Pädiatrie – Fieber ist nicht gleich Fieber

25.05.2022 | Medizin

Auch wenn Kinder mit dem regelmäßigen Besuch einer Betreuungseinrichtung häufiger fieberhafte Infekte haben, sollte dennoch ein Fokus gefunden oder ausgeschlossen werden. Vor allem sollten bakterielle Infektionen wie Angina, Pneumonie, Harnwegsinfekt oder Sepsis nicht übersehen werden. Nach engem Kontakt mit COVID-19-Erkrankten ist bei Fieber auch an PIMS/MIS-C zu denken.

Sophie Fessl

Je kleiner das Kind und desto höher das Fieber ist, umso gefährlicher ist die Situation“, erklärt Univ. Prof. Wolfgang Emminger von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien. Besonders Neugeborene und Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr sollten bei Fieber unbedingt evaluiert werden, ergänzt Assoz. Prof. Priv. Doz. Volker Strenger von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Graz. „Fiebernde Neugeborene und Säuglinge sollten an einer Kinderabteilung vorgestellt werden, um die Ursache abzuklären“, so Strenger.

Wird kein Fokus gefunden, sollten laut Strenger fiebernde Säuglinge stationär aufgenommen werden. Es müsse an eine Meningitis oder eine Sepsis gedacht werden, die eine entsprechende stationäre Diagnostik und Behandlung benötigen. Die Symptome einer Meningitis sind besonders bei Neugeborenen und Säuglingen nicht klassisch. Zusätzlich zum Fieber sind eher unspezifische Symptome wie Trinkunlust, Trinkverweigerung, Schläfrigkeit, schrilles Schreien sowie Berührungsempfindlichkeit als Warnsignale zu sehen. Ist die Fontanelle noch offen, kann eine vorgewölbte Fontanelle ebenfalls ein Hinweis auf eine Meningitis sein, diese muss aber anfangs nicht unbedingt vorliegen. „Das Fieber muss nicht zwingend hoch sein. Auch Kinder mit 38,5 oder 39 Grad Fieber können diese schwere Problematik zeigen“, erklärt Emminger.

Bei Säuglingen und Kleinkindern, die Windel tragen, sollte bei Fieber auch an das Vorliegen einer Harnwegsinfektion gedacht werden, die durch aufsteigende Stuhlkeime verursacht wird. „Gerade bei Kindern mit einem vesikoureteralen Reflux kann die Infektion rasch aszendieren und zu einer Nierenbeckeneiterung führen“, sagt Emminger. Er rät dazu, eine Miktionszystourethrographie durchzuführen, um einen möglichen Reflux zu diagnostizieren, da betroffene Kinder mit einer niedrigdosierten Antibiotikatherapie vor weiteren Erkrankungen geschützt werden können. Bei nicht wegdrückbaren Petechien bei hohem Fieber sollte an eine Sepsis gedacht werden, warnt Emminger. Strenger ergänzt: „Bei Säuglingen und Kleinkindern kann sich auch eine Urosepsis aufgrund eines Harnwegsinfekts entwickeln. Das sollte stets mitbedacht werden“, rät Strenger.

Gefahr durch Pertussis und Pneumokokken

Säuglinge sind zusätzlich bedroht durch Pertussis – vor allem durch eine Ansteckung bei engen Kontaktpersonen. Atemstillstände, Bradykardie und Asystolie können speziell bei Säuglingen noch vor dem typischen Husten auftreten. Auch Pneumokokken-Infektionen bei Säuglingen und Kleinkindern könnten dramatisch ausgehen, warnt Emminger. „Daher sollte ab der Geburt der adäquate Impfplan eingehalten werden und auch Säuglinge gegen Pneumokokken geimpft werden.“ Fieber könne bei Säuglingen auch das einzige Symptom von COVID-19 sein, erklärt Strenger. Und weiter: „Bei Kindern verläuft die Erkrankung meist nicht schwer. Allerdings werden erkrankte Säuglinge wie bei anderen Atemwegsinfektionen aufgenommen, wenn sie nicht ausreichend trinken.“

Sobald Kleinkinder regelmäßig in einer Betreuungseinrichtung untergebracht sind, erkranken sie häufig an fieberhaften Infekten. Zu den häufigen – harmlosen – Infektionen zählt etwa das Drei-Tage-Fieber, an dem fast alle Kleinkinder bis zum zweiten Geburtstag erkranken. „Natürlich haben auch Kleinkinder oft fieberhafte Infektionen, die nicht jedes Mal ein Warnsignal für etwas Schwerwiegendes sind“, ergänzt Strenger. „Trotzdem sollte ein Fokus gefunden oder ausgeschlossen werden, um bakterielle Infektionen wie Angina, Lungenentzündung, Harnwegsinfekt oder Sepsis nicht zu übersehen.“ Dabei empfiehlt Strenger, eingehend auf einen allfälligen Ausschlag oder Petechien zu untersuchen. Hinweise auf eine Meningitis oder Enzephalitis sind in diesem Alter Nackensteifigkeit, Lichtscheue, Irritabilität, Erbrechen ohne Durchfall, Kopfschmerzen und Lethargie. „Insgesamt sind die Problemkeime in diesem Alter besonders gefährlich, da der Kontakt in Kindergruppen besonders eng ist“, berichtet Emminger. „Es gibt Kinder, die im ersten Kindergartenjahr sechs bis acht Mal hoch fiebern –und trotzdem immunologisch gesund sind.“

