Horizonte: Burrill Bernard Crohn – Die „neue Erkrankung“ des Darms

25.11.2022 | Service

Schon als 23­Jähriger befasst sich Burrill Bernard Crohn in der Abschlussarbeit seines Medizinstudiums mit intra­abdominalen Blutungen. Zu einer Zeit, als die Gastroenterologie noch kein eigenes Fach war, richtete Crohn sein wissenschaftliches Interesse darauf und entdeckte dabei „eine neue Erkrankung des Darms“.

Manuela-C. Warscher

Es war ein Unglück oder vielleicht Glück, dass ich den Großteil meiner beruflichen Laufbahn damit verbracht habe, Durchfall und Verstopfung zu studieren“, sagte der amerikanische Pathologe und Gastroenterologe Burrill Bernard Crohn (1884-­1983). Dass aber der Entdecker des Morbus Crohn die Medizin überhaupt als Berufsfeld erwog, hing – wie er selbst sagte – mit den unheilbaren Verdauungsbeschwerden seines Vaters zusammen. Als Crohn das Medizinstudium im Jahr 1907 als 23­Jähriger mit einer Abschlussarbeit über intra­abdominale Blutungen an der Columbia University abschloss, publizierte ein britischer Chirurg den bislang umfassendsten Bericht über jene Erkrankung, die bis heute mit dem Wirken von Crohn verbunden ist. Lord Berkeley George Andrew Moynihan beschrieb die „non­spezifische Ileits“ so exakt, dass viele spätere Autoren oft die Frage aufgeworfen haben, ob sie daher nicht eher Moynihan’s disease heißen sollte. Crohn – der später der Namensgeber für die Erkrankung sein sollte – wurde als einer von acht aus 120 Kandidaten für eine Assistentenstelle am Mount Sinai Hospital in New York ausgewählt. Nach seiner Tätigkeit in der Pathologie, Klinik und im Labor erhielt Crohn 1926 eine dauerhafte Anstellung an der Klinik und war außerdem als niedergelassener Allgemeinmediziner tätig. In seiner Ordination in der Park Avenue in New York behandelte er jeden Patienten mit dem gleichen Optimismus, berichten Zeitgenossen, die Crohn als höfliche und zurückhaltende Person beschrieben.

Schon als Assistent in der Pathologie unter Emanuel Libman begann Crohn, seine wissenschaftliche Tätigkeit im Labor mit der klinischen Medizin zu kombinieren. Nach und nach richtete er sein Interesse auf die Gastroenterologie – zu einer Zeit, als sie noch kein eigenständiges Fach war, sondern der Inneren Medizin zugerechnet wurde. Daher waren auch die meisten seiner Forschungsfelder in den Händen der Chirurgen, die auch noch im frühen 20. Jahrhundert Erkrankungen des Verdauungstraktes behandelten. Doch bevor sich Crohn den Darmerkrankungen widmete, studierte er einige Jahre die Funktion des Pankreas – an sich selbst als Probanden. Dafür schluckte er einen 90 Zentimeter dicken Gummikatheter und beobachtete, wie sich die abgesaugten Pankreasflüssigkeiten nach dem Genuss von einem Glas Milch veränderten. Letztlich sollten jedoch sowohl das Leid seines engen Freundes und Kollegen am Mount Sinai, Jesse Shapiro, aufgrund seiner entzündlichen Darmerkrankung als auch die hohe Zahl an jüdischen Patienten, die von jeher eine höhere Inzidenz für diese Erkrankung zeigten, Crohn zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurückbringen.

