Horizonte: Persönlichkeiten: Guillaume Dupuytren – Napoleon der Chirurgie

11.10.2022 | Service

Sein autoritärer Führungsstil brachte dem französischen Chirurgen Guillaume Dupuytren den Beinamen „Napoleon der Chirurgie“ ein. Die Patienten profitierten von seiner Akribie – vor allem bei komplexen Fällen. Vor 245 Jahren wurde der Namensgeber der Dupuytren-Kontraktur, für die er auch die Operationsmethode entwickelte, geboren.

Manuela-C. Warscher

Auch wenn Dupuytren als Vorgesetzter nicht den besten Ruf genoss, profitierten seine Patienten von seiner Akribie – vor allem bei komplexen Fällen. Sein Motto „Wer gut urteilt, heilt gut“ betonte die Notwendigkeit, die Dupuytren einer fundierten Diagnose basierend auf Untersuchungen und Anamnese beimaß. So ist überliefert, dass er Patienten befragte, sich von ihrem Zustand überzeugte und die Entwicklung ihrer Erkrankung verfolgte. Dupuytren stellte seine Arbeit über alles andere, stand täglich um fünf Uhr auf, war von sechs bis neun Uhr und am Abend von 18 bis 19 Uhr auf Visite, nach der Morgenvisite hielt er eine Stunde Vorlesung, gab für Patienten außerhalb des Hôtel-Dieu Sprechstunde und verließ die Klinik selten vor 23 Uhr. Diese Arbeits moral sollte sich auszahlen: Unter seiner Leitung erlangte das Pariser Spital Weltruhm.

Chirurgische Geschicklichkeit

Was Dupuytren von anderen zeitgenössischen Chirurgen unterschied, war seine chirurgische Geschicklichkeit, die ihm den Weg für einige Pionierleistungen ebnete: von der Resektion des Unterkiefers bis hin zur Gefäß- und Extremitäten-Chirurgie. Außerdem drainierte er einen Gehirnabszess, als Antibiotika noch nicht existierten, und entfernte die Cervix uteri wegen eines Karzinoms. Diese Eingriffe wie auch seine erfolgreichen Behandlungen von arteriellen Aneurysmen durch Kompression und Ligatur der A. iliaca externa (1815), der A. subclavia und der Carotiden in den Jahren 1819 bis 1829 gingen übrigens mit einer Eigenheit von Dupuytren einher: Er hat beim Operieren stets geredet.

Seine innovative Operationsmethode bei der Beugekontraktur der Finger, die er erstmals 1831 bei einem Weinhändler anwendete, führte später dazu, dass er zum Namensgeber für diese Erkrankung wurde: Dupuytren-Kontraktur. Ihre früheste Erwähnung stammt vom Schweizer Arzt Felix Plater, der eine Kontraktur des Ring- und Mittelfingers bereits im Jahr 1614 beschrieb. Mehr als 160 Jahre später dokumentierte der britische Chirurg Henry Cline ihre Pathologie und Therapie mittels Fasziektomie. Dupuytren war die Erkrankung jedoch vor allem aufgrund der Arbeiten seines Lehrers Alexis Boyer bekannt, der sie als Crispatura tendinum bezeichnete.

