Persönlichkeiten – Joseph Lister: Mit Phenol zum Erfolg

10.05.2022 | Service

Die von ihm entwickelte Behandlung mit Phenol gegen das Wundfieber machte ihn zum Pionier der Antisepsis: Joseph Lister. Auch wenn mit dem ‚Lister´schen Verband‘ die postoperative Sterblichkeit um fast ein Drittel sank, waren die Reaktionen der Kollegen damals zwiespältig.

Manuela-C. Warscher

Der österreichische Chirurg und Geburtshelfer Ignaz Philipp Semmelweis hatte über viele Jahre erfolglos gefordert, dass sich Chirurgen vor jedem Eingriff die Hände waschen sollten. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts starb in der Ersten Wiener Gebärklinik fast jede dritte Patientin an einer Puerperal-Sepsis. Im Todesjahr von Semmelweis 1895 bestätigte dann der britische Chirurg Joseph Lister dessen Entdeckungen. Auf die Idee, mit Phenol zu experimentieren, war Lister gekommen, nachdem Phenol in den Abwässern von Carlisle zur Geruchsbekämpfung und auch bei der Neuanlegung der Kanalisation in Paris eingesetzt worden war. So wurde anfangs bei und nach Operationen eine Phenollösung über dem Operationsfeld vernebelt. Die erste Operation mit Phenol-Antisepsis führte Lister 1865 bei einem Jungen mit einer offenen Beinfraktur durch. Nach einigen Wochen konnte er vollständig genesen entlassen werden. Zwei Jahre später tränkte Lister die Verbände für seine frisch operierten Patienten mit Phenol (Lister´scher Verband), sodass Wundinfektionen der Vergangenheit angehörten. Mit der Operation einer Patella-Fraktur unter antiseptischen Bedingungen begründete Lister zusammmen mit Hector C. Cameron die antiseptische Knochenchirurgie. Aus dem punktuellen Einsatz von Phenol entwickelte er die systematische Krankenhaushygiene. Dazu kamen auch häufiges Händewaschen der Ärzte und des Pflegepersonals mit Phenollösung und die Verwendung von Gummihandschuhen.

Widerstand gegen Hygienemaßnahmen

Obwohl der italienische Pharmakologe Girolamo Fracastoro schon 1546 vermutete, dass Keime Krankheiten übertragen, brachte sie niemand mit Wundinfektionen in Verbindung. So herrschte im 19. Jahrhundert noch die weit verbreitete Meinung, dass, wer sich einer Operation unterziehe, sich größeren Gefahren aussetze als auf dem Schlachtfeld. Berechtigt war diese Sorge jedenfalls: Denn immerhin trugen Chirurgen Kittel, die von Blut und Eiter und vieler Operationen getränkt waren. Operationstische und Instrumente wurden kaum gereinigt und im Operations-Saal tummelte sich eine große Zahl an Menschen in Straßenkleidung. Unter derartigen Bedingungen überlebte jeder zweite Patient den Eingriff nicht. Dennoch stießen die Bemühungen – unter anderem von Lister – für mehr Sauberkeit in Operations- Sälen und in Krankenhäusern generell auf heftigen Widerstand der zur Sparsamkeit gezwungenen Verwaltungsräte. Außerdem hielt sich lange die Überzeugung, dass Keime über die Luft verbreitet wurden. Davon war auch der britischdänische Chirurg und spätere Präsident des Royal College of Surgeons, Sir John Eric Erichsen, überzeugt. Demnach rührten Verunreinigungen direkt von den Wunden selbst her, die sich in der Luft ansammelten und folglich andere Infektionen hervorriefen. Lister, der als Chirurg bei Erichsen tätig war und dessen operierte Patienten verband, bezweifelte dies. Seine Beobachtungen, wonach die Reinigung der Wunden zur Heilung beiträgt, sah er durch die Arbeiten von Louis Pasteur bestätigt. Der französische Mikrobiologe hatte zu dieser Zeit festgestellt, dass Gärung und Fäulnis durch mikroskopisch kleine Lebewesen verursacht werden.

