Porträt Felix Grabherr – Systematik bringt den Zufall

11.10.2022 | Politik

Das Interesse an Entzündungsreaktionen – aktuell jenen bei M. Crohn – steht im Mittelpunkt des Forschungsinteresses von Felix Grabherr. Wenn er auch den systematischen Ansatz bei seiner Arbeit schätzt, so ist er offen für die Zufälle, erzählt der Forscher, der den Spezialpreis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses des Landes Vorarlberg erhielt.

Ursula Scholz

Von allen Außenflächen des Körpers ist der Darm die größte und damit ein spannendes Interaktionsfeld zwischen außen und innen“, schwärmt Felix Grabherr von seinem Forschungsgebiet. Der Assistenzarzt an der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Innsbruck für Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie und Stoffwechsel kam schon im Jahr 2010 zum Studium nach Innsbruck, fühlt sich seiner Vorarlberger Heimat aber weiterhin eng verbunden. Kürzlich wurde ihm der Vorarlberger Wissenschaftspreis des Landes in der Kategorie „Spezialpreis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ zugesprochen, der am 7. November 2022 übergeben werden soll. Voraussetzung für den Erhalt des Preises ist entweder der persönliche Bezug zu Vorarlberg oder der thematische Bezug der wissenschaftlichen Arbeit zum Ländle. Bewerbungen dafür sind nicht möglich, allerdings kann man seinen Lebenslauf einreichen. „Ich hatte das schon im Jahr davor getan. Als ich den Preis jetzt bekommen habe, war ich sehr überrascht.“

Grabherr erfüllt den lokalen Bezug zu Vorarlberg – stammt er doch aus Höchst im Bezirk Bregenz. Sogar seine ersten beruflichen Erfahrungen in der Medizin machte er in seinem Heimatbundesland: als Zivildiener im Krankenhaus Bregenz. Nach Abschluss der Handelsakademie für Wirtschaftsinformatik hatte er eigentlich lose vorgehabt, Mathematik zu studieren. Aber die Monate im Krankenhaus hatten seine Leidenschaft für die Medizin geweckt und nach bestandenem Aufnahmetest war die Entscheidung gefallen.

„Ich bin komplett offen an das Medizinstudium herangegangen“, erzählt Grabherr. „Ich hatte zunächst auch noch keine Vorstellung, in welche Richtung ich dann als fertiger Arzt gehen möchte.“ Im Laufe der Studienzeit begann er sich dann für Immunologie und Entzündungsreaktionen zu interessieren und dockte an das Labor von Univ. Prof. Herbert Tilg an der Innsbrucker Gastroenterologie an, in dem schon viele Preisträger ihre ersten Erfahrungen mit wissenschaftlicher Arbeit gemacht haben. Hier sammelte er erste Forschungserfahrungen bei der Untersuchung von Interleukin 37 bei der alkoholischen Lebererkrankung. Am Mausmodell konnte er beobachten, dass Interleukin 37 antiinflammatorisch wirkt, also die Entzündungs-reaktion nicht von vornherein verhindert, jedoch die bereits erfolgende überschießende Immunantwort dämpft. „IL 37 hemmt jene Mechanismen, die ansonsten bewirken, dass sich eine Entzündungsreaktion selbst immer wieder antreibt.“ Beim Menschen gibt es noch keine Möglichkeit, IL 37 pharmakologisch zuzuführen. Grabherr konnte aber neben den Untersuchungen am Mausmodell zumindest bei Patienten mit alkoholbedingter entzündlicher Lebererkrankung beobachten, dass im Lebergewebe weniger IL 37-mRNA exprimiert wird als bei den Probanden der gesunden Kontrollgruppe. Schließlich beteiligte er sich an der Forschungsarbeit seines Doktorvaters Timon Adolph zum Thema Morbus Crohn und der Auswirkung von mehrfach ungesättigten Fettsäuren auf den kranken Darm. Den Vorarlberger Wissenschaftspreis hat er für beide Ansätze erhalten.

