Interview Martin Clodi: Tagung der ÖDG – „Immer mehr Looper“

25.11.2022 | Medizin

Immer mehr Patienten mit Typ 1-­Diabetes sind „Looper“, eine per Smartphone gesteuerte Insulinpumpe. Das berichtet Kongresspräsident Univ. Prof. Martin Clodi anlässlich der Jahrestagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft im November in Salzburg im Gespräch mit Martin Schiller.

Die Jahrestagung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft stand unter dem Motto ‚Glukosetoxizität‘. Wie ist es dazu gekommen? Viele Daten zeigen, dass bereits bei Prädiabetes ein hohes kardiovaskuläres Risiko besteht. Der Zusammenhang ergibt sich daraus, dass die Glukose per se in höherer Konzentration toxisch ist. Es war deshalb wichtig, die Veranstaltung unter dieses Motto zu stellen, damit die Substanz selbst wieder mehr in den Mittelpunkt rückt. Es soll gezeigt werden, dass der richtige HbA1c­Wert und eine ausreichende Zeit im Zielbereich – die sogenannte Time in Range – einen enormen Stellenwert haben müssen.

Welche Neuigkeiten zu Medikamenten gibt es? Es gibt sehr gute Studiendaten zu SGLT2­Hemmern und GLP1­Rezeptor­Agonisten. SGLT2­Hemmer haben sowohl kardiale als auch renale Wirkmechanismen. So konnte in Studien eine Reduktion der Hospitalisierung um 30 Prozent und eine signifikante Reduktion der Mortalität erzielt werden. Außerdem wurde eine Progressionsverzögerung der Niereninsuffizienz gezeigt. Nephrologen sprechen diesbezüglich sogar von Landmark­Trials. Überzeugend sind auch die Daten zu GLP1­Analoga. Der duale GIP/GLP­1­Rezeptor­Agonist Tirzepatid führte zu einer 30­prozentigen Gewichtsreduktion und einer zwei­ bis dreiprozentigen Senkung des HbA1c.

Wie ist der aktuelle Kenntnisstand zu SGLT-2-Hemmern und Herzinsuffizienz? Die ursprünglich für die Blutzuckersenkung entwickelten Medikamente wirken auch sehr gut bei gleichzeitig vorliegender Herzinsuffizienz. Es wird oft gesagt, sie würden auch bei Nichtvorliegen eines Diabetes mellitus sehr gut kardioprotektiv wirken. Dabei ist aber Folgendes zu beachten: Wir haben mittlerweile sehr viele Studiendaten, die zeigen, dass die beobachteten Herzinsuffizienz­Populationen zu rund 40 Prozent prädiabetisch sind, also die erwähnten kardiovaskulären Risiken aufweisen. Man kann also nicht schlussfolgern, die Wirkung bestünde auch dann, wenn kein Diabetes mellitus vorliegt, sondern hier war einfach der Cut­off des Diabetes falsch gewählt.

Was gibt es Neues bei Diabetes-Technologien? Immer mehr Patienten mit Typ 1­Diabetes sind ‚Looper‘. Bei diesen Closed­loop­Systemen wird zwischen einen Glukosesensor und die Insulinpumpe noch ein Smartphone geschaltet. Der Sensor misst, das Smartphone ‚denkt‘ und gibt die Informationen an die Pumpe weiter. Die Entscheidung bezüglich der Insulinmenge oder zum Insulin­Stopp erfolgt also automatisiert. Mit CAM­APS steht für Android­Systeme auch bereits eine App für solche Closed­loop­Systeme zur Verfügung. Mittlerweile tragen von den Patienten mit Typ1­Diabetes 70 bis 90 Prozent der Jugendlichen und auch schon 30 bis 40 Prozent der Erwachsenen eine Insulinpumpe. Wie viele davon die App nutzen, wissen wir zwar nicht, aber es ist jedenfalls wichtig, sich mit diesen Systemen auseinanderzusetzen. Und die Entwicklung schreitet schnell voran: Die Glukose­Messsensoren werden kleiner, immer schneller und benötigen keine Kalibration mehr. Speziell für Menschen mit Typ 1­Diabetes ergeben sich aus dieser rasanten Entwicklung große Vorteile.

Nach wie vor ein Thema ist das diabetische Fußsyndrom. Wie ist diesbezüglich die Situation? Wir haben in Österreich ein Problem. Laut OSZE ist die Versorgung in Bezug auf diese Krankheit nicht so gut, wie sie sein sollte. Die Behandlung ist sehr zeitaufwendig und auch therapeutisch schwierig, weil angiologische und neuropathische Interventionen benötigt werden und zugleich eine umfangreiche Wundbehandlung notwendig ist. Die ärztliche Verantwortung ist also umfangreich. Österreich muss auf diesem Gebiet besser werden und wir müssen uns auch insgesamt mehr damit auseinandersetzen.

Noch eine abschließende Frage: Wie ist der aktuelle Wissensstand hinsichtlich COVID-19 und Diabetes? Menschen mit Diabetes mellitus bekommen nicht häufiger COVID­19 als Personen ohne Diabetes. Die anfängliche Befürchtung, dass es hier zu einer gehäuften Zahl von Fällen kommt, hat sich also glücklicherweise nicht bewahrheitet. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass der Verlauf tendentiell schwerer ist. Das liegt an der Grunderkrankung. Diabetes ist einfach keine harmlose Krankheit.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2022