Porträt Katharina Kusejko – Mathematik für die Medizin

10.05.2022 | Politik

Mit der mathematischen Modellierung von Infektionskrankheiten begann die Tätigkeit von Mathematikerin Katharina Kusejko in der Medizin. Mittlerweile liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Schweizer HIV-Kohortenstudie. Dabei konnte sie belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen Tuberkulose und HIV-Infektionen gibt und erhielt kürzlich einen Preis dafür.

Ursula Scholz

Die Zeit wa rgerade reif für Interdisziplinarität“, berichtet die Mathematikerin Katharina Kusejko von ihrem Einstieg in die Welt der Medizin. Als sie ihr Mathematikstudium bis zum Doktorat durchgezogen hatte, für das sie von Salzburg nach Zürich übersiedelt war, wollte sie ihr Wissen auch für die Gesellschaft nutzbringend anwenden. „Banken, Versicherungen und das Finanzwesen haben mich nie interessiert. Aber auf der Jobplattform der ETH Zürich war eine Postdoc-Stelle für mathematische Modellierung von Infektionskrankheiten ausgeschrieben. Da habe ich mich sofort beworben“, erzählt Kusejko. Bereits in der Schule hatte sie ihre Vorwissenschaftliche Arbeit einem medizinischen Thema gewidmet – und wären da nicht die Laborstunden gewesen, wäre für sie auch ein Medizinstudium durchaus in Frage gekommen.

Forschung an Antibiotika-Resistenzen

Nachdem sie die Stelle am Universitätsspital Zürich erhalten hatte, forschte Kusejko an Antibiotika-Resistenzen sowie an Protheseninfektionen. Ihr Hauptaugenmerk galt und gilt allerdings der Schweizer HIV-Kohortenstudie. Mittlerweile konzentriert sie sich nicht mehr nur auf mathematische Modellierung, sondern bearbeitet auch Daten von klinischen Studien. Um den medizinischen Part besser zu verstehen, hat sie Immunologie-Vorlesungen besucht. Mit Anfang 2020 übernahm sie die Leitung des Datenzentrums der HIV-Kohortenstudie und analysierte in diesem Kontext die Koinzidenz von Tuberkulose- und HIV-Infektionen.

Auf das Thema Tuberkulose und HIV kam Kusejko über den Infektiologen Johannes Nemeth vom Universitätsspital Zürich. Nemeth arbeitet schon seit Jahren mit Mäusen, die mit Tuberkulose infiziert sind. Bei diesen hat sich im Fall einer latenten Tuberkulose-Infektion eine gewisse Schutzwirkung in Bezug auf andere Erkrankungen wie beispielsweise Krebs gezeigt. Auf Anregung von Nemeth ging Kusejko der Frage nach, ob es bei den Schweizer HIV-Infizierten, die ja alle im Hinblick auf Tuberkulose getestet sind, ebenfalls eine Art Schutzwirkung bei einer latenten Tuberkulose-Infektion gibt. „Diese These wurde anfangs eher belächelt, aber die Ergebnisse sind eindrucksvoll“, betont Kusejko. Die niedrigste HI-Viruslast weisen nämlich unter den 14.000 Probanden nicht etwa jene Menschen auf, die nicht zusätzlich noch eine Tuberkulose in Schach halten müssen, sondern jene, die sehr wohl mit Tuberkulose infiziert sind, bei denen die Krankheit aber nicht ausbricht. „Nun stellt sich die große Frage, ob die latent Tuberkulose-Infizierten aufgrund spezieller immunologischer Eigenschaften sämtliche Erkrankungen besser kontrollieren können und deshalb auch eine geringere HI-Viruslast haben – oder ob die latente Tuberkulose selbst immunstimulierend wirkt. Dann könnte sie eventuell auch bei COVID-19-Infektionen eine Art Schutz bieten“, erklärt Kusejko. Darauf gebe es erste Hinweise. Für ihre Arbeit erhielt die 32-Jährige kürzlich den mit 15.000 Franken dotieren Pfizer-Forschungspreis im Bereich Klinische Forschung in der Sparte Infektiologie, Rheumatologie und Immunologie.

Von den Ärzten fühlt sich Kusejko durchaus akzeptiert, obwohl sie aus einem artfremden Fach kommt. „Im Allgemeinen wird unser Statistikteam sehr geschätzt. Ärzte haben oft große Datenmengen gesammelt, bei deren Aufarbeitung sie gerne Hilfe annehmen.“ In vielen Studien des Universitätsspitals Zürich ist das Budget für die Statistiker schon eingeplant.

