Her­pes zos­ter: Kom­pli­zier­ter Verlauf

26.09.2022 | Medizin

Höhe­res Lebens­al­ter und bestimmte Loka­li­sa­tio­nen einer Her­pes zos­ter-Infek­tion gel­ten als Risi­ko­fak­tor für die Ent­wick­lung einer Post zos­ter-Neur­al­gie. In den ers­ten drei Mona­ten nach der Dia­gnose Her­pes zos­ter steigt das Risiko für eine Zos­ter- spe­zi­fi­sche Kom­pli­ka­tion. Davon sind bis zu 30 Pro­zent betroffen.

Irene Mle­kusch

Die häu­figste Kom­pli­ka­tion bei Her­pes zos­ter stel­len anhal­tende neu­ro­pa­thi­sche Schmer­zen (Post-zos­ter-Neur­al­gie; post­her­pe­ti­sche Neur­al­gie) dar, die auch nach den initia­len Hautef­flo­res­zen­zen drei Monate oder län­ger bestehen blei­ben. Die Betrof­fe­nen beschrei­ben die Schmer­zen oft als uner­träg­lich; sie füh­ren mit­un­ter zu erheb­li­chen Ein­schrän­kun­gen im täg­li­chen Leben, zu Schlaf­stö­run­gen und psy­chi­schen Beein­träch­ti­gun­gen. Dabei kön­nen die Beschwer­den von Taub­heits­ge­fühl, Dys­äs­the­sien, Pru­ri­tus und dyna­misch tak­ti­ler Allo­dy­nie beglei­tet sein. Univ. Prof. Rai­ner Kunst­feld von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Der­ma­to­lo­gie an der Medi­zin­schen Uni­ver­si­tät Wien berich­tet in die­sem Zusam­men­hang von einem Pati­en­ten, für den das Tra­gen von Klei­dung noch Monate nach sei­ner Her­pes- zos­ter-Erkran­kung uner­träg­lich war: „Sol­che Pati­en­ten sit­zen mit nack­tem Ober­kör­per zuhause und ver­ein­sa­men.“ Zugleich mit der Post-zos­ter-Neur­al­gie – aber auch allein – kann ein Post-zos­ter-Pru­ri­tus auf­tre­ten, der mit­un­ter zu schwer­wie­gen­den Selbst­ver­let­zun­gen führt.

Höhe­res Lebens­al­ter gilt nach­weis­lich als Risi­ko­fak­tor für die Ent­wick­lung einer Post-zos­ter-Neur­al­gie. Außer­dem schei­nen die­je­ni­gen mit bestimm­ten Loka­li­sa­tio­nen wie kra­nial oder sakral oder bei Zos­ter oph­thal­mi­cus sowie jene mit sehr star­ken Schmer­zen in der Pro­dro­mal­phase und lang­wie­ri­gen Haut­ver­än­de­run­gen eher eine Post-zos­ter-Neur­al­gie zu ent­wi­ckeln. „Als Risi­ko­fak­to­ren für Kom­pli­ka­tio­nen wer­den Grund­er­kran­kun­gen und Immun­sup­pres­sion inklu­sive Tumore, Hämo­pa­thien, HIV-Infek­tion, Organ- und Stamm­zell­trans­plan­ta­tion sowie andere immun­sup­pres­sive medi­ka­men­töse The­ra­pien ange­se­hen“, erklärt Kunst­feld. Außer­dem könne es bei Immun­sup­p­ri­mier­ten auch öfter zu Extrem­fäl­len des Her­pes zos­ter mit sel­te­nen Kom­pli­ka­tio­nen wie Virä­mie, Pneu­mo­nie, Hepa­ti­tis und Enze­pha­li­tis kom­men. Univ. Prof. Andreas Schla­ger von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Anäs­the­sie und Inten­siv­me­di­zin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck weist dar­auf hin, dass das Risiko für Zos­ter-spe­zi­fi­sche Kom­pli­ka­tio­nen in den ers­ten drei Mona­ten nach der Dia­gnose steigt. Patho­phy­sio­lo­gisch geht man der­zeit von einer dau­er­haf­ten Schä­di­gung der betrof­fe­nen Neu­ro­nen, einer Gan­gli­o­ni­tis und einer Dege­ne­ra­tion der epi­der­ma­len Inner­va­tion aus. Peri­phere Mecha­nis­men wie Demye­li­ni­sie­rung, Axon­ver­lust und small-fiber-Dege­ne­ra­tion spie­len ebenso eine Rolle wie zen­trale Vor­gänge im Sinn einer Reor­ga­ni­sa­tion im Hin­ter­horn und neu­ro­plas­tisch zen­tra­len Veränderungen.

