Porträt: Jonas Jägermeyr: Nahrungssicherheit vor Klimawandel

10.02.2022 | Politik

Nach einer erfolgreichen Karriere als Schauspieler widmet sich Crop-Modelling-Experte Jonas Jägermeyr der Projektion von künftigen globalen Erntebedingungen in verschiedenen Szenarien des Klimawandels. Die nachhaltige Sicherung der Ernährung sieht er als noch größere Aufgabe an als die Bewältigung des Klimawandels.

Ursula Scholz

Jonas Jägermeyr, Experte für Crop Modelling, hat in der Geographie für sich den richtigen Beruf gefunden – selbst wenn sein Weg dorthin durch mehrere Städte und jedenfalls über die Berge geführt hat. Im Alter von zehn Jahren wurde der heute 38-Jährige in seiner Heimatstadt Berlin beim Skateboarden auf der Straße „entdeckt“ – von einem Studenten der Filmakademie, der ihn für seinen Abschlussfilm angeheuert hat. „Die Schauspielerei war mir eigentlich suspekt“, gesteht Jägermeyr. „Aber Skateboarden war toll.“ Der Film wurde auf einem Festival präsentiert, kam gut an – und Jägermeyr wurde zu Castings geladen. Obwohl er auch eine Schauspiel-Schule absolviert hat, war seine Karriere am Set für ihn immer nur eine Nebenaktivität neben Abitur und Studium.

Während er in Literaturverfilmungen wie „Der Vorleser“ ebenso zu sehen war wie in TV-Serien (Tatort, Der Kriminalist, SOKO Leipzig), studierte er parallel zur künstlerischen Tätigkeit Geographie und schloss sein Diplomstudium als Jahrgangsbester ab. Es folgte die Dissertation summa cum laude. Schon im Zuge seiner Doktorarbeit am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) absolvierte er ein Praktikum bei der NASA in San Francisco. Seit 2017 ist er in New York als Assistant Professor an der Columbia University im Center for Climate Systems Research angestellt, mit einem Büro im NASA Goddard Institute für Space Studies als Guest Scientist. Mit seinen Projekten ist er in beiden Institutionen verwurzelt.

Soweit zu den Städten. Aber sein Weg führte den passionierten Bergsteiger und Kletterer auch über die Berge. Um ihnen nahe zu sein, lebte er eine Zeit lang in Innsbruck. Ein dramatisches alpinistisches Erlebnis in den Dolomiten bestimmte seinen Berufswunsch. „Ich bin dort in ein heftiges Gewitter geraten, in dem auch Menschen gestorben sind. Am Berg bist du dem Wetter ja total ausgesetzt und um mich dabei auszukennen, wollte ich dann Meteorologie studieren.“ Die ersten Schritte in der Welt der Wetterkundler enttäuschten ihn allerdings. „Die Meteorologie ist letztlich nur ein sehr enges Feld der Physik und blendet Ursachen und Auswirkungen aus.“ Jägermeyrs Alternative wurde die Geographie, „ganz im Humboldt`schen Sinne“ einer sehr umfassenden Erdkunde.

Mit der Übersiedelung nach New York gab Jägermeyr die Schauspielerei auf, obwohl ihn manchmal ein wehmütiges Gefühl überkommt, wenn er in New York zufällig an einem Filmset vorbeikommt. „Aber mit meiner eigenen Forschungsgruppe hier habe ich meine Identität als Wissenschafter gefunden und tue seitdem das, was für mich richtig ist.“

Erntebedingungen: komplexe Modelle

Die aktuelle Forschung von Jägermeyr widmet sich der Projektion – nicht Vorhersage! – von künftigen globalen Erntebedingungen in verschiedenen Szenarien des Klimawandels. Kürzlich veröffentlichte er mit seinem deutsch-ameri-kanischen Team in „Nature Foods“ eine Vorausschau auf mögliche Entwicklungen der wichtigsten Nutzpflanzen bis zum Jahr 2100. „Dabei sind gegenläufige Entwicklungen zu berücksichtigen: Einerseits fördert ein ansteigender CO2-Gehalt der Luft das Pflanzenwachstum.

