Interview Herbert Tilg – Gastroenterologie Rückblick und Ausschau

10.11.2022 | Medizin

Die Tatsache, dass es eine „höchst wirksame“ Behandlung für Hepatitis C gibt, zählt zu den größten Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre in der Gastroenterologie, sagt Univ. Prof.Herbert Tilg anlässlich des Kongresses „20 Jahre Update Gastroenterologie-Stoffwechsel“. Im Gespräch mit Julia Fleiß informiert der Kongresspräsident über aktuelle Entwicklungen.

Welche Errungenschaften in der Gastroenterologie in den vergangenen 20 Jahren waren denn besonders wichtig? Dazu zählt ganz klar die Bekämpfung der Hepatitis C, die unbehandelt in 80 bis 90 Prozent der Fälle chronisch verläuft. Vor 20 Jahren war diese Erkrankung schwer therapierbar und führte zur Leberzirrhose oder einem Leberkarzinom und letztlich zum einzigen Ausweg Lebertransplantation. Man versuchte die Behandlung mit Interferonen, später eine langwierige antivirale Therapie, die nur bei zehn bis 20 Prozent der Betroffenen erfolgreich war. Die heutige Standardtherapie basiert auf der Medizin-Nobelpreis-gekrönten Entdeckung des Hepatitis C-Virus. Man hat Medikamente entwickelt, die über mehrere Wochen verabreicht in kurzer Zeit zu einer Remission führen und das Virus eliminieren. Dabei werden antivirale Therapeutika wie Sofosbuvir und Daclatasvir eingesetzt. Sie hemmen die Replikation des Hepatitis C-Virus. Das ist ein Quantensprung in der Medizin. Darüber hinaus kann man heute den Leidensweg von Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung verkürzen und diese Erkrankungen viel besser therapieren. Das Spektrum an Therapiemöglichkeiten ist in den letzten 20 Jahren regelrecht explodiert.

Welche Behandlung setzt man heute ein? Eine Colitis ulcerosa kann man in 50 Prozent mit Aminosalizylaten erfolgreich behandeln, die bei Morbus Crohn kaum wirken. Viele Patienten benötigen intensivere Therapien wie Biologika. Man entscheidet aufgrund verschiedener Faktoren, welche die beste Therapieoption für den individuellen Patienten ist: Da spielen Grunderkrankungen, weitere Autoimmunerkrankungen, das Alter, eventuelle Krebsdiagnosen und viele andere klinische Situationen in die Therapieentscheidung hinein. Für Colitis ulcerosa und Morbus Crohn hatten wir vor 20 Jahren kaum Therapeutika. Mit den heute verfügbaren anti-TNF-Therapien wie Infliximab und Adalimumab wird die Ausschüttung der Zytokine geblockt und der Entzündung entgegengewirkt. Alternativ kann man mit Integrin-Antikörpern behandeln. Jak-Inhibitoren – sogenannte small molecules sind Vertreter einer ganz neuen Substanzklasse. Ihr großer Vorteil liegt darin, dass sie oral verabreicht werden können. Durch die Wahlmöglichkeit bei den Therapien hat sich die Lebensqualität der Patienten enorm verbessert: Operative Eingriffe sind seltener notwendig und die entzündlichen Schübe können besser kontrolliert werden.

Welche Verlaufskontrollen sind für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen essentiell? Im besten Fall wird der Patient gemeinsam vom Facharzt und Hausarzt betreut. Zweimal im Jahr sollten Patienten, die Immunsuppressiva oder Biologika einnehmen, zur Verlaufskontrolle den Spezialisten aufsuchen. Der Allgemeinmediziner sieht den Patienten öfter und kann dazwischen klinische Kontrollen durchführen, die klinische Einschätzung sowie Laborwerte bestimmen, wobei je nach Therapie unterschiedliche Parameter von Interesse sind.

Welche Rolle spielt Helicobacter pylori? Die Infektion mit Helicobacter pylori ist immer noch eine der häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten, auch wenn sie innerhalb der letzten 20 Jahre rückläufig ist. Die Behandlung ist aufgrund der Antibiotika-Resistenzen etwas schwieriger geworden. Derzeit wird laut den Maastricht Florenz-Kriterien eine Behandlungsdauer von mindestens zehn, eher 14 Tagen empfohlen. Wir setzen eine Quadrupeltherapie ein: Sie besteht aus drei verschiedenen Antibiotika und zwar Amoxicillin, Metronidazol und Clarithromycin sowie einem Protonenpumpenhemmer. Alternativ verwenden wir Bismut-Quadrupeltherapie.