Oku­läre Manifestation

In bis zu 20 Pro­zent aller Fälle mani­fes­tiert sich Zos­ter oku­lär; dabei ist vor allem der ver­sor­gende Ast des N. tri­ge­mi­nus betrof­fen. „Etwa die Hälfte der Fälle mit Zos­ter oph­thal­mi­cus weist mehr als nur eine Haut­be­tei­li­gung auf. Am häu­figs­ten sind Kera­ti­tis, Kon­junk­ti­vi­tis und Uvei­tis“, fasst Kunst­feld zusam­men. Und wei­ter: „Die Augen­be­tei­li­gung bei Zos­ter oph­thal­mi­cus kann mit einer zeit­li­chen Ver­zö­ge­rung von mehr als vier Wochen auf­tre­ten und unbe­han­delt bis zur Erblin­dung füh­ren“. Vor allem der Befall der naso­ci­lia­ren Tei­lung der Ner­vus oph­thal­mi­cus ist mit einer hohen Kom­pli­ka­ti­ons­rate ver­bun­den. Dar­über hin­aus haben Pati­en­ten mit Zos­ter oph­thal­mi­cus ein bis zu vier­fach erhöh­tes Risiko für zere­bro­vas­ku­läre Ereig­nisse nach der Erkran­kung – unab­hän­gig vom Alter.

Sel­te­ner brei­tet sich die Infek­tion im Gebiet der Hirn­ner­ven VII und VIII aus, vor allem das Gan­glion geni­culi und der Ner­vus inter­me­dius sind bei Zos­ter oti­cus befal­len. „Kli­nisch cha­rak­te­ris­ti­sche Zei­chen für einen Zos­ter oti­cus sind Ohren­schmer­zen, Schwin­del, Hör­min­de­rung bis Hör­ver­lust, Gesichts­ner­ven­läh­mung und vesi­cu­läre Efflo­res­zen­zen auf der Ohr­mu­schel und im äuße­ren Gehör­gang“, so Kunst­feld. Weni­ger als ein Pro­zent aller Her­pes-zos­ter-Pati­en­ten ent­wi­ckelt ein Ramsay-Hunt-Syn­drom, das sich durch eine Kom­bi­na­tion von Zos­ter oti­cus und einer peri­phe­ren Fazia­li­s­pa­rese sowie eine mög­li­che Beein­träch­ti­gung ande­rer Hirn­ner­ven wie V, IX und X prä­sen­tiert. Es kön­nen Stö­run­gen im Bereich der Gesichts­mus­ku­la­tur, des Hörens und des Gleich­ge­wichts, Sen­si­bi­li­täts­aus­fälle und Stö­run­gen des Geschmacks sowie der Tränen‑, Nasen- und Spei­chel­se­kre­tion auf­tre­ten. „Ein Zos­ter oti­cus kann zu Hör­ver­lust und blei­ben­den Fazia­li­s­pa­re­sen auf der betrof­fe­nen Seite füh­ren“, erin­nert Kunst­feld. Ste­hen Schwin­del, Tin­ni­tus und Hör­ver­lust im Vor­der­grund, ist eher der Ner­vus ves­ti­bu­lo­co­ch­lea­ris betroffen.

