Ärztliche Hausapotheken: Nicht zusperren

10.09.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Welche Rolle die ärztlichen Hausapotheken beim Ausbau von Primärversorgungseinheiten und dem Kassenärztemangel spielen, erzählen Edgar Wutscher, ÖÄK-Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, und Silvester Hutgrabner, Leiter des ÖÄK-Referats für Hausapotheken und Medikamentenangelegenheiten, im Gespräch mit Sophie Niedenzu.

Bis 2025 sollen in Österreich 121 Primärversorgungseinheiten eingerichtet werden. Ziel ist eine wohnortnahe Versorgung, eine gute verkehrsmäßige Erreichbarkeit und ein optimierter Diagnose- und Behandlungsprozess für Patienten. Zudem verspricht die Regierung 100 neue Kassenarztstellen bis Jahresende. Gleichzeitig sind bis heute knapp 300 Kassenstellen unbesetzt – davon 179 in der Allgemeinmedizin.

Inwiefern spielen ärztliche Hausapotheken bei den angekündigten gesundheitspolitischen Maßnahmen eine Rolle? Wutscher: Zu den Zielen, die durch den Ausbau von Primärversorgungseinheiten genannt werden, gehört aus unserer Sicht auf jeden Fall eine angeschlossene Arzneimittel-Abgabestelle. Das hat mehrere Gründe, unter anderem werden dadurch gerade am Land den Patienten viele Verkehrswege erspart. Dieser ökologische Aspekt sollte eigentlich – insbesondere bei einem grünen Gesundheitsminister – mehr beachtet werden. Durch ärztliche Hausapotheken werden jährlich Millionen Fahrkilometer eingespart und der damit verbundene CO2-Ausstoß massiv reduziert. Wenn also umgekehrt ärztliche Hausapotheken aufgrund der jetzigen Rechtslage zusperren müssen, steigt der CO2-Ausstoß entsprechend.

Hutgrabner: Durch die direkte Medikamentenabgabe wird natürlich auch das Infektionsgeschehen massiv reduziert und die Patienten erhalten Diagnose und Therapie aus einer Hand. Wir benötigen eine Versorgungssicherheit am Land – und die ist aktuell aufgrund des veralteten Apothekergesetzes nicht gegeben.

Wutscher: Wenn Ärzte sich überlegen, sich zu einem Primärversorgungsnetzwerk – und diese Form von Primärversorgungseinheiten ist am Land sinnvoll – zusammenzuschließen, dann verlieren diese Ärzte womöglich ihre Hausapotheken. Das liegt daran, dass die Rechtslage unklar ist und damit keine Planungssicherheit besteht. Keinesfalls darf eine bestehende Hausapothekenbewilligung den Landärzten entzogen werden, weil sich diese an einem Primärversorgungsnetzwerk beteiligen. Daher sollte der entsprechende Paragraph im Apothekengesetz dahingehend ergänzt werden, dass die Bewilligung zur Führung einer Hausapotheke auch Ärzten zu erteilen ist, die in einem Vertragsverhältnis gemäß dem Primärversorgungsgesetz stehen.

Hutgrabner: Solange das nicht geregelt ist, wird im ländlichen Raum die Wahrscheinlichkeit gegen Null gehen, dass Primärversorgungsnetzwerke entstehen. Will die Regierung tatsächlich den Ausbau, dann muss sie eine klare Rechtslage schaffen. Primärversorgungsnetzwerke entstehen ja aus etablierten Landarztordinationen und haben den Vorteil, dass die Ordination am Standort erhalten bleibt. Wir wollten uns zu fünft zu einem Primärversorgungsnetzwerk zusammenschließen, wovon vier Ärzte eine ärztliche Hausapotheke führen. Das Risiko, dass uns aufgrund des rechtsunsicheren Raums die Hausapotheke weggenommen wird, hat aber dazu geführt, dass wir uns nicht zusammenschließen. Die Rechtslage passt nicht zum heutigen System und ist einfach anachronistisch.

Woran liegt es, dass hier nichts getan wird? Wutscher: Es fehlt das Verständnis, dass die ärztliche Versorgung am Land andere Voraussetzungen hat als in der Stadt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten mit anderen Bedürfnissen. Die ärztlichen Hausapotheken sind historisch betrachtet schon immer für die Versorgung am Land zuständig gewesen, die öffentlichen Apotheken für jene in der Stadt. Wenn wir von der Medikamentenabgabe sprechen, sprechen wir hauptsächlich von der älteren Generation. Wir haben im Jahr 110 Millionen E-Card Steckungen, davon betreffen in manchen Regionen an die 90 Prozent Personen, die älter als 65 Jahre sind. Wir reden hier also von der Versorgung der Patienten, die sich das vor allem am Land anders einteilen müssen und nicht auf gut ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen können. In diesem Zusammenhang hat die Politik leider nicht verstanden, dass der Ausbau der Primärversorgungseinheiten – und das inkludiert Primärversorgungszentren und Primärversorgungsnetzwerke – eng verbunden mit der Fortführung von ärztlichen Hausapotheken ist.