Ist das die aktuell beste Therapie? Derzeit ja. Wir können nur mit der Quadrupeltherapie die zum Ziel gesetzte Eradikationsrate von 85 bis 90 Prozent erreichen. Erst wenn das Bakterium sich damit nicht bekämpfen lässt, wird eine Resistenzbestimmung durchgeführt, um gezielter darauf eingehen zu können. Helicobacter pylori ist jedoch nach wie vor eine wichtige Ursache für Gastritis, Ulkusbildung und Tumorgeschehen. Die WHO hat Helicobacter pylori schon früh als Karzinogen bei der Entstehung von Magenkrebs identifiziert.

Welchen Stellenwert hat die Immuntherapie in der Onkologie? Die Immuntherapie spielt bei bestimmten Tumoren wie bei seltenen Unterformen des kolorektalen Karzinoms eine entscheidende Rolle. Das sind Tumore mit Mikrosatelliteninstabilität, die nur fünf Prozent ausmachen, aber für diese Gruppe bietet die Immuntherapie Heilungschancen. Eine zentrale Rolle als Ersttherapie spielt die Immuntherapie beim hepatozellulären Karzinom. Dabei kombiniert man Immuntherapie häufig mit Antiangiogenese-Inhibitoren wie Bevacizumab. Das ist klinischer Standard seit etwa drei Jahren. Darüber hinaus gibt es neue Verfahren in der Metastasenchirurgie. Wenn ein Tumor beispielsweise in die Leber metastasiert, kann man auch in diesem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung chirurgisch sehr gut intervenieren: Man augmentiert das Lebervolumen, um den von Metastasen betroffenen Teil des Organs entfernen zu können. Das ist ein hochspezifischer Eingriff, der auf einer individuellen Fallentscheidung beruht.

Warum befasst sich eine eigene Session mit der eosinophilen Ösophagitis? Die diesjährige State of the Art-Vorlesung beschäftigt sich mit der eosinophilen Ösophagitis, einer Erkrankung, die massiv unterdiagnostiziert und auch noch weitestgehend unbekannt ist. Die Betroffene haben oft einen langen Leidensweg, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Bei dieser Erkrankung etabliert sich eine Allergie am Ösophagus mit einer chronischen Entzündung, die sich im Extremfall mit Engstellen und schweren Schluckstörungen präsentiert. Die Diagnose erfolgt endoskopisch vor allem über eine Biopsie aus der Speiseröhre. Ist die Diagnose gestellt, erfolgt die Behandlung jeweils nach der Allergie, die die Krankheit ausgelöst hat. Das heißt, man inszeniert entsprechende Elementardiäten. Auch die lokale Kortisontherapie spielt eine wichtige Rolle. Auch der Einsatz von speziellen Medikamenten, den Biologika, befindet sich gerade intensiv in Entwicklung.

Welche Entwicklung zeichnet sich derzeit ganz generell in der Gastroenterologie ab? Wir sehen in der Gastroenterologie eine Entwicklung, dass es immer mehr Krankheitsbilder gibt und auch Stoffwechselerkrankungen, die übergreifend sind. Hier nimmt der Diabetespatient eine Schlüsselrolle ein. So hat die Europäische Arzneimittel-Agentur erst kürzlich die Therapie mit Tirzepatid, ein glukoseabhängiges insulinotropes Peptid und ein GLP 1-Rezeptor Agonist, für die Behandlung von Typ 2-Diabetes zugelassen. Dieses Medikament wird einmal wöchentlich subkutan verabreicht und ist eines der potentesten Antidiabetika. Es senkt den HbA1c-Wert hoch effizient. Auch wenn es andere TopMedikamente zur Behandlung von Diabetes gibt wie zum Beispiel die seit einigen Jahren eingesetzten SGLT-2-Inhibitoren. Das Dilemma für den Großteil der Diabetes-Patienten bleibt jedoch die Lebensstilmodifikation. Die medikamentöse Therapie ist ein Teil, aber nicht alles.


Kongress-Tipp
20 Jahre Update
Gastroenterologie-Stoffwechsel
10. bis 12. November 2022,
Congress Innsbruck
www.updategastro-stoffwechsel.at


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2022