Diabetes mellitus-Therapie: Weitreichende Veränderung

01.07.2022 | Medizin

Lebensstilmodifikation, Schulung für diejenigen, bei denen Diabetes mellitus erstmals diagnostiziert wird und die Vernetzung mit anderen Experten sind weiterhin essentiell bei der Betreuung. Bei der Therapie selbst konstatieren Experten ganz grundsätzlich eine weitreichende Veränderung.

Sophie Fessl

Bei der Diabetes-Therapie hat in den letzten Jahren eine therapeutische Revolution stattgefunden. Mit mehr als sieben Klassen an Anti-Diabetika ist der leitliniengerechte Einsatz für Nicht-Experten mittlerweile komplex“, erklärt Univ. Prof. Bernhard Ludvik von der 1. Medizinischen Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie der Klinik Landstraße in Wien.

Lebensstiländerungen sind weiterhin essentiell, um gut mit einem Diabetes zu leben, betont Ludvik. Für die nachhaltige Umstellung der Ernährung und um vermehrt Bewegung in den Alltag zu integrieren, sollten alle Patienten, bei denen ein Diabetes mellitus erstmals diagnostiziert wird, eine Schulung durchlaufen. Falls das in der allgemeinmedizinischen Praxis nicht möglich ist, rät Ludvik ebenfalls zur Vernetzung mit anderen Experten im Rahmen des Diabetes-Disease-Management-Programms (DMP). „Im Rahmen des Programms ist eine Verknüpfung etwa mit Diabetologen möglich. Wenn man den Patienten in dieses Programm eingliedert, kann man sicherstellen, dass die Betreuung optimal verläuft.“

Im Diabetes Disease-Management-Programm kommt Allgemeinmedizinern und Internisten die Rolle als erste Ansprechpartner zu. „Wenn es nicht gelingt, den Patienten in den Zielbereich zu bekommen oder bei Gestationsdiabetes und Typ 1- Diabetes, wird der Patient an die Ebene 2 weitergeleitet, wo entsprechende Therapie-Modifikationen vorgenommen werden“, berichtet Ludvik. „Anschließend wird der Patient vom Allgemeinmediziner weiter betreut.“ Als dritte Ebene im Programm agieren endokrinologische Spezialabteilungen an Spitälern. Aktuell seien in Österreich rund 100.000 von schätzungsweise 600.000 Personen, die an Diabetes mellitus leiden, im DMP registriert, ergänzt Univ. Prof. Martin Clodi von der Inneren Abteilung mit Intensiv- und Notfallmedizin, Gastroenterologie, Diabetologie und Rheumatologie am Allgemeinen öffentlichen Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz.

Optimale Einstellung notwendig

Die optimale Einstellung von Patienten mit Diabetes mellitus sei unbedingt notwendig, betonen beide Experten, denn in den letzten Jahren hätte sich zunehmend gezeigt, dass die langfristige Kontrolle der Blutzuckerwerte einen wesentlichen Einfluss auf das Outcome habe – sowohl im Sinn einer verlängerten Lebenserwartung als auch bei der Reduktion von Komplikationen wie Nierenerkrankung, Myokardinfarkt oder bei einem Insult. Im Rahmen der UKPD-Studie etwa konnte gezeigt werden, dass – wenn der HbA1c-Wert über zehn Jahre um ein Prozent tiefer liegt als in der Vergleichsgruppe – die Sterblichkeit um 36 Prozent reduziert ist. „Wenn das HbA1c gar zwei Prozent darunterliegt, ist die Sterblichkeit um 86 Prozent reduziert“, erklärt Clodi. Eine ähnliche Verbesserung wurde auch in Bezug auf Diabetes-bedingte Komplikationen gesehen.

