheitliche Folgen nach sich zieht. Eine genaue Anamnese ist hier besonders wichtig. Bei diesem hoch sensiblen Thema spielt das Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen, aber auch die Zeit für ein persönliches und ausführliches Gespräch eine große Rolle“, unterstrich Schlögel.

Hilde Wolf und Umyma El-Jelede vom Frauengesundheitszentrum FEM Süd stellten die österreichweite FGM/C-Koordinationsstelle vor, die eine Anlauf- und Vernetzungsstelle für Hilfesuchende, Experten, Fachkräfte und Communities bildet. Beide warteten auch mit erschreckendem Zahlenmaterial auf: So seien 200 Millionen Frauen weltweit von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, die ursprünglich vor allem in 28 afrikanischen Ländern durchgeführt wurde. Aktuell werde die Prävalenz in Somalia, Guinea, Ägypten und Sierra Leone mit 90 Prozent oder mehr beziffert. Anschließend sprach Aminata Sibide vom End FGM Network Europe über den Kampf gegen diese Form der Körperverletzung auf europäischer Ebene.

Im zweiten Teil der Veranstaltung standen dann die medizinischen Aspekte besonders im Fokus, besonders die allgemeine Sensibilisierung für das Thema. „Wenn eine Patientin aus einem entsprechend auffälligen Herkunftsland wiederholt mit Harnwegsinfekten vorstellig wird, sollte das für alle eine ‚red flag‘, also ein Alarmzeichen, sein“, appellierte etwa Daniela Dörfler, Gynäkologin von der Medizinischen Universität Wien. Die Kinderärztin Chryssa Grylli (ebenfalls MedUni Wien) befasste sich mit den gravierenden Folgen von weiblicher Genitalverstümmelung für Mädchen.

Ebenfalls aus der gynäkologisch-geburtshilflichen Perspektive beleuchtete Georg Braune, Fachgruppenobmann Frauenheilkunde in der Ärztekammer für Wien, die Thematik. Braune berichtete, in seiner jahrzehntelangen Praxis glücklicherweise nur mit einer Handvoll entsprechender Fälle zu tun gehabt zu haben. Einen Fall habe er melden müssen, dabei sei vor allem der administrative Aufwand beträchtlich gewesen, der Verantwortliche sei mit einer Geldstrafe davongekommen.

Das Strafausmaß war auch ein heiß diskutiertes Thema in der abschließenden Podiumsdiskussion. Das hohe Strafmaß in Frankreich wurde dabei von einigen Diskussionsteilnehmern als Vorbild bezeichnet, während andere bezweifelten, dass höhere Strafen eine Verbesserung der Situation bringen würden.

Rudolf Schmitzberger, Funktionär der Österreichischen Ärztekammer, forderte vor allem zwei Dinge ein: Mehr Awareness und Sensibilität für das Thema sowie eine rechtliche Verbesserung für Frauen, die aus Ländern flüchten wollen, in denen ihren Töchtern eine derartige Körperverletzung droht. Der Schutz der Betroffenen müsse generell über allem stehen – Schutz vor der Tat an sich, aber auch Schutz und Fürsorge nach solch einem verabscheuenswerten Akt, waren sich die Experten einig. (sb)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2023