Andererseits führt er zu einem deutlichen Temperaturanstieg, der in manchen Regionen einen kompletten Umstieg auf andere Nutzpflanzen erfordert“, erläutert er die Komplexität des Themas. In jenem Szenario der Studie, in dem der Klimawandel negiert wird und weitergelebt wird wie bisher (es gibt auch andere!), ist mit einem Ernteminus von einem knappen Viertel bei der weltweit wichtigsten Nutzpflanze Mais zu rechnen. „Eine nachhaltige Ernährungssicherheit für alle Erdbewohner zu sichern, ist eine noch größere Aufgabe, als den Klimawandel zu stemmen“, ist Jägermeyr überzeugt.

Als Co-Leader und Koordinator der Arbeitsgruppe Global Gridded Crop Model Intercomparison (GGCMI) innerhalb des kontinent-übergreifenden AgMIP-Projektes (Agricultural Model of Intercomparison and Improvement) betont er die Varianz und Unsicherheit all dieser „Projektionen“. „Wir zeigen nur mögliche Pfade auf. Aber dass die Auswirkungen des Klimawandels in den südlicheren Regionen dramatischer sein werden als in höheren Breiten ist evident. Im Süden sind viele Pflanzen bereits am Limit.“ Dazu kommt, dass betroffene Regionen in Zentralamerika oder im Süden von Afrika kleinbäuerlich geprägt sind und ein Wechsel der Nutzpflanzen nicht ohne Überwindung einer kulturellen Schwelle möglich ist.

Folgestudien sollen möglichen Lösungsansätzen gewidmet sein: von Anpassungsprogrammen für Bauern inklusive Anreizsystemen über geänderte Aussaattermine, den Wechsel zu besser an das Klima angepassten Varietäten (eine neue Zuchtlinie braucht allerdings ein Jahrzehnt …) oder zu anderen Nutzpflanzen bis hin zu Bewässerungssystemen und Maßnahmen zum Erhalt der Bodenfeuchtigkeit.

Jägermeyr wünscht sich einen ganzheitlichen Ernährungszyklus, der nicht nur die Produktion, sondern auch die Konsumation ins Auge fasst: „Als Entscheidungshilfe für Konsumenten braucht es ein Label zur Orientierung, welche Konsequenzen ein Produkt auf das Klima, den Ressourcenverbrauch und die Gesundheit hat.“ Die größte Stellschraube sieht er in der Eindämmung des Fleischkonsums, aber auch in weniger Food waste. „Es braucht gleichzeitig einen individuellen Beitrag und eine systemische Lösung“, um globale Ernährungssicherheit zu erreichen. Jägermeyr sieht sich selbst nicht als expliziten Vorreiter eines Ressourcen-schonenden Lebenswandels. „Ich versuche, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen“, meint er bescheiden. Er isst wenig Fleisch, legt fast alle Wege mit dem Fahrrad zurück und konsumiert bewusst.

Ebenso wichtig wie die Publikation seiner Forschungsarbeiten ist für ihn eine Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Menschen emotional berührt und somit empfänglicher für neue Ideen macht. Daher beschäftigt die NASA einen „Artist in Residence“, der versucht, Forschungsergebnisse in eine weniger technische Sprache zu übersetzen.

Ein- bis zweimal jährlich kehrt Jägermeyr zu seinen familiären wie wissenschaftlichen Wurzeln nach Deutschland zurück, besucht Freunde und Verwandte und hält Vorträge und Seminare am PIK zusammen mit seinem dortigen Doktorvater Dieter Gerten und dem zweiten Co-Leader im gemeinsamen AgMIP-Projekt, Christoph Müller. Für seine aufwändigen Modellrechnungen greift Jägermeyr auch virtuell auf die dortigen Großrechner zurück. „Potsdam ist für mich nur zwei Klicks auf meinem Laptop entfernt.“

Berufsziel: Tenure-Track-Professur

Sein berufliches Ziel möchte er jedoch in New York erreichen: eine Tenure-Track-Professur an der Columbia. Auch an seiner Work-Life-Balance möchte Jägermeyr arbeiten: „Seit meiner Disserta tion bin ich nur am Arbeiten.“ Er selbst beschreibt sich als ehrgeizig und ausdauernd, vom Wesen her auch als perfektionistisch. Dem gegenüber stehen wiederum Geduld und Teamfähigkeit. Den Ausgleich zum kompetitiven akademischen Leben findet er nach wie vor am Berg, besonders beim Klettern. Den El Capitan hat er schon bezwungen. „Sobald man am Fels hängt, ist der Kopf frei.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 03 / 10.02.2022