Sel­ten lebensbedrohlich

Ein lebens­be­droh­li­cher Zos­ter gene­ra­li­sa­tus oder dis­se­mi­nier­ter kuta­ner und/​oder sys­te­mi­scher Zos­ter hin­ge­gen kom­men sehr sel­ten vor. Dabei kön­nen ein­zelne Organe betrof­fen sein wie zum Bei­spiel bei der aku­ten Pseu­doob­struk­tion des Kolons oder der Zos­ter-Pneu­mo­nie, wel­che mit einer Mor­ta­li­täts­rate von zehn bis 30 Pro­zent eine gefähr­li­che Kom­pli­ka­tion dar­stellt. Der vis­ze­rale Zos­ter äußert sich als Öso­pha­gi­tis, Myo­kar­di­tis oder Pan­krea­ti­tis und reicht bis zum ulti­or­gan­ver­sa­gen, das trotz anti­vi­ra­ler Sys­tem­the­ra­pie häu­fig fatal ver­läuft. Kunst­feld weist dar­auf hin, dass sich ein Befall des gesam­ten Ner­ven­sys­tems über­li­cher­weise nur bei star­ker pri­mä­rer Schwä­chung des Immun­sys­tems bei­spiels­weise bei AIDS oder Leuk­ämie fin­det. Ver­däch­tig für Enze­pha­li­tis und Menin­go­en­ze­pha­li­tis sind Bewusst­seinst­rü­bun­gen, Kopf­schmer­zen und Fie­ber vor allem bei Zos­ter-Pati­en­ten über 80 Jah­ren. Des Wei­te­ren kön­nen Zos­ter-asso­zi­iert eine Mye­li­tis, Zere­bel­li­tis, Radi­ku­li­tis, das Guil­lain-Barré-Syn­drom und Vas­kul­opa­thien der intra- und extra­kra­ni­ellen Arte­rien auf­tre­ten. Ebenso wur­den im Rah­men einer Erkran­kung auch eine Rie­sen­zell­arteri­tis, eine Leu­ko­zy­to­klas­ti­sche Vas­ku­li­tis, Arteri­tis tem­po­ra­lis und gra­nu­lo­ma­töse Aor­ti­tis und in sel­te­nen Fäl­len eine IgA-Vas­ku­li­tis mit gas­tro­in­testi­na­len Sym­pto­men beschrie­ben. Bei bis zu 60 Pro­zent der Betrof­fe­nen mit Zos­ter in der Kopf-Hals-Region gibt es asym­pto­ma­ti­sche Mani­fes­ta­tio­nen im zen­tra­len Ner­ven­sys­tem in Form von patho­lo­gi­schen Liquor­be­fun­den. Bak­te­ri­elle Super­in­fek­tio­nen der Haut bis hin zum Ery­si­pel fin­den sich vor allem bei Pati­en­ten unter Immun­sup­pres­sion. Häu­fige Erre­ger sind Sta­phy­lo­kok­ken und Strep­to­kok­ken. Puru­lente Ein­schmel­zun­gen, der Zos­ter gang­rä­no­sus, Ein­blu­tun­gen oder Zos­ter hämor­rha­gi­cus, Dis­se­mi­na­tion sowie die Ent­ste­hung von hyper- und hypo­pig­men­tier­ten Nar­ben im Bereich der betrof­fe­nen Haut­areale sind wei­tere Komplikationen.

Wei­ters haben Per­so­nen nach einer Her­pes-zos­ter-Epi­sode ein erhöh­tes Risiko für einen Myo­kard­in­farkt, Insult oder eine Vas­ku­li­tis. Ist der erste Tri­ge­mi­nus­ast befal­len, hat der Betrof­fene ein 4,5‑fach erhöh­tes Risiko für einen Schlag­an­fall. Ganz gene­rell steigt das Insult­ri­siko inner­halb eines Jah­res nach einem Her­pes zos­ter um 30 Prozent.