Ob eine banale oder eine schwerwiegende Infektion vorliegt, ist bei Kleinkindern und Säuglingen nicht einfach vom CRP-Wert abzuleiten, da diese das CRP langsamer bilden. „Trotz Vorliegen einer schweren Infektion kann es ein bis drei Tage dauern, bevor der CRP-Wert steigt. Daher werden an entsprechenden Stationen IL-6 und IL-8 als Parameter gewählt, die bei eitrigen Entzündungen früh steigen“, berichtet Emminger.

Bei Fieber solle auch bei kleinen Kindern nicht ohne eingehende Untersuchung ein Antibiotikum verschrieben werden, warnt Strenger. „Wenn ein Kind fiebert, sollte es nicht reflexartig ein Antibiotikum erhalten, da die Infektion oft viral bedingt ist.“ Die Fieberhöhe an sich sei kein verlässlicher Hinweis darauf, ob eine bakterielle oder virale Infektion vorliegt. „Anfangs hilft vor allem das Differentialblutbild mit Leukozyten und natürlich das Krankheitsbild, etwa wenn eine exanthematöse Erkrankung vorliegt“, ergänzt Strenger. Bei Reiserückkehrern mit Fieber sollte auch bei Kindern an Malaria gedacht werden. „Kinder, die Verwandte in Malaria-Gebieten besuchen, erhalten oft keine Prophylaxe. Malaria ist aber auch bei ihnen ein mögliches Reisemitbringsel.

Im Schulalter erkranken Kinder wieder seltener an fieberhaften
Infektionskrankheiten. „Wenn ein Kind einmal an einer Meningitis, einer Sepsis oder einer Pneumonie erkrankt, so ist es noch nicht ungewöhnlich“, berichtet Emminger. „Erkrankt das Kind allerdings öfter an einer dieser Infektionen, gehört das Kind einem Zentrum zugewiesen, das Expertise im Bereich immunologischer Defekte hat.“ Hier sollte eine Grunduntersuchung sowie weiterführende immunologische Untersuchungen durchge-führt werden, um mögliche Immundefekte zu diagnostizieren.

Auch an PIMS denken

Aktuell ist es wichtig, bei fiebernden Kindern auch an das Pediatric Inflammatory Multisystem-Syndrome (PIMS) in Folge einer SARS-CoV-2-Infektion zu denken. „Wenn ein Kind hoch fiebert, hohe Entzündungszeichen im Blut zeigt, aber kein Fokus gefunden wird beziehungsweise das Kind auf Antibiotika nicht anspricht, sollte man an PIMS/MIS-C denken“, macht Strenger aufmerksam. Anders als bei einer aktiven COVID-19-Erkrankung steht nicht das respiratorische Geschehen im Fokus, sondern häufig Bauchschmerzen, Gerinnungsaktivierung, erhöhtes D-Dimer sowie erhöhte CRP-, Procalcitonin- und Ferritin-Werte. „Bei Verdacht auf PIMS sollte das Kind an einer Kinderabteilung abgeklärt werden, da auch die Behandlung mit Immunglobulinen stationär erfolgt.“

PIMS tritt meist drei bis sechs Wochen nach einer COVID-19- Erkrankung auf, wobei die Infektion auch unerkannt verlaufen sein kann. „Auch wenn die Familie drei bis sechs Wochen zuvor erkrankt war, das Kind aber negativ getestet war, sollte an PIMS gedacht werden“, berichtet Strenger aus der Praxis. Möglicherweise ist die Erkrankung unerkannt geblieben. Aufschluss über eine durchgemachte Erkrankung kann der Nachweis von SARS-CoV-2-Antikörpern (bei Geimpften von Nukleocapsid-Antikörpern) geben. Neben der Infusion mit Immunglobulinen wird ein Herzultraschall durchgeführt, da bei einem Drittel der PIMS-Fälle auch eine Koronarerweiterung auftritt.

