Interview Jürgen Falkensammer: „Brauchen engagierten Partner“

11.10.2022 | Medizin

Grundlagenforschung und klinische Anwender zusammenzubringen ist das Ziel der diesjährigen Dreiländertagung Gefäßchirurgie Ende Oktober in Wien. Kongresspräsident Priv. Doz. Jürgen Falkensammer erläutert im Gespräch mit Julia Fleiß, warum der Gefäßchirurg den Allgemeinmediziner als engagierten Partner benötigt. 

DasTagungsmottolautet „From Bench to Bed – Translationale Gefäßmedizin“. Was ist darunter zu verstehen? Oft ist unklar, wie neue Entwicklungen in der medizinischen Forschung zu den Patienten gebracht werden können. Umgekehrt kommt es vor, dass wir Lösungen für Patienten finden und uns fragen, wie wir das in Zusammenarbeit mit der Grundlagenforschung umsetzen können. Ziel bei der Programmerstellung war es, Grundlagenforschung und klinische Anwender zusammenzubringen, um den aktuellen Forschungsstand zu verschiedenen Themen direkt diskutieren zu können. In fast allen wissenschaftlichen Sitzungen findet sich das Leitmotiv ‚Translation‘ wieder: sowohl bei den genetischen Grundlagen für das abdominelle Aortenaneurysma als auch beim präoperativen Patientenmanagement und bis hin zur Entwicklung von neuen Gefäßprothesen.

Welche aktuellen Forschungsergebnisse werden in der Gefäßmedizin bereits umgesetzt? Neuigkeiten gibt es auf ganz verschiedenen Ebenen, beginnend bei der Behandlung von klassischen Risikofaktoren der Arteriosklerose: Hier gibt es verbesserte Möglichkeiten zur Einstellung einer arteriellen Hypertonie und neue Medikamente für Diabetes mellitus sowie Hypercholesterinämie. Im Bereich der Blutverdünnung hat sich in den letzten Jahren viel getan wie bei der Plättchenhemmung und auch bei der Antikoagulation. Darüber hinaus gibt es neue Gefäßprothesen, die es ermöglichen, dass auch ältere, multimorbide Personen minimal invasiv behandelt werden können.

Und zwar wie genau? Die neuen Endoprothesen erlauben das auch bei Aortenerkrankungen bei älteren Menschen, die noch vor zehn Jahren als inoperabel gegolten haben. Diese komplexen Eingriffe sind heutzutage weniger invasiv, dennoch müssen die betroffenen Patienten gut vorbereitet werden. Die verschiedenen Voruntersuchungen organisiert meist der Allgemeinmediziner. Der Operateur braucht im Allgemeinmediziner einen engagierten Partner, der den Patienten durch diese Vorbereitungsphase führt. Außerdem dürfen bei der oft vorhandenen Polypharmazie von älteren Menschen bei der Abklärung von Wechselwirkungen keine Fehler passieren. Der Allgemeinmediziner hat den Vorteil, dass er auch das soziale Umfeld seines Patienten gut kennt. Der Input vom Hausarzt ist essentiell, wenn es darum geht, welche präoperative Abklärung ambulant möglich ist und welche Medikamente notwendig sind und natürlich auch, welche elektiven Eingriffe individuell wirklich sinnvoll sind.

Was muss man bei der Betreuung postoperativ beachten? Die Atherosklerose ist eine chronische Erkrankung, die sich in unterschiedlichen Organsystemen manifestiert. Mit der Operation wird nur eine Gefäßverengung an einer bestimmten Stelle wie beispielsweise der Leistenschlagader beseitigt. Der Rest des Gefäßsystems ist weiterhin betroffen. Das erfordert eine lebenslange engmaschige Betreuung unter Behandlung der zugrundeliegenden Risikofaktoren. Bei neuen Claudicatio-Beschwerden sollte der behandelnde Hausarzt daran denken, dass die Krankheit möglicherweise fortgeschritten ist und dass er den Patienten wieder an den Spezialisten überweist.

Mittlerweile kommen individuell angefertigte Gefäßprothesen zum Einsatz. Das gilt für endovaskuläre Aortenprothesen für die Behandlung von Aortenaneurysmen. Wenn aufgrund einer besonderen Anatomie die Prothese aus dem Regal nicht passt, kann basierend auf einer Computertomographie eine individuelle Prothese hergestellt werden. Im Referenzzentrum für Gefäßmedizin der Barmherzigen Brüder Linz werden für fünf bis zehn Prozent der Patienten mit einem Aortenaneurysma individuelle Endoprothesen angefertigt. Dabei wird eine 3D-Rekonstruktion am Computer erstellt, die auch biologische Faktoren wie die Steifigkeit der Aortenwand oder Verkalkungen berücksichtigt. So entsteht ein individueller Prothesenplan. Das Interessante ist: Die Prothese selbst wird von Hand genäht. Noch kommt die Prothese nicht fix und fertig aus dem 3D-Drucker, aber es wird intensiv daran geforscht.

Welche weiteren Entwicklungen sind zu erwarten – Stichwort Augmented und Virtual Reality? Augmented Reality findet bei gefäßchirurgischen Eingriffen noch keine Anwendung im Operationssaal, aber im Teaching-Bereich. Mit Hilfe von Virtual Reality, also mit 3D-Brillen, werden bereits chirurgische Eingriffe simuliert. Das Problem dabei ist die Haptik: Es geht beim Operieren ja nicht nur um das, was man sieht, sondern auch um das, was man mit den Händen fühlt und tut. Das ist im Augenblick noch schwer rein virtuell nachzustellen.

Was ist von der Roboter-assistierten Aortenchirurgie zu halten? Der springende Punkt ist immer: Was ist der Vorteil für den Patienten? Hat der Patient einen Vorteil? Auch wenn gefäßchirurgische Eingriffe tendentiell weniger invasiv werden, hat sich der minimalinvasive Zugang für die Aortenchirurgie noch nicht durchgesetzt. Die Roboter-assistierte Chirurgie beginnt mit der Frage: Ist ein laparoskopischer Eingriff technisch möglich? Nur dann kann man mit dem Roboter operieren. Zwar gibt es Kollegen, die gelegentlich eine Aorta laparoskopisch operieren, aber eine breite Anwendung hat die Methode bisher nicht gefunden.

 


Details zum Kongress

10. Dreiländertagung 2022 der Österreichischen, Deutschen und Schweizerischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie
Tagungsmotto „From Bench to Bed – Translationale Gefäßmedizin“
19.–22. Oktober 2022
Wien-Hofburg Kongresszentrum
www.dreilaendertagung2022.at


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2022