Die The­ra­pie der Post-zos­ter-Neur­al­gie sei „schwie­rig und kom­plex“ und für man­che Pati­en­ten nicht zufrie­den­stel­lend. „Eine früh­zei­tige Dia­gnose und vor allem eine rasche adäquate anti­vi­rale und sym­pto­ma­ti­sche The­ra­pie kön­nen das Auf­tre­ten von Kom­pli­ka­tio­nen ver­min­dern“, merkt Schla­ger an. Schmer­zen im Rah­men einer Her­pes-zos­ter-Infek­tion müss­ten umge­hend und fach­ge­recht behan­delt wer­den, da die Gefahr einer Chro­ni­fi­zie­rung sehr hoch sei. Bei der Behand­lung der Post-zos­ter-Neur­al­gie kom­men ähn­li­che Medi­ka­mente zum Ein­satz wie bei aku­ten Zos­ter-beding­ten Schmer­zen. „Da es sich um neu­ro­pa­thi­sche Schmer­zen han­delt, wer­den diese medi­ka­men­tös nach den Emp­feh­lun­gen für die Behand­lung von neu­ro­pa­thi­schen Schmer­zen nach Leit­li­nien der DGN von 2018 behan­delt“, erklärt Schla­ger. Er emp­fiehlt Anti­kon­vul­siva wie Gaba­pen­tin oder Pre­ga­ba­lin sowie Anti­de­pres­siva wie Amit­ri­pty­lin und – off label – auch Dulo­xe­tin. Bei star­ken Schmer­zen rät Schla­ger unter kon­trol­lier­ten Bedin­gun­gen kurz­fris­tig zu Opio­iden der WHO-Stufe II wie Tra­ma­dol oder auch der WHO-Stufe III wie Oxy­c­o­don oder Hydro­mor­phon. Sobald die Haut nach einer Her­pes-zos­ter-Infek­tion wie­der intakt ist, kön­nen auch topi­sche Ver­fah­ren zur Schmerz­lin­de­rung ein­ge­setzt wer­den. Schla­ger dazu: „5%-ige Lido­cain- Pflas­ter, 8%-Capsaicin-Pflaster oder auch lokale Injek­tio­nen mit Botu­li­num-Toxin-Typ A sind in Ver­wen­dung.“ Vor allem Pati­en­ten mit mecha­ni­scher Allo­dy­nie dürf­ten laut Schla­ger von intra- oder sub­ku­ta­nen Botu­li­num-Toxin-Injek­tio­nen pro­fi­tie­ren. Epi­du­rale und para­ver­te­brale Ner­ven­blo­cka­den mit Lokal­an­äs­the­tika oder Ste­ro­iden kön­nen allein oder in Kom­bi­na­tion mit einer sys­te­mi­schen Stan­dard­the­ra­pie eben­falls eine Schmerz­re­duk­tion oder voll­stän­dige Remis­sion bewir­ken. „Nicht-medi­ka­men­tös wer­den beglei­tend trans­ku­tane elek­tri­sche Sti­mu­la­tion und Aku­punk­tur emp­foh­len“, ergänzt Schla­ger. Für deren Wirk­sam­keit lägen jedoch keine aus­rei­chen­den Daten vor, schränkt er ein. Wei­ters kann als Ergän­zung auch eine kogni­tive The­ra­pie oder Ver­hal­tens­the­ra­pie emp­foh­len werden.

Imp­fung min­dert Risiko und Komplikationen

Die zuneh­mende Immu­no­se­nes­zenz kann vor allem bei älte­ren Men­schen zur Reak­ti­vie­rung der laten­ten Virus­in­fek­tion füh­ren. „Die Kom­pli­ka­tio­nen bei Her­pes zos­ter sind mit­un­ter mas­siv und ver­ur­sa­chen hohe Kos­ten des Gesund­heits­sys­tems“, warnt Kunst­feld. Und wei­ter: „Der Impf­stoff senkt das Her­pes-zos­ter-Risiko um über 90 Pro­zent in allen Alters­grup­pen über 50 Jahre.“ Schla­ger fügt hinzu, dass durch die Imp­fung auch das Auf­tre­ten der mög­li­chen Zos­ter-asso­zi­ier­ten Kom­pli­ka­tio­nen gemin­dert werde. Aber Per­so­nen, die bereits daran erkrankt sind, kön­nen unab­hän­gig von ihrem Immun­sta­tus geimpft wer­den. Kunst­feld dazu: „Der Impf­stoff gilt als reak­to­gen. Die Pati­en­ten soll­ten dar­auf vor­be­rei­tet wer­den, dass sie die Imp­fung in Form von loka­len oder sys­te­mi­schen Impf­re­ak­tio­nen spü­ren werden.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2022