Lungenembolie: Risikobehaftete Vorerkrankungen

10.06.2022 | Medizin

Zu den hohen Risikofaktoren für eine Lungenembolie zählen neben venösen Thromboembolien rezente Operationen oder ein Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz sowie Immobilität. Etwas geringer ist das Risiko bei Hormon ersatztherapie oder chronisch entzündlichen Erkrankungen sowie bei einer Chemotherapie wegen eines Malignoms, wobei eine Krebserkrankung der höchste Risikofaktor für ein Rezidiv ist.

Sophie Fessl

Plötzlich einsetzende Atemnot oder eine sich akut verschlechternde chronische Atemnot sind Alarmsymptome für eine Lungenembolie. Generell sei die Symptomatik der akuten Lungenembolie „leider“ sehr unspezifisch, berichtet Ass. Prof. Karin Janata-Schwatczek von der Universitätsklinik für Notfallmedizin der Medizinischen Universität Wien. „Wie bei einem Puzzle müssen Symptome, Risikofaktoren und klinische Befunde zusammengefügt werden, um die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Lungenembolie festzulegen.“ Die Lungenembolie stelle eine häufige Erkrankung dar, erklärt Univ. Prof. Marianne Brodmann von der Klinischen Abteilung für Angiologie der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz. „Auch durch die Corona-Pandemie bedingt hatten wir in der Notaufnahme jeden Tag zwischen einer und drei Lungenembolien bei einem Einzugsgebiet von 300.000 Einwohnern.“

Während zehn bis 20 Prozent der Fälle asymptomatisch verlaufen und nur als Zufallsbefund entdeckt werden, zeigen die restlichen Fälle ein breites Spektrum an Symptomen. Neben der zunehmenden Atemnot ist auch eine zunehmend verminderte Belastbarkeit typisch; auch Thoraxschmerzen können auftreten. Diese sind in erster Linie atemabhängig. Bei einer massiveren Lungenembolie können die Brustschmerzen auch einer Angina pectoris-Symptomatik ähneln. Auch trockener Husten, Hämoptysen und Synkopen können auf eine Lungenembolie hindeuten. „Bei einem bettlägerigen Patienten mit einer Lungenentzündung, die sich unter antibiotischer Therapie nicht adäquat bessert oder dessen Atemnot im Verlauf aggraviert, muss man daran denken, dass eine Lungenembolie dazugekommen sein kann“, berichtet Janata-Schwatczek aus der Praxis.

Besonders bei Patienten mit bestimmten Risikofaktoren sollte bei Atemnot an eine Lungenembolie gedacht werden. Zu den Risikofaktoren für eine Lungenembolie zählen laut Janata- Schwatczek venöse Thromboembolien in der Anamnese, rezente Opera tionen, Myokardinfarkt in den vergangenen Monaten, Herzinsuffizienz sowie Immobilität – etwa in Folge eines Insults oder wegen Ruhigstellung nach einem Trauma. Moderate Risikofaktoren sind maligne Erkrankung – besonders während einer Chemo therapie –, Autoimmunerkrankungen, Hormonersatztherapie, sowie chronisch entzündliche Erkrankungen. „Wir sehen eine saisonale Häufung. Sehr häufig ist die Lungenembolie in Reisezeiten, wenn Leute überlange Zeit immobil sind, sowie im Winter nach Wellen infektiöser Erkrankungen wie Influenza“, berichtet Brodmann. Während das Wochenbett ein moderater Risikofaktor ist, stelle eine unkomplizierte Schwangerschaft per se ein niedriges Risiko dar, fügt Janata-Schwatczek hinzu. „Im Wochenbett und vor allem nach einem Kaiserschnitt muss bei Atemnot oder Thoraxschmerzen auch an eine Lungenembolie gedacht werden.“

Mortalitätsrisiko beeinflusst Strategie

Die diagnostische und therapeutische Strategie hängt vom vermuteten Mortalitätsrisiko der Embolie ab. Ist der Patient hämodynamisch beeinträchtigt, so fällt er in die „Hoch-Risiko“-Kategorie. Instabile Patienten (auch jene mit Synkope oder Präkollaps) müssen sofort im Spital behandelt werden, betont Janata-Schwatczek. „Kreislaufstabilisierende Maßnahmen sollten erfolgen, bis der Notarzt eintrifft. In der Notaufnahme führen wir bei Patienten im Schock oder mit niedrigem Blutdruck sofort einen Herzultraschall durch.“ Finden sich dabei Zeichen einer Rechtsherzbelastung und ist der Patient zu instabil für die Durchführung eines Spiral-CT, werden sofort, auch ohne weitere Bildgebung, Reperfusionsmaßnahmen eingeleitet. Die meisten Patienten seien allerdings stabil oder könnten soweit stabilisiert werden, dass ein Spiral-CT zur endgültigen Diagnosesicherung durchgeführt werden kann.

Zu den Reperfusionsmaßnahmen zählt die medikamentöse Thrombolysetherapie. Kann diese aufgrund von Kontraindikationen wie einer rezenten Operation oder aktiven Blutung nicht erfolgen, wird der Patient operiert oder die Thromben mittels interventionellem Katheterverfahren verringert. „Zu den neuen Therapieformen zählt, dass das thrombotische Material mechanisch aus den Lungenarterien entfernt wird mittels Aspiration. Das kann auch mit einer Thrombolyse kombiniert werden und wird gerade bei Risikopatienten, die eine rasche Verbesserung des Kreislaufs benötigen, angewendet“, erklärt Brodmann. Bei instabilen Patienten, die keine Zeichen einer Rechtsherzbelastung aufweisen, müsse nach einer anderen Ursache gesucht werden wie etwa einer Aortendissektion oder einem Spannungspneumotho-
rax; bei diesen sei die Lyse „natürlich“ (Brodmann) kontraindiziert.