Karbolsäure mit Öl und Kreide gemischt

Da Karbolsäure, wie Phenol damals genannt wurde, zu Hautreizungen führte, löste Lister sie in Öl auf und mischte sie mit pulverisierter Kreide, um auf diese Weise eine Paste zu generieren. In den kommenden beiden Jahren behandelte er elf weitere Patienten mit offenen Brüchen; neun genasen ohne Infektion. Tatsächlich gelang es mit der Technik von Lister, die Mortalitätsrate nach Operationen von 47 auf 15 Prozent zu senken. Diese Erfolge und seine Erkenntnisse publizierte Lister 1867 in „The Lancet“. Er ließ keinen Zweifel daran, dass seine „Behandlung so zufriedenstellende Ergebnisse brachte, dass es nicht richtig wäre, sie der ärztlichen Profession vorzuenthalten“. Dennoch war die Reaktion in der Fachwelt zunächst zwiespältig: Während die Kollegen von Lister im Krankenhaus und jene, die seine Methode studiert hatten, sie begeistert unterstützten, standen ihr Chirurgen in London ablehnend gegenüber und taten sie als „lästig“ ab. Allen Zweiflern zum Trotz berichteten bald Chirurgen, die die Methode von Lister anwendeten, von beeindruckenden Erfolgen: etwa über das Verschwinden von Pyämie und Erysipelen. Und in dem Ausmaß, in dem die Sterblichkeit zurückging, stieg das Ansehen von Lister in der medizinischen Fachwelt.

So sehr Lister der Pionier der Antisepsis war, so wenig war er vom Bedarf der Asepsis überzeugt. „Meine Patienten haben die weltweit schmutzigsten Wunden … aus ästhetischer Sicht sind sie schmutzig, aus chirurgischer allerdings rein“, erklärte er 1875. Und noch 1883 berichtete ein Chirurg, dass Lister während einer Operation einen „alten blauen Gehrock, der steif vor Blut war“ trug. Dabei beschäftigte sich Lister zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als 30 Jahren mit Keimen. Noch während seines Medizinstudiums am University College in London veröffentlichte er über die „Krankenhausgangrän“. 13 Jahre führte er die ersten Experimente zur Antisepsis durch, für die er Mikroorganismen als auslösendes Agens vermutete. Seine Experimente mit Penicillium-Pilzen führten 1884 dazu, dass er sie erfolgreich bei einer Abszess-Operation anwenden konnte. Jedoch verabsäumte er es, diese Errungenschaft zu publizieren. Daher gilt heute auch Alexander Fleming als Entdecker des Penicillins. Neben der Antisepsis arbeitete Lister an der Luftdesinfektion in Operations-Sälen und fand Wege, steriles Catgut und Gaze in der Medizin anzuwenden. Zuvor hatte er in mikroskopischen Studien herausgefunden, dass Seide und Faden als Nahtmaterial unzulänglich sind. Einer der ersten Patienten, der mit medizinischer Gaze versorgt wurde, war Queen Victoria, deren Serjeant-Chirurg er war.

Gewürdigt wurde das Schaffen von Lister mehrfach: Er war der erste Arzt, der 1893 in den Lordstand erhoben wurde; 1897 erhielt er den erblichen Titel „Baron Lister“. Das Royal College of Surgeons of Edinburgh verleiht zu seinen Ehren seit 1924 die Lister-Medaille für Leistungen in der Chirurgie. In der Bakteriologie wiederum wurde ihm mit der Bezeichnung der Gattung Listeria ein Denkmal gesetzt. Lister – er starb vor 110 Jahren – ist einer der 23 ursprünglichen Namen auf dem Fries der London School of Hygiene and Tropical Medicine; all diese Personen haben sich um die öffentliche Gesundheit und Tropenmedizin verdient gemacht.

Literatur: Snedden, Breakthroughs in Medicine, 2020; Hach, Kindbettfieber, 2004; Banerjee, Lister, 2007

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 09 / 10.05.2022