Der Anfang als Leiterin des Datenzentrums waren für Kusejko dennoch nicht einfach, weil sie die Führung kurz vor dem ersten Lockdown übernommen hatte und nur selten vor Ort arbeiten konnte. Hilfreich war, dass sie die Player der HIV-Kohortenstu-die aus der gesamten Schweiz bereits gekannt hat. Neben der Hauptstudie verfolgt Kusejko mehrere kleinere Forschungsprojekte: unter anderem eine Hepatitis-C-Studie innerhalb der HIV-Kohorte, eine Studie zum Stillen bei HIV-positiven Müttern, aber auch zur COVID-19-Impfantwort bei HIV-Patienten (und Menschen nach einer Transplantation). In Kooperation mit der österreichischen HIV-Kohortenstudie werden die Gensequenzen der HI-Viren analysiert, um ein Transmissionsnetzwerk zu erstellen. Dabei zeigen sich interessante Unterschiede zwischen der Schweiz und Österreich: In die Schweiz werden viele Infektionen über den heterosexuellen Transmissionsweg direkt oder indirekt aus dem Ausland erworben. Österreichische HIV-Positive hingegen sind häufiger MSM, die sich in verschiedenen Weltregionen infiziert haben. In beiden Ländern erfolgt ein hoher Anteil an Übertragung über ausländische Sexualpartner, weshalb hier wie dort trotz ausgeprägter Prophylaxe die Rate der Neuinfektionen nur schwach sinkt.

Wissenschaftlicher Wettkampf als Art „Spiel“

Dass sie ihre mathematischen Fähigkeiten weiterhin in den Dienst der Wissenschaft stellen will, ist für Kusejko klar. „Ich mag den wissenschaftlichen Wettkampf: Ich sehe ihn auch als eine Art Spiel“, gesteht sie. Sie punktete von klein auf mit guten Noten, betont aber, dass auch ihr nichts in den Schoß gefallen sei. Zwar wurde sie von ihren Eltern, die ein Unternehmen führen, das sich auf die Entwicklung und Produktion von innovativen Automatisierungs-Komplettlösungen spezialisiert hat, stets darin bestärkt, im naturwissenschaftlichen Bereich ihre Frau zu stehen. „Im Master- und im Doktoratsstudium an der ETH Zürich musste ich aber schon auch kämpfen“, merkt sie an. Das Bakkalaureat-Studium in Salzburg war durch die geringere Studierendenzahl persönlicher orientiert gewesen, was Kusejko zu schätzen wusste. „Das Mathematikstudium in Salzburg muss sich nicht hinter der ETH verstecken. Da habe ich sowohl im fachlichen Bereich als auch in Bezug auf sorgfältiges Arbeiten eine hervorragende Grundausbildung erhalten“, betont sie. Was ihr schon seit Schulzeiten gelingt und immer wieder weiterhilft, ist die Gabe, sich auch für nicht so spannende Teile der Arbeit motivieren zu können. Für sich selbst hat sie eine gute Balance gefunden, Kompromisse einzugehen und den eigenen Standpunkt trotzdem angemessen zu vertreten. Das große Ziel von Kusejko ist eine eigene Professur. Ihre Habilitation an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich hat sie bereits im vergangenen Herbst eingereicht; sie rechnet aber noch mit ein paar Monaten Begutachtungszeit

Klettern und Musik

Nicht nur auf der Karriereleiter klettert Kusejko engagiert nach oben: Auch das Klettern in der Halle gehört zu ihren bevorzugten Freizeitaktivitäten. Daneben singt sie – als Österreicherin in der Schweiz im Schwedischen Chor von Zürich – und nimmt Gesangs- wie Geigenstunden. Erst im vergangenen Herbst ist sie im kleinen Rahmen solistisch als Rapunzel aufgetreten. Ihre musikalische Heimat bilden das Musik-Realgymnasium, in dem sie maturiert hat, und der Michael Haydn-Chor im Heimatort Lamprechtshausen knapp 30 Kilometer nördlich der Stadt Salzburg. Dort leben auch ihre Eltern, die es Katharina Kusejko als engagierte Großeltern ermöglicht haben, nach der Geburt ihres Sohnes beruflich auf dem Laufenden zu bleiben und auch während der in der Schweiz ohnehin recht knapp bemessenen Karenzzeit von 16 Wochen den Kontakt zur wissenschaftlichen Welt aufrecht zu erhalten. „Meine Arbeit ist eben auch meine
Leidenschaft.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 09 / 10.05.2022