Da zu dieser Zeit weder eine Standardtherapie noch eine einheitlich akzeptierte Ätiologie existierten, musste Dupuytren auf eine konservative Behandlung in Form der mechanischen Dehnung ausweichen. Etwa 40 Patienten hatte er auf diese Weise therapiert, bis er durch Obduktionen einer seiner Patienten den entscheidenden Durchbruch im Verständnis der Erkrankung erzielte. Die detaillierte Anatomie der erkrankten Hand zeigte ihm, dass nicht die Beugesehnen die Krankheitsursache waren, sondern die Knotenbildung und strangförmige Verdickung der Hohlhandfasern. In der Folge entfernte Dupuytren nicht mehr die Faszienstränge, sondern durchtrennte sie lediglich, um die vollständige Extension zu erreichen. 1831 folgten die offizielle Vorlesung über eine Fasziektomie und die Publikation mit dem Titel „De la rétraction des doigts par suite d’une affection de l’aponévrose palmaire“ im Journal Univ hebd Méd Chir prat Paris. Die englische Übersetzung erschien 1834 im Lancet. Nicht nur sein Durchbruch bei der Dupuytren-Kontraktion, sondern Erfolge bei vielen anderen komplexen Operationen waren das Resultat seines ausgeprägten Ehrgeizes und seines Anspruches, der Beste sein zu wollen. Davon zeugt sein Ausspruch: „Nichts sollte ein Mann so sehr fürchten wie die Mittelmäßigkeit“. Und mittelmäßig waren weder seine Karriere noch sein Leben. Im Gegenteil: Seine frühen Jahre waren von Armut und Lieblosigkeit geprägt. Seine Bildungsmöglichkeiten verdankt Dupuytren der Tatsache, dass er mit drei Jahren adoptiert wird und ein Kavallerieoffizier sein Mentor wurde. Den ersten Berufswunsch Soldat untersagte ihm sein Vater und legte ihm eine Karriere als Chirurg nahe.

Anatomie und Chemie

So studierte Dupuytren in Paris schließlich Anatomie und Chemie – äußerst erfolgreich, wie sich bald herausstellen sollte. Bereits als 18-Jähriger hatte er eine Stelle als Prosektor der Anatomie inne und wurde nur sechs Jahre später, 1801, Nachfolger von Honoré Fragonard als Direktor der Anatomie in Paris. Dupuytren führte anatomische Studien zur Tuba ovaria, dem Ductus deferens, der Milz und der Entwicklung des männlichen und weiblichen Beckens durch. Dazu kamen zahlreiche Sektionen und Analysen von Todesursachen. 1802 war Dupuytren Chirurg zweiter und ein Jahr später dritter Klasse im ältesten Pariser Krankenhaus, dem Hôtel-Dieu, an dem er mehr als 30 Jahre tätig war. 1803 wurde seine Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der Chirurgie positiv beurteilt und er erhielt eine Professur für pathologische Anatomie. Weitere Karriereschritte folgten Zug um Zug: 1808 war er Chefchirurg, 1812 erhielt er den Lehrstuhl für Chirurgie in Paris. Schließlich erhob Louis XVIII – dessen Leibarzt er war ebenso wie auch von Charles X – ihn 1820 in den erblichen Baron-Stand.

Das Arbeitspensum forderte letztlich seinen Tribut: Dupuytren starb 58-jährig 1835 an den Folgen eines Insults, den er 1833 während einer Vorlesung erlitten hatte.

Als „den“ Chirurgen würdigte der französische Realist Honoré de Balzac den Protagonisten seiner Novelle „Die Messe des Atheisten“, Dr. Desplein, alter Ego von Baron Guillaume Dupuytren (1777-1835). Dupuytren verstarb wenige Monate, bevor die Novelle erschien. In der Geschichte der französischen Chirurgie gilt die Zeit von Dupuytren am größten Spital in Paris wegen der Erfolge des Chirurgen auch als Dupuytren-Zeitalter. Einig sind sich die Zeitgenossen bei der Beurteilung seines Charakters wie etwa der Leitende Chirurg der napoleonischen Armee, Pierre-Francois Percy: „Er ist der beste Chirurg und der schlechteste Mensch.“ Sein „frostiges, düsteres, in sich gekehrtes Wesen“ und sein autoritärer und diktatorischer Führungsstil brachten ihm letztlich den Bei-Namen Napoléon de la Chirurgie (Napoleon der Chirurgie) ein.

Quellen: Androutsos: Dupuytren Hellenic Journal of Surgery 2011; Grundmann: Baron. CHAZ 2011; Holzer: Dupuytren ASSH 1994; Schuchart: Entdecker, Ärzteblatt 2017. Wylock: The Life. VUBPress, 2010.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2022