Beurteilung der Vortest-Wahrscheinlichkeit

Bei Patienten mit Verdacht auf Lungenembolie, die keine hämodynamische Instabilität aufweisen, wird zunächst die Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie im Vergleich zu möglichen anderen Ursachen beurteilt. Zu den eingesetzten Scores für die Beurteilung dieser so genannten Vortest-Wahrscheinlichkeit zählen der Wells-Score und der Geneva-Score. Janata-Schwatczek dazu: „Diese Scores fügen klinische Befunde und Risikofaktoren wie Herzfrequenz, Hypotension, Hämoptysen, Zeichen einer rezenten Beinvenenthrombose sowie frühere venöse Thromboembolien, Karzinom-Erkrankung, eine rezente Operation oder Immobilität zusammen“. Bei einer hohen Vortest-Wahrscheinlichkeit sollten die Betroffenen „direkt einer bildgebenden Diagnostik wie CT oder Szintigraphie zugeführt werden“, betont Janata-Schwatczek. Die Differentialdiagnosen der Pulmonalembolie hängen von der Symptomatik des Patienten ab. Allerdings rät Brodmann, zuerst eine Lungenembolie auszuschließen. „Natürlich kann ein banales Geschehen die Symptome verursachen. Doch in der Regel sollte man zuerst an die Lungenembolie denken und diese ausschließen.“ Das Ausschließen einer Lungenembolie ist umso wichtiger, da als Folge von COVID-19-Erkrankungen die Häufigkeit der Lungenembolie zunimmt. „Einerseits ist das durch die Liegedauer während einer COVID-19-Erkrankung bedingt, andererseits durch die vom Virus verursachte Endotheliitis und Gefäßschädigung“, sagt Brodmann.

Goldstandard der Diagnostik ist laut Brodmann das Spiral-CT. „Sobald der Verdacht auf eine Lungenembolie vorliegt, sollte das mittels Spiral-CT abgeklärt werden und der Patient baldigst in die nächste Notaufnahme geschickt werden.“ Bei hoher beziehungsweise mittlerer Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Lungenembolie sollte bereits während der Abklärung die Antikoagulation mittels niedermolekularem Heparin begonnen werden. „Die Bildgebung sollte allerdings so rasch wie möglich erfolgen, damit keine unnötige Gefährdung für den Patienten entsteht“, betont Janata-Schwatczek.

Bei einer niedrigen/mittleren Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Lungenembolie wird üblicher Weise vor dem Spiral-CT der D-Dimere-Wert bestimmt, um eine unnötige Strahlen belastung zu vermeiden. „Leider ist der D-Dimere-Wert sehr unspezifisch, denn die Gerinnung wird in verschiedenen Situationen aktiviert wie bei einer Entzündung, Karzinomen oder in der fortgeschrittenen Schwangerschaft“, sagt Janata-Schwatczek. Ist der D-Dimere-Wert allerdings bei Patienten mit niedriger oder mittlerer Wahrscheinlichkeit für eine Lungenembolie negativ, könne man mit großer Sicherheit eine Lungenembolie ausschließen. Liegt der D-Dimere oberhalb eines definierten Grenzwertes (eine altersabhängige Adjustierung ist möglich), sollte rasch ein Spiral-CT erfolgen und mit der Antikoagulation begonnen werden.

Primär: Heparintherapie

Laut Leitlinie erhalten Patienten mit „Intermediär-Hoch-Risiko-Lungenembolie“, die keine hämodynamische Beeinträchtigung aber eine hohe Rechtsherzbelastung aufweisen, primär Heparin. Bei hämodynamischer Verschlechterung oder fehlender klinischer Verbesserung unter Heparintherapie können auch Reperfusionsmaßnahmen durchgeführt werden. Alle anderen Patienten erhalten laut Brodmann eine Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin. In weiterer Folge können sie mit direkten oralen Antikoagulantien (DOAK) behandelt werden. „DOAKs haben sich bei stabilen Patienten als gleichwertig zu niedermolekularen
Heparinen beziehungsweise Vitamin K-abhängigen oralen Antikoagulantien erwiesen“, erklärt Janata-Schwatczek. Während bei Rivaroxaban und Apixaban sofort mit der oralen Therapie begonnen werden kann, muss bei Dabigatran und Edoxaban zuerst ein niedermolekulares Heparin über fünf Tage verabreicht werden.

Bei allen Patienten sollte die Antikoagulation über zumindest drei Monate erfolgen. „Bei Patienten mit höherem Rezidivrisiko sollte die Antikoagulation allerdings unbedingt länger erfolgen“, rät Janata-Schwatczek. Ein höheres Rezidivrisiko haben Patienten mit einem wiederholten thromboembolischen Ereignis; jene, die zum Zeitpunkt des Akutereignisses keinen vorübergehenden Risikofaktor wie eine Operation oder Ruhigstellung aufwiesen sowie Patienten mit Koagulopathien. „Patienten mit einer Krebserkrankung sollten bestenfalls solange eine Antikoagulation erhalten, bis sie als geheilt betrachtet werden, da eine Krebserkrankung der höchste Risikofaktor für ein Rezidiv ist“, fügt Janata-Schwatczek hinzu. Auch bei Krebspatienten (außer bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren) ist nun eine Therapie mit DOAKs möglich. Janata-Schwatczek rät dazu, das individuelle Rezidiv- und das Blutungsrisiko in regelmäßigen Abständen zu evaluieren und die Therapie entsprechend anzupassen. „Generell ist das Rezidivrisiko in den ersten Monaten nach einem Akutereignis am höchsten“, so die Expertin abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.6.2022