Was müsste noch geändert werden? Wutscher: Wir wollen sicherstellen, dass bestehenden ärztliche Hausapotheken auch weiterbestehen können, damit die medizinische Versorgung auf dem heutigen Niveau erhalten bleibt und wir dadurch auch die Abwanderung am Land zumindest nicht fördern. Eine Jungfamilie wird auch nicht in eine Gemeinde ziehen, in der kein Arzt verfügbar ist. Und ein junger Arzt wird keine Kassenstelle annehmen, wenn er keine ärztliche Hausapotheke führen kann. Diese ist ja durchaus ein Zusatzbenefit, sowohl für Ärzte als auch deren Patienten. Wir sind im Austausch mit vielen Bürgermeistern, die uns erzählen, dass es oft wahlentscheidend ist, ob ein Arzt für die Gemeinde gefunden werden kann oder nicht.

Hutgrabner: Eine ärztliche Hausapotheke ist zweifellos ein Zusatzeinkommen – in der Stadt arbeiten Allgemeinmediziner beispielsweise nebenher als Arbeitsmediziner. Am Land sind die Möglichkeiten für Zuverdienste sehr eingeschränkt. Und die jungen Ärzte wollen natürlich auch eine Planungssicherheit für ihre Ordination. Das Apothekengesetz hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass viele ärztliche Hausapotheken schließen mussten. Früher gab es noch einen Gleichstand zwischen der Anzahl an öffentlichen Apotheken und den Hausapotheken, das Verhältnis hat sich aber deutlich zugunsten der öffentlichen Apotheken verschoben.

Wie kann verhindert werden, dass die Zahl der ärztlichen Hausapotheken weiter sinkt? Wutscher: Dazu muss das Apothekengesetz angepasst werden. Das Problem ist, dass ein hausapothekenführender Arzt per Gesetz die Bewilligung verliert, sobald eine öffentliche Apotheke im Umkreis von vier Straßenkilometern neu errichtet wird (§ 29 Absatz 3, Anm. der Redaktion). Neu gegründete Ordinationen können keine Hausapothekenbewilligung bekommen, wenn in der Gemeinde schon eine öffentliche Apotheke besteht bzw. die neue Ordination nicht mindestens sechs Kilometer von der Apotheke entfernt ist. Das liegt an der nicht mehr zeitgemäßen Gesetzgebung, die zuletzt auch von der Bundeswettbewerbsbehörde mehrfach kritisiert wurde.

Hutgrabner: Wir wollen ja nicht, dass die Apotheken abgeschafft werden, sondern den bewährten Bestand der ärztlichen Hausapotheken erhalten. Deshalb sollte dieser Paragraph im Apothekengesetz in Bezug auf die verpflichtende Zurücknahme einer Hausapothekenbewilligung ersatzlos gestrichen werden. Wir wünschen uns ein duales System mit friedlicher Koexistenz beider Berufsgruppen.

Die Apothekerkammer befürchtet, dass damit viele Apotheken schließen müssten. Wie sehen Sie das? Wutscher: In der Schweiz können die Kantone per Volksabstimmung das Dispensierrecht für Ärzte beschließen. Dort, wo Ärzte Medikamente abgeben, ist uns kein Fall bekannt, dass dies zu Apothekenschließungen geführt hat. Wir wollen mit den Gesetzesänderungen den derzeitigen Bestand an Hausapotheken halten, die einerseits aufgrund der Regelung für Nachfolgepraxen, andererseits aufgrund von neuen Apotheken in der Nähe von Ordinationen immer weniger werden. Würde dieser Paragraph, der die verpflichtende Zurücknahme einer Hausapothekenbewilligung regelt, wegfallen, hätten die Ärzte die Planungssicherheit. Sie müssten sich keine Sorgen machen, dass sie ihre Hausapotheke verlieren, wenn eine neue Apotheke zu nah bei der Ordination eröffnet.

Hutgrabner: Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, weil es hier um politische Entscheidungen geht. Der Gesundheitsminister hat sich ja nach unserer Pressekonferenz dagegen ausgesprochen, das „zaubere nur ein Lächeln“ in sein Gesicht. Ich verstehe aber nicht, wieso die Politik sich hier so sträubt. Schließlich geht es um eine Verbesserung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. Landarztstellen würden durch diese Änderungen deutlich attraktiver und können so wieder mehr Ärzte für diese Tätigkeit gewonnen werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2023