Auch wenn die Lebensstiländerung einen hohen Stellenwert hat, bleibt die medikamentöse Therapie eine Säule der Diabetes-Therapie. „Metformin ist auch heute noch die Basis jeglicher Therapie“, erklärt Ludvik. Hier ist die einschleichende Dosierung wichtig. Weiters könne Metformin auch bei reduzierter glomerulärer Filtrationsrate –wenn auch in reduzierter Dosis – gegeben werden, so Ludvik. Ganz generell konstatiert Clodi eine „weitreichende Veränderung“ der Diabetes-Therapie. „Dies hat mit dem Einsatz von modernen Insulinen begonnen – von sehr schnell wirksamen zu sehr lang wirksamen Insulinanaloga – über die DPP-4-Hemmer, die GLP-1-Agonisten bis zuletzt zu den SGLT-2-Hemmern.“

Welche Therapie eingesetzt wird, unterscheidet sich je nach Patienten-Phänotyp. „Die amerikanische Gesundheitsbehörde fordert für jedes neue Diabetes-Medikament eine kardiovaskuläre Sicherheitsstudie“, berichtet Clodi. Daher sind Daten über die kardiovaskuläre Sicherheit, aber auch kardiovaskuläre Benefits der Antidiabetika verfügbar. So hat sich gezeigt, dass DPP-4-Hemmer kardiovaskulär sicher sind. Für GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Hemmer wurde zusätzlich zur Sicherheit nachgewiesen, dass sie über die Reduktion des Blutzuckers hinaus positive Effekte erzielen. So konnten etwa GLP-1-Analoga die Schlaganfallinzidenz reduzieren. „Bei übergewichtigen Patienten oder Patienten mit Atherosklerose sind GLP-1-Agonisten von Vorteil, da sie bei der Gewichtsreduktion unterstützen“, erklärt Ludvik. GLP-1-Rezeptor-Agonisten seien gut verträglich; aufgrund ihrer polypotenten Wirkung komme es allerdings zu Beginn der Therapie zu einigen Nebenwirkungen, berichtet Clodi. „Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass gerade am Anfang Situationen wie Übelkeit und Erbrechen auftreten können. Diese Nebenwirkungen vergehen aber mit der Zeit.“

SGLT-2-Hemmer wiederum haben einen Benefit in der Reduktion der Morbidität und Mortalität bei der Herzinsuffizienz und bei der Reduktion des Nierenfunktionsverlustes. Sie sind daher auch für einen Einsatz bei eingeschränkter Nierenfunktion für eine eGFR von 25 bis 75ml/min und bei Herzinsuffizienz zugelassen. Auch SGLT-2-Hemmer seien gut verträglich; allerdings sollten die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass sie gelegentlich zu Urogenitalinfektionen führen könnten. „Im Fall einer schwereren Erkrankung wie Entzündung oder Fieber sollte der SGLT-2-Hemmer für diese Dauer abgesetzt werden“, erklärt Clodi.

Ist eine Kontrolle des HbA1c-Werts mit einer dualen Therapie aus Metformin und SGLT-2-Hemmer beziehungsweise GLP-1- Agonisten nicht möglich, kommt eine Triple-Therapie aus Metformin, SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Agonisten zum Einsatz. DPP-4-Hemmer sind blutzuckersenkend, haben aber keine Auswirkung auf kardiovaskuläre Endpunkte und würden daher nur beschränkt eingesetzt, erklärt Ludvik. „DPP-4-Hemmer werden eingesetzt, wenn GLP-1-Rezeptor-Agonisten nicht erstattet beziehungsweise SGLT-2-Hemmer nicht vertragen werden.“

Reicht die orale Therapie nicht aus, um einen normoglykämischen oder zumindest prädiabetischen HbA1c-Wert zu erreichen, wird auf die injizierbare Therapie mit Insulinanaloga umgestellt. Hier wird zunächst mit langwirksamen Insulinanaloga gearbeitet; falls notwendig auf eine komplexere Insulintherapie mit kurzwirksamen Insulinanaloga ausgeweitet, die postprandial günstigere Blutzuckerspiegel erzielen. „Ultrakurz wirksame Insulinanaloge sind zum Teil bereits in der grünen Box.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.6.2022