Dossier: Biologika

10.11.2022 | Medizin

Bei Biologika handelt es sich um biotechnologisch hergestellte Produkte wie beispielsweise Impfstoffe, Hormone, Blut und Blutprodukte sowie Entzündungshemmer. Je nachdem, wo und in welchem Ausmaß das Immunsystem supprimiert wird, kann es als Nebenwirkung zu typischen Infektionen kommen.

Biologika (biologische Arzneimittel) enthalten aktive Wirkstoffe aus einer biologischen Quelle wie zum Beispiel lebende Zellen oder Organismen und werden seit den 1980er Jahren in der Humanmedizin eingesetzt. Dabei handelt es sich beispielsweise um Blut und Blutprodukte, Impfstoffe, Zellen, Nukleinsäuren und rekombinante Proteine. Die meisten biologischen Arzneimittel, die derzeit im klinischen Einsatz sind, enthalten Wirkstoffe auf Proteinbasis. Diese unterscheiden sich in der Größe und in ihrer strukturellen Komplexität: beginnend von einfachen Proteinen wie Insulin oder dem Wachstumshormon bis hin zu Gerinnungsfaktoren oder monoklonalen Antikörpern (Abb. 1).

Biologische Arzneimittel bestehen – im Gegensatz zu konventionellen chemischen Wirkstoffen – aus großen und häufig komplexen Molekularstrukturen. Für die Untersuchung der Proteinmodifizierung und der biologischen Aktivität kommen Peptid-Mapping, Massenspektrometrie sowie Zelluntersuchungen zum Einsatz. Aufgrund ihrer Größe und Komplexität stehen Biologika nicht für eine orale Therapie zur Verfügung, sondern müssen injiziert werden.

Die Definition der US-amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) lautet: „Biologics can be composed of sugars, proteins, or nucleic acids or complex combinations of these substances, or may be living entities such as cells and tissues. Biologics are isolated from a variety of natural sources – human, animal, or microorganism – and may be produced by biotechnology methods and other cutting-edge technologies.“

Die Herstellung von Arzneimitteln aus biologischen Substanzen ist komplexer als die Herstellung von chemisch veränderten Molekülen. Da sie von lebenden Organismen erzeugt werden, kann der Wirkstoff eine geringe Variabilität innerhalb eines akzeptablen Bereichs aufweisen (Mikroheterogenität) wie etwa bei der Glykosylierung (Abb. 2 – gelbe Schattierung). Hingegen bleiben die

Aminosäuresequenz und die biologische Aktivität des Proteins in allen Chargen gleich. Die Variabilität innerhalb einer Charge oder zwischen Chargen ist gering, wenn das gleiche Herstellungsverfahren angewendet wird. Da die Herstellung stets mit natürlichen Schwankungen einhergeht, muss sie genauer überwacht werden als die Produktion von chemisch veränderten Substanzen. Weiters müssen biologische Arzneimittel und die Charge während der klinischen Anwendung und der ganzen Lieferkette verfolgt werden können. Dies beginnt bei der Freigabe durch den Hersteller, reicht über die Weitergabe durch die gesamte Vertriebskette hin zum zur Verabreichung an den Patienten.

Bestimmte Biologika imitieren im menschlichen Organismus natürlich auftretende Proteine wie etwa Insulin – eines der ersten Biologika, das seit den 1980er Jahren hergestellt wird – sowie Wachstumshormone und Wachstumsfaktoren, die die Produktion von Blutzellen steuern. Andere Biologika wiederum sind im Labor geschaffene Varianten von im menschlichen Körper vorkommenden Proteinen; allerdings weisen die Labor­Varianten eine bessere Bioverfügbarkeit, Spezifität und Wirksamkeit auf wie zum Beispiel Antikörper, die vor allem bei onkologischen Erkrankungen zum Einsatz kommen.

Biosimilars

Bei einem Biosimilar handelt es sich um ein biologisches Arzneimittel, das dem Referenz­Arzneimittel (= einem anderen Arzneimittel, das in der EU bereits zugelassen ist) sehr ähnlich ist. Im Jahr 2006 wurde in der EU das erste Biosimilar zugelassen. Ein zugelassenes Biosimilar kann dann auf den Markt gebracht werden, wenn der Vermarktungsschutz des Referenz­Arzneimittels (üblicherweise zehn Jahre) abgelaufen ist. Der Grund, wieso ein Biosimilar nicht als Generikum bezeichnet wird, liegt darin, dass die natürliche Variabilität und der komplexe Herstellungsprozess von biologischen Arzneimitteln keine exakte Nachbildung der molekularen Mikroheterogenität erlauben.

Zytokine

Zytokine sind zuckerhaltige Proteine, die die Proliferation und Differenzierung von Zellen steuern und auch bei immunologischen Reaktionen eine zentrale Rolle spielen. Man unterscheidet fünf Gruppen von Zytokinen: Interferone (IFN), Interleukine (IL), Colony Stimulating Factors (CSF), Tumornekrosefaktor (TNF) und Chemokine. Die Nummerierung der Zytokine erfolgte entsprechend ihrer Entdeckung. Die ersten waren Interleukin 1 (IL­1) und der Tumor­Nekrose­Faktor alpha (TNF). Deren Hemmung mit Biologika wurde bei der Rheumatoiden Arthritis getestet. Die Wirkung war überzeugend; in der Folge kamen vor rund 20 Jahren die ersten TNF­Hemmer Infliximab und Etanercept sowie der IL­1­Rezeptor­Antagonist Anakinra auf den Markt. Von der Entdeckung der Zytokine („bench“) bis zur therapeutischen Anwendung („bed“) waren es zehn Jahre. Weiters zeigte sich in der Grundlagenforschung zu TNF dessen zentrale Rolle bei der Bildung von Granulomen. Die Hemmung von TNF führte zwar zur Auflösung von Granulomen, allerdings auch zur Reaktivierung einer latenten Tuberkulose, da die sequestrierten Mykobakterien freigesetzt wurden.