Zellen und Rezeptoren identifizieren

Im Zuge der Forschungsarbeiten zur Wirkung von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, die bei genetisch suszeptiblen M. Crohn-Patienten (also jenen, deren Enzym Glutathione Peroxidase 4 (GPX4) gehemmt ist) Entzündungsschübe auslösen können, fokussiert sich Grabherr momentan auf die Frage, auf welche Art von Darmepithelzelle die Fettsäuren Entzündungsprozesse auslösen. Weiters versucht er zu klären, mit Hilfe welcher Rezeptoren sie in die Zelle gelangen beziehungsweise in der Zelle erkannt werden. Erkenntnisse dazu gewinnt er, indem er im Mausmodell den vermutlich daran beteiligten Rezeptor entweder molekulargenetisch aus der Zelle entfernt oder blockiert und danach die genetisch veränderten Mäuse mit normalen Tieren vergleicht. Gefüttert werden die Tiere beider Versuchslinien mit einer speziellen fettreichen Diät. „Durch seltener oder häufiger auftretende Darmentzündungen lassen sich dann eventuell Rückschlüsse auf die Funktion der jeweiligen Rezeptoren ziehen.“ Nicht nur an Mäusen, auch an Darm-Organoiden werden im Innsbrucker Labor entsprechende Erkenntnisse gewonnen.

Blockbuster der Inneren Medizin

Seit sich Grabherr wissenschaftlich mit M. Crohn beschäftigt, sieht er die Versprechungen der Erzeuger von Functional Food und Nahrungsergänzungsmitteln sehr kritisch. „Ich überlege mir, was in den angepriesenen Produkten konkret drin ist und komme oft zum Schluss, dass das Produkt nicht hält, was es verspricht.“ Sein Ratschlag für eine Darm-schonende Ernährung ist klar und kompakt: „Selber kochen!“ Er selbst macht das schon seit langem gerne, aber seit seiner einschlägigen Forschungstätigkeit noch bewusster. Als „frei von Ernährungssünden“ würde er sich trotzdem nicht bezeichnen; diese Vorstellung entlockt ihm sogar ein herzhaftes Lachen. „Aber ich weiß zumindest, worauf ich mich einlasse“, betont er. Fast alle „Blockbuster der Inneren Medizin“(Grabherr), egal ob Hypertonie, Diabetes mellitus oder metabol ausgelöster Lebererkrankungen, seien immer auch mit einer Mitverantwortung der Patienten verbunden, ist er überzeugt.

Bergluft macht frei

Möchte er den Kopf frei bekommen, geht Felix Grabherr in die Berge. „Dafür ist Innsbruck einfach ideal! Man ist in zehn Minuten draußen aus der Stadt.“ Im Winter steht er dann gleich auf den Schiern oder am Snowboard, im Sommer geht er auf die Berge ohne Sportgerät. Viel Zeit für die Erholung am Berg bleibt ihm ohnehin nicht neben der klinischen und der wissenschaftlichen Arbeit. Aber Grabherr ist so fasziniert von der Forschung, dass er nach Abschluss seiner Facharztausbildung weiterhin die beiden Gebiete kombinieren möchte. Darüber hinaus hat er keine konkreten beruflichen Zukunftspläne. Wie schon bei der Studienwahl lässt er das Künftige ein Stück weit auf sich zukommen: „Mir ist nur wichtig, dass es den Menschen, die ich als Arzt betreue, durch mein Engagement besser geht“. An der Hilfe, die er den Betroffenen geben kann, messe er seinen Erfolg. Und am positiven Feedback für seine Publikationen innerhalb der Fachcommunity.

So offen Felix Grabherr für die Zufälle des Lebens ist, so sehr schätzt er bei seiner Arbeit auch den systematischen Ansatz. Auch im Labor. Oft seien zwar die wissenschaftlichen Zufallsfunde besonders wertvoll – „denken wir an das Penicillin!“– aber ohne Systematik dahinter komme man nicht auf die Zufälle. „Ich bin chaotisch genug, dass ich offen bin für den Zufall“, merkt Grabherr mit feiner Selbstironie an. Ausgestattet mit einer Grundneugier geht er an jede neue Forschungsfrage heran. Den Weg, den er danach einschlägt, überlegt er sich dann aber gut.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2022