Inter­view Oswin Lech­tha­ler – Mit Stra­te­gie deeskalieren

11.10.2022 | Politik

Auch wenn es schwie­rig ist, trotz Beschimp­fun­gen und aggres­si­vem Ver­hal­ten von Pati­en­ten freund­lich zu blei­ben: Es ist den­noch enorm wich­tig, betont der Poli­zist Oswin Lech­tha­ler, der Dees­ka­la­ti­ons­se­mi­nare für Ärzte lei­tet. Wel­che Stra­te­gien hier ziel­füh­rend sind, erklärt er im Inter­view mit Mar­tin Schil­ler.

Wie erkennt man früh­zei­tig, dass es zu einer Eska­la­tion kom­men könnte? Klas­si­sche Merk­male sind die zuneh­mende Laut­stärke beim Spre­chen, eine ver­krampfte Kör­per­hal­tung oder wenn jemand das Gesicht ver­zieht. Man sollte auch immer auf die Hand­hal­tung ach­ten: Macht ein Pati­ent beim Spre­chen eine Faust, ist er bereits gela­den, auch wenn noch keine Dro­hung aus­ge­spro­chen wird. Betritt jemand den Raum, ohne zu grü­ßen und beginnt das Gespräch mit Vor­wür­fen, ist eben­falls Vor­sicht angesagt.

Wie kann man dees­ka­lie­rend auf eine aggres­sive Per­son ein­wir­ken? Aggres­sive Men­schen befin­den sich stark in einer bestimm­ten Emo­tion. Das kön­nen Wut und Ärger sein, aber auch Ekel. Mit stei­gen­der Emo­tio­na­li­tät sinkt die Ver­nunft. Das heißt, man kann diese Per­so­nen auf einer ratio­na­len Ebene nicht errei­chen und sie sind auch für Hin­weise auf ihr Ver­hal­ten nicht emp­fäng­lich wie zum Bei­spiel mit Äuße­run­gen wie ‚Bitte regen Sie sich nicht auf‘. Den­noch kann man auf die Emo­tion ein­ge­hen. Zum Bei­spiel könnte man jeman­dem, der laut und vor­wurfs­voll ist, sagen: ‚Sie sind aber ver­är­gert, warum denn?‘ oder aber zu fra­gen: ‚Was ist denn los?‘ Das bie­tet die Mög­lich­keit, das Gegen­über in sei­ner Emo­tion abzuholen.

Das heißt: Man sollte die Emo­tion auf­grei­fen, ohne zu tadeln? Die Emo­tion sollte nicht igno­riert wer­den, die Bot­schaft muss viel­mehr lau­ten: Ich nehme dich ernst, ich nehme dich in dei­ner Emo­tion wahr. Damit befin­det man sich dann auf glei­cher Augen­höhe. Natür­lich ist es schwie­rig, lau­tes Spre­chen und viel­leicht auch Beschimp­fun­gen zu über­hö­ren und freund­lich zu blei­ben, aber es ist enorm wich­tig. Und kei­nes­falls sollte man die Dinge, die man zu hören bekommt, per­sön­lich neh­men. Der wütende Pati­ent meint im Grunde nicht den Arzt, der ihm gegen­über­sitzt, auch wenn es im Moment so erscheint.

Wie kann man einem Kon­flikt vor­beu­gen? Wenn man bemerkt, dass sich ein Kon­flikt anbahnt, ist es wich­tig, ruhig und lang­sam wei­ter­zu­spre­chen und sich nicht auf die emo­tio­nale Ebene zu bege­ben. Im Vor­hin­ein las­sen sich mit Höf­lich­keit, Freund­lich­keit und einem Lächeln auch viele Kon­flikte ver­hin­dern. Ein Lächeln kann in man­chen Fäl­len schon den Wind aus den Segeln nehmen.

Wie kann man das eigene Ver­hal­ten in kri­ti­schen Situa­tio­nen opti­mie­ren, um kei­nen zusätz­li­chen Reiz aus­zu­lö­sen – bei der Kör­per­hal­tung und der Stimme? Auch hier gilt wie­der: auf eine ruhige Stimme ach­ten und das Sprech­tempo nicht erhö­hen. Wei­ters ist eine offene Arm­hal­tung wichtig.Verschränkte Arme signa­li­sie­ren Ableh­nung. Der Arzt sollte immer seine Hände zei­gen. Ver­steckt man sie zum Bei­spiel unter dem Tisch könnte das für Irri­ta­tion sor­gen und Gedan­ken wie ‚Was macht er? Was hat er vor?‘ erzeu­gen. Das Gegen­über han­delt in sol­chen Pha­sen nicht rational.