Bereits 1926 konnte Crohn, der zuvor aufgrund seiner Verdienste in der Forschung zum ersten Abteilungsleiter der Gastroenterologie am Mount Sinai ernannt wurde, nachweisen, dass Colitis ulcerosa malign entarten kann. Wenige Jahre später stießen seine chirurgischen Kollegen am Mount Sinai, Leon Ginzburg und Gordon David Oppenheimer, auf Schwierigkeiten, als sie Gewebeproben von Darmtumoren und Strikturen zuordneten. Sie konsultierten Crohn. Zusammen gelang es ihnen, bei 14 Patienten – bis auf zwei alle zwischen 17 und 40 Jahre –, die pathologischen und klinischen Details der schubweise verlaufenden granulomatösen Darmentzündung zu beschreiben. „Ich habe eine neue Erkrankung des Darms entdeckt“, schrieb Crohn 1932 der American Gastroenterological Association (AGA) und ersuchte um einen Vortragsslot bei deren nächsten Sitzung. Crohn bezeichnete sie zunächst als Ileitis terminalis, weil er die Veränderungen primär im terminalen Ileum verortete. Um aber mögliche Assoziationen mit dem Tod zu vermeiden, änderte er die Bezeichnung bei der korrespondierenden Publikation in „regionale Ileitis“. Noch im gleichen Jahr publizierten Crohn, Ginzburg und Oppenheimer unter dem Titel „Regional ileitis: a  pathological and clinical  entity“ im JAMA.

Regionale Ileitis und Colitis ulcerosa

Crohn vermutete, dass die regionale Ileitis häufig von einer Darmentzündung begleitet ist und dass Colitis ulcerosa gleichzeitig mit regionaler Ileitis auftreten kann. Dieses Krankheitsbild hatten vor Crohn bereits der italienische Arzt Giovanni Battista Morgagni 1761 und 1813 Coombe and Saunders in Großbritannien beschrieben. Sogar Rudolf Virchow spezifizierte 1853 einen „entzündlich faserigen Darmtumor“, bis eben 1907 Moynihan die detaillierteste Beschreibung vorlegte. Im Gegensatz zu Moynihan haben Crohn und seine Kollegen jedoch nicht nur die pathologischen und klinischen Merkmale der Erkrankung ausführlich dargelegt, sondern konnten auch belegen, dass alle Fälle bis zum Zeitpunkt dieser Publikation als „Darm-Tuberkulose“ diagnostiziert wurden.

Letztlich waren es die britischen Ärzte George Armitage und Michael Wilson, die 1939 vorschlugen, die Erkrankung Morbus Crohn zu nennen, um die Beschreibung zu vereinheitlichen und auf diese Weise die Leistungen von Crohn zu würdigen. Crohn selbst allerdings sollte diese Bezeichnung zeitlebens nicht verwenden.

Crohn veröffentlichte mehr als 150 Fachartikel und schrieb vier Bücher – darunter seine Biographie 1927 – fünf Jahre vor seiner berühmten Entdeckung. Für seine Errungenschaften wurde der jüdisch-amerikanische Gastroenterologe vielfach ausgezeichnet. Crohn praktizierte auch noch, als er weit über 90 Jahre alt war. Dabei war er nicht nur ein außergewöhnlicher Arzt, sondern auch ein begeisterter Gärtner und Maler – und weithin für sein leidenschaftliches Interesse am Amerikanischen Bürgerkrieg und seine Bewunderung für Abraham Lincoln bekannt. Als Präsident Eisenhower 1956 an Morbus Crohn erkrankte, sicherte Crohn seinen Landsleuten zu, dass sich der Präsident ohne Probleme erholen werde. Sein therapeutischer Ansatz beruhte dabei auf detaillierten Aufzeichnungen seiner Erfahrung und den Einsatz von Steroiden – nicht nur bei Morbus Crohn, sondern auch bei Colitis ulcerosa. Ihm zu Ehren wurde die Burrill B. Crohn Research Foundation am Mount Sinai gegründet. Crohn starb 1983 im Alter von 99 Jahren.

Quellen: Preel, J: Crohn’s disease. Sem. Hop (18) 1979. Campos, F: Crohn. ABCD (26), 2013. Schuchart, S: Crohn. Deutsches Ärzteblatt, 2017. Janowitz, H: Crohn. Falk Foundation, 2011.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 /25.11.2022