Forschung aus Österreich: Präeklampsie – Mangelndes Ansprechen auf Aspirin

10.02.2022 | Medizin

Bei manchen Frauen, die an Präeklampsie leiden, liegt eine „Aspirin-low-responsiveness“ vor, konnte in einer Studie der Medizinischen Universität Graz nachgewiesen werden. Die Blutplättchen-Hemmung scheint dosisabhängig und individuell unterschiedlich zu sein und kann teilweise durch eine höhere Dosierung überwunden werden.

Christina Stern und Florian Prüller *

Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure ist derzeit weltweit als einzige effektive medikamentöse Präeklampsie-Prävention etabliert, da sie nachweislich das Auftreten in einer Vielzahl von Fällen verhindert, den Krankheitsverlauf abschwächt beziehungsweise in ein späteres Schwangerschaftsalter hinauszögern kann. Da dieser Effekt jedoch nur bei einem Beginn vor der 16. SSW beschrieben wurde, ist die Identifikation dieser Risikopatientinnen bereits im ersten Trimenon entscheidend.

Der etablierte Ersttrimester-Präeklampsie-Screening-Test (bestehend aus mütterlicher Anamnese, biophysikalischen Parametern (Blutdruck, und Doppler-Sonografie der Arteriae uterinae) sowie biochemischen Markern (pregnancy-associated plasma protein A/PAPP-A und placental growth factor/PlGf)) ist dabei der Risikostratifizierung aufgrund von Anamnesefaktoren allein überlegen und identifiziert insbesondere Frauen mit hohem Risiko für die frühe (< 34. SSW) Form, die oft mit Frühgeburtlichkeit und fetaler Wachstumsrestriktion einhergeht. Ist eine Frau als Risikopatientin identifiziert, ist entsprechend internationaler Leitlinien eine Prophylaxe mit low-dose-Aspirin zu empfehlen. Die Vorgaben hinsichtlich der Methode der Risikostratifikation (high/moderate risk factors) für den Beginn (zumindest vor der 16. SSW) beziehungsweise das Ende der Prophylaxe (zumindest bis zur 34. SSW) und zur Aspirin-Dosierung (75mg bis 150mg) sind uneinheitlich.

Aspirin mit seiner antiinflammatorischen und antikoagulatorischen Aktivität zeigt eine effektivere Wirkung bei der Prophylaxe der frühen Form, der eine Plazentadysfunktion zugrunde liegt, während die späte Form (> 34. SSW) eine primär normale Plazentaentwicklung aufweist und auf eine systemische Endothel-Inflammation auf dem Boden mütterlicher Erkrankungen wie hoher BMI und/oder hoher arterieller Blutdruck und/oder Insulinresistenz zurückzuführen ist („plazentare Erschöpfung“). Die Präeklampsie gilt aufgrund von gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismen (zum Beispiel systemische Endotheldysfunktion, Inflammation, oxidativer Stress u.a.) als Frühform der kardiovaskulären Erkrankungsformen. Das Auftreten von (atherothrombotischen) Komplikationen trotz Aspirin-Prophylaxe ist durch den jahrzehntelangen Einsatz in der Kardiologie ein bekanntes Phänomen. Diese „Aspirin-Resistenz“ oder „Aspirin low responsiveness“ kommt mit einer Prävalenz von bis zu 60 Prozent vor – je nach Dosis und Messsystem – und kann labordiagnostisch als insuffiziente Hemmung der Thrombozytenaggregation beziehungsweise Thrombozytenfunktion nachgewiesen werden.

Dieses Phänomen wurde auch in einzelnen kleinen Studien bei Schwangeren beobachtet und kann mitunter Ursache für die unvollständige prophylaktische Wirkung sein. Ziel der Studie an der Universitätsfrauenklinik und dem Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik der Medizinischen Universität Graz war, die bei einem Teil der Hochrisikoschwangeren vermutete klinische Aspirinresistenz mit der optischen Aggregometrie nachzumessen. Dabei handelt es sich um ein etabliertes Messsystem zur standardisierten Überprüfung der Blutplättchenfunktion, das von Gustav Born 1962 erstmals beschrieben wurde, um labordiagnostisch eine „Resistenz“ beziehungsweise „low-responsiveness“ nachzuweisen beziehungsweise durch Dosisanpassung zu überwinden.