Wel­che Tipps gibt es hier für die Gesprächs­füh­rung? Auch wenn es schwie­rig ist, sollte man ver­su­chen, lösungs­ori­en­tiert zu blei­ben und Inter­esse zu zei­gen am Pro­blem, das den Pati­en­ten gerade in die Emo­tion bringt. Zum Bei­spiel mit For­mu­lie­run­gen wie ‚Ich ver­stehe, dass Sie wütend sind, weil sie so lange gewar­tet haben.‘ Oder wenn jemand sei­nen Unmut über etwas geäu­ßert hat: ‚Erzäh­len Sie wei­ter‘. Damit signa­li­siert man: Ich höre zu, ich ver­stehe das Pro­blem. In vie­len Fäl­len beru­higt sich der Pati­ent, wenn er ‚aus­damp­fen‘ kann.

Wenn es nicht mög­lich ist, von einer emo­tio­na­len wie­der auf eine sach­li­che Ebene zu kom­men: Was kann man tun? Zunächst sollte man selbst auf jeden Fall äußer­lich ruhig blei­ben. Dann sollte man Mit­ar­bei­ter dazu holen – am bes­ten sol­che, die auch in puncto Dees­ka­la­tion geschult sind. Es kann hilf­reich sein, wenn ein Außen­ste­hen­der dazu­kommt und Ver­ständ­nis für die Emo­tion zeigt wie zum Bei­spiel: ‚Ich ver­stehe, das hat Sie ver­är­gert. Viel­leicht fin­den wir eine Lösung.‘ Man sollte aber auch vorab prü­fen, ob im Fall des Fal­les Flucht­wege vor­han­den sind. Wenn gar nichts mehr hilft, ist ein Anruf bei der Poli­zei Ultima ratio.

Was kann man Ärz­ten bei Dro­hun­gen und ver­ba­ler Gewalt im Inter­net raten? Wird eine Dro­hung oder ver­bale Gewalt auf einer öffent­li­chen Platt­form geäu­ßert, ist der Betrei­ber ver­pflich­tet, diese spä­tes­tens nach 24 Stun­den zu löschen. Kommt es über E‑Mails oder andere Nach­rich­ten­dienste zu Dro­hun­gen, sollte man am bes­ten sofort die Poli­zei ein­schal­ten. Han­delt es sich um eine Belei­di­gung, ist die Poli­zei nicht zustän­dig. Man kann sich aber ans Bezirks­ge­richt wen­den, wenn man dage­gen vor­ge­hen will. Von dort erhält die Poli­zei ledig­lich den Auf­trag, den Inha­ber des Accounts auszuforschen.

Wie lässt sich ein Gefähr­dungs­po­ten­tial von Dro­hun­gen, die via E‑Mail oder per Tele­fon kom­men, abschät­zen? Vor­weg: Man muss alles ernst neh­men und allem nach­ge­hen. Aber eine Richt­schnur für das Gefähr­dungs­po­ten­tial ist, wie­viel Ener­gie jemand dafür auf­wen­det. Ein Bei­spiel: Ruft jemand an und sagt, er habe eine Bombe plat­ziert, und man fin­det eine Attrappe, wurde schon viel Ener­gie inves­tiert – deut­lich mehr als ‚nur‘ einen Anruf. Ein ande­res Bei­spiel: Wenn man mit Gewalt bedroht wird an einer bestimm­ten Ört­lich­keit, die in unmit­tel­ba­rer räum­li­cher Nähe liegt, dann wurde man viel­leicht schon beob­ach­tet. In sol­chen Fäl­len sollte man beson­ders alar­miert sein.

Gibt es sonst noch Tipps, wie man sich wapp­nen kann? Dees­ka­la­tion muss geübt wer­den und es hilft auch, wenn man sie im All­tag in ande­ren Set­tings und in harm­lo­sen Situa­tio­nen übt. Das beginnt schon in Geschäf­ten, wenn Bediens­tete ver­är­gert wir­ken und man als Kunde auf die Emo­tion ein­geht. Kurzum: Üben sollte man Stück für Stück dort, wenn Men­schen nicht in guter Stim­mung sind.


Tipps zur Deeskalation

  • Ruhig und lang­sam weitersprechen
  • Emo­tio­nen nicht igno­rie­ren, son­dern auf­grei­fen „Was macht Sie so verärgert?“
  • Arme offen­hal­ten, nicht verschränken
  • Hände offen zeigen
  • Trotz Irra­tio­na­li­tät ver­su­chen, auf Augen­höhe zu bleiben
  • Mit­ar­bei­ter hin­zu­zie­hen und ver­su­chen gemein­sam lösungs­ori­en­tiert vorzugehen
  • Dees­ka­la­tion muss geübt werden

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2022