Wirkmechanismus

Biologika greifen an Zytokinen, Oberflächenrezeptoren, Signaltransduktionsmole külen sowie an Schnittstellen von Immunzellen und verschiedenen somatischen Zellen an. Dabei kommt es – in Abhängigkeit vom Biologikum und Krankheit – zur Immunsuppression. Deren Dauer hängt von den Zielstrukturen ab und korreliert nicht mit der Behandlungsdauer und der Halbwertszeit des Biologikums. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen bei rheumatologischen Erkrankungen (rheuma toider Arthritis, Systemischer Lupus erythematodes); bei anderen Erkrankungen wiederum in Kombination mit einer immunsuppressiven Therapie.

Quelle: European Medicines Agency, 2019

Nebenwirkungen

Allen Biologika gemeinsam ist die Gefahr von Immunreaktionen (Immunogenität). An der Injektionsstelle kann es zu Reizungen kommen; im Extremfall kann die Wirkung des Biologikums vollständig unterdrückt werden. In seltenen Fällen kann eine Immunreaktion schwerwiegend und lebensbedrohlich sein. Das Infektionsspektrum, das unter einem bestimmten Biologikum

auftreten kann, hängt zumindest zu einem Teil von der Zielstruktur, aber auch von der Expositionsdauer ab. Das Spektrum der möglichen Infektionen unter Biologika ist breit und umfasst nahezu alle Erregergruppen: Bakterien, Pilze, Mykobakterien, Parasiten und Viren. Es zeigt sich folgendes Keimspektrum: Bakterien (Mykobakterien, Nokardien), Pilze (Aspergillosen, Candidiasis, Coccidioidomykosen, Pneumocystis jiroveii) und Protozoen.

Darüber hinaus können unter Biologika Infektionen mit typischen Erregern häufiger und nicht selten auch in atypischen Lokalisationen auftreten. So wurde beispielsweise in französischen Registerdaten unter Infliximab und Adalimumab ein deutlich erhöhtes Risiko für Legionellen-Pneumonien beschrieben. Weiters kann es bei einigen Substanzen zu opportunistischen Infektionen wie Pneumocystis jiroveci-Infektionen oder Histoplasmose kommen. Ein erhöhtes Risiko besteht für Influenza, invasive Pneumokokken-Erkrankungen, Herpes zoster/Varizellen, HPV sowie Tuberkulose. Weiters kann es unter einer Biologika-Therapie zur Reaktivierung von CMV (Cytomegalievirus) sowie EPV (Epstein-Barr-Virus) kommen.

Vor einer geplanten Biologika-Therapie sollte ein Tuberkulose-Test durchgeführt werden. Das Testergebnis selbst ist als Teil der Gesamtbeurteilung zu sehen, in die auch die Anamnese, die geographische Herkunft (Tbc-Risiko im Herkunftsland, sofern weniger als drei Jahre in Österreich oder rezent gereist) und die klinische Situation. Neben dem Interferon Gamma Release Assay (IGRAs) nimmt das Thorax-Röntgen einen zentralen Stellenwert ein: Dadurch kann einerseits eine aktive Tbc-Erkrankung ausgeschlossen werden; andererseits finden sich nach einer abgelaufenen Primär-Tbc Residuen im Röntgen (verkalkter Primärkomplex, verkalkte Lymphknoten oder narbige Residuen pleural und intrapulmonal).

Quelle: European Medicines Agency, 2019

Impfungen unter Biologika-Therapie

Idealerweise sollten alle Impfungen vor dem Beginn einer immunsuppressiven Therapie erfolgen: Totimpfungen spätestens zwei Wochen vor Therapiebeginn, Lebendimpfungen spätestens vier Wochen vor Therapiebeginn. Ein Großteil der Biologika wie beispielsweise TNF-alpha-Blocker (Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Rituximab u.v.a.) zählen zu den Erkrankungen/der Therapie mit einer hochgradigen Immunsuppression (Grad III von III). Bei diesen Personen mit einer hochgradigen Immunsuppression (Grad III) ist die Verabreichung von Totimpfstoffen möglich; der Impferfolg jedoch fraglich. Deswegen sollte – sofern möglich – der Impferfolg kontrolliert werden. Bei schwerer Immunsuppression sind Lebendimpfungen generell kontraindiziert. In Abhängigkeit von der immunologischen Restfunktion kann das Risiko für eine Erkrankung durch das attenuierte vermehrungsfähige Impf-Antigen bestehen. Individuelle Ausnahmen davon sind möglich; sie müssen jedoch einer strengen Nutzen-Risiko-Evaluierung unterliegen.

Quellen: Europäische Arzneimittelagentur (EMA) 2019: Biosimilars in der EU; Europäische Kommission; Food and Drug Administration (FDA); Paul-Ehrlich-Institut; Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), Gregory S. Keller: Facial Plast Surg Clin 2018: Introduction: An Overview; Prof. Peter M. Villiger: Swiss Medical Forum; Wiedermann-Schmidt et al.: Impfungen bei Immundefekten/ Immunsuppression – Expertenstatement und Empfehlung; Tuberkulose & Biologika: Consensus Statement Medical dialogue: März 2011; Biologika und nicht tuberkulöse Infektionen: Consensus Statement Medical dialogue Juli 2012; Blüml: Biologika, Zeitschrift für Rheumatologie 2020.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2022