Auch periodische Fiebersyndrome sollten bei Kindern, die häufig fiebern, im Blick behalten werden. Das periodische Fieber mit aphthöser Stomatitis, Pharyngitis und Adenitis (PFAPA) tritt relativ genau alle vier bis sechs Wochen auf. „Gerade bei Kindern, die oft Antibiotika erhalten, da eine Angina diagnostiziert wurde, sollte an PFAPA gedacht werden. Die Erkrankung sieht aus wie eine eitrige Angina, aber die Kinder sprechen nicht auf das Antibiotikum an und fiebern hoch“, berichtet Strenger. „Sie fiebern dann ab, aber nicht weil das Antibiotikum umgestellt wird, sondern weil sie bei diesem Syndrom sowieso abfiebern.“ Charakteristisch sind hohe Entzündungszeichen und ein fehlender Streptokokkennachweis. Bei genauer Anamnese fällt die Periodizität von etwa vier Wochen auf.

Zur Behandlung wird ein Steroid im Schub gegeben, dadurch kann das Intervall zwischen den Fieberepisoden auf zwei bis drei Wochen verkürzt werden. „Allerdings sollten die Kinder an eine entsprechende Abteilung zur Abklärung überwiesen werden“, rät Strenger. Meist klingt die Erkrankung im Schulalter ab; in manchen Fällen wird in der Folge tonsillektomiert.

Allgemeinzustand bestimmt Fiebersenkung

Zur Fiebersenkung empfehlen die Experten Ibuprofen und Paracetamol. Beide betonen aber, dass bei einem Kind mit gutem Allgemeinzustand eine Fiebersenkung nicht notwendig sei. „Es sollte bei der Fiebersenkung nicht nach einem Schwellenwert entschieden werden, sondern danach, wie der Allgemeinzustand des Kindes ist“, erklärt Strenger. Und weiter: „Ist der Allgemeinzustand schlecht und das Fieber beeinträchtigt das Kind, sollte das Fieber gesenkt werden.“ Da das Ansteigen des Fiebers am belastendsten ist, sollte ein zu starkes Senken gefolgt von einem Wiederanstieg der Temperatur vermieden werden, betont Strenger. Er empfiehlt bei hohem Fieber die Temperatur mit zurückhaltender Dosierung nur auf subfebril abzusenken und nicht auf ganz fieberfrei. „Ein Kind, das sich kränklich fühlt, schont sich eher und wird schneller gesund als ein Kind, dessen Fieber gesenkt wird und nicht merkt, dass es Ruhe benötigt, um sich dann im Fieberanstieg wieder umso schlechter zu fühlen.“

Die fiebersenkende Wirkung setzt meist bereits nach einer halben Stunde ein. „Wenn trotz relevanter Maßnahmen das Fieber nicht rasch sinkt, gehört das Kind angesehen“, warnt Emminger. Gleichzeitig sollte bei der Anamnese die Einnahme von fiebersenkenden Mitteln erfragt werden und bei der Beurteilung mitbedacht werden. „Wenn das Kind ein schmerzstillendes Medikament gegen Kopfweh erhält und deshalb nicht mehr fiebert und in gutem Allgemeinzustand ist, handelt es sich eher um keine schwere Sepsis. Aber eine beginnende Sepsis ist trotzdem nicht ausgeschlossen“, berichtet Strenger aus der Praxis. Bei der Gabe von Paracetamol ist bei Säuglingen und Kleinkindern wegen der geringen therapeutischen Breite besondere Vorsicht geboten, warnen die Experten. „Je größer die Kinder sind und vor allem im jugendlichen Alter können außer Ibuprofen auch weitere NSAR wie Naproxen eingesetzt werden“, erklärt Emminger.

Durch den Fieberanstieg kann vor allem bei Kindern unter fünf Jahren ein Fieberkrampf ausgelöst werden. Unkomplizierte Fieberkrämpfe sind kurz – unter drei Minuten – und generalisiert, nicht fokal. „Trotzdem ist es für Eltern sehr beängstigend, da der Fieberkrampf mit einem Bewusstseinsverlust und einer Zyanose einhergeht“, berichtet Emminger. Jeder Fieberanstieg bei einem Kind unter fünf Jahren kann zu einem generalisierten Fieberkrampf führen. Nach dem ersten Fieberkrampf sollten die Eltern aufgeklärt werden und eine Notfallmedikation mit Diazepam erhalten, um einen etwaigen nächsten Fieberkampf zu unterbrechen.

Komplizierte Fieberkrämpfe, die mit einer längeren Dauer einhergehen, bei älteren Kindern auftreten oder einseitig oder fokal auftreten, können Hinweis auf eine Enzephalitis sein. „Bei Kindern über sechs Jahren und bei Erwachsenen ist ein Krampfanfall auch im Fieber verdächtig und sollte abgeklärt werden“, sagt Strenger. Bewusstseinsveränderungen sollten bei Kindern auch als Warnsignal einer Meningitis gesehen werden, fügt Emminger hinzu. „Wenn sich das Bewusstsein des Kindes verändert, es rasch müde, abgeschlagen oder wesensverändert ist, oder sich das Bewusstsein trübt, ist das ein Alarmsignal für eine Meningitis mit beginnendem Gehirnödem. Dies betrifft meist den ersten Fiebertag.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2022