Dabei wird aus mit Citrat-antikoaguliertem Vollblut durch langsame Zentrifugation plättchenreiches Plasma gewonnen. In einer Photometerküvette wird es unter Rühren, um die Scherkräfte in der Gefäßstrombahn zu simulieren, für etwa zehn Minuten auf Lichtdurchlässigkeit vermessen. Durch Zugabe von Thrombozyten-aktivierenden Substanzen wie beispielsweise ADP, Kollagen, Arachidonsäure u.a. werden funktionierende Thrombozyten zur Aggregation gebracht und die Lichtdurchlässigkeit nimmt zu. Bei durch Aspirin gut gehemmten Thrombozyten kommt es nicht zur Aggregation und somit nicht zur Änderung der Lichtdurchlässigkeit.

Die Studie im Detail

Für die Studie wurden innerhalb von drei Jahren 248 Patientinnen in einem Durchschnittsalter von 33(±5) Jahren ambulant behandelt und deren Aspirin-Wirkung retrospektiv ausgewertet. Die Indikation für die prophylaktische Aspirin-Gabe wurde entweder aufgrund eines positiven Präeklampsie-Screening-Tests im ersten Trimester (31 Prozent) oder aufgrund von Risikofaktoren gestellt und wegen der heterogenen Empfehlungen entweder mit 100mg oder 150mg stets vor der 16. SSW eingeleitet. Zeigte die Thrombozytenfunktionsbestimmung bei 100mg Aspirin eine ausreichende Hemmung, wurde die Dosis beibehalten; bei ineffizienter Hemmung wurde die Dosis auf 150mg erhöht und die Plättchenhemmung neuerlich überprüft. Eine Dosis von 150mg Aspirin wurde nicht weiter gesteigert. Während des gesamten Beobachtungszeitraums traten im Gesamtkollektiv keine negativen unerwünschten Nebenwirkungen wie etwa Blutungen auf.

Rund 60 Prozent der Patientinnen zeigten eine unzureichende Thromboyztenhemmung unter 100mg Aspirin täglich; in dieser Gruppe wurde die Aspirin-Dosis auf 150mg gesteigert. Trotz maximaler Dosis von 150mg Aspirin wiesen 35 Prozent der Behandelten weiterhin eine ungenügende Hemmung auf. Bei knapp 65 Prozent der untersuchten Probandinnen fand sich aber eine gute Aspirinwirkung – unabhängig von der Dosis. In der vorliegenden Studie konnte nachgewiesen werden, dass bei einigen Frauen eine „Aspirin-low-responsiveness“ vorliegt. Die Blutplättchen-Hemmung durch Aspirin scheint dosis-abhängig und individuell unterschiedlich zu sein, wobei eine gewisse „low-responsiveness“ durch höhere Dosierung überwunden werden kann. Aktuell liegen nur wenig Studien vor, die sich mit der Fragestellung der Aspirin-Prophylaxe in Risikoschwangerschaften befassen; auch sind sie kaum vergleichbar. 2017 konnte in einer großen prospektiven Placebo-kontrollierten Studie (ASPRE-trial) für das Auftreten der frühen Präeklampsie (< 34. SSW) im Risikokollektiv durch die Aspirin-Prophylaxe (150mg täglich) eine Risikoreduktion um rund 80 Prozent nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu liegt die Risikoreduktion bei der späten Präeklampsie (>34. SSW) nur bei circa 60 Prozent. In dieser Studie entwickelte rund ein Fünftel der Frauen trotz Prophylaxe eine Präeklampsie.

Weitere Aspekte, die in dieser Diskussion berücksichtigt werden müssen, umfassen physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft wie eine veränderte Hämodynamik, Pharmakokinetik und Pharmakodynamik beziehungsweise auch den Einfluss von etwaigen Erkrankungen der Mutter wie Adipositas, Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankungen u.a.

Die Frage nach dem effizientesten Vorgehen zur Präeklampsie- Prophylaxe ist nicht abschließend beantwortet. Jedoch könnte ein Lösungsansatz in der Optimierung des prophylaktischen Effekts die Testung der Plättchen-Hemmung durch Aspirin und die individuell angepasste Dosierung sein.

*) Dr. Christina Stern, Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Universität Graz,
Priv.-Doz. Dr. Florian Prüller, Institut für Medizinische und Chemische Labor-diagnostik, Medizinische Universität Graz

ORIGINALARBEIT:
Low Dose Aspirin in high-risk pregnancies: The volatile effect of acetylsalicylic acid on the inhibition of platelets uncovered by G. Born’s light transmission aggregometry; Stern C., Mayer-Pickel K., Weiss EC; Kutllovci-Hasani K., Nanda M., Eberhard K., Cervar-Zivkovic M., Prüller F.: Journal of Reproductive Immunology, Volume 145, June 2021

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 03 / 10.02.2022