Borreliose: Diagnose mit Hindernissen

10.03.2022 | Medizin

Bis zu 30 Prozent der in Österreich heimischen Zecken enthalten Lyme-Borrelien. Im Frühstadium einer Infektion ist eine Laboruntersuchung zur Diagnose nicht notwendig – und nicht sinnvoll. Da Antikörper erst durch Wochen hindurch gebildet werden, schließt ein Antikörpertest im Frühstadium der Erkrankung eine Lyme-Borreliose nicht aus.

Sophie Fessl

Nachdem ein Patient zuerst – erfolglos – wegen kardiologischer Probleme behandelt wurde, erhielt er schließlich die Diagnose Lyme-Borreliose. „Bei einer frühen Diagnose hätte der Patient mit einer Antibiotika-Behandlung geheilt werden können. So war sein Herz aufgrund der Infektion schon so stark geschädigt, dass er trotz Behandlung verstarb“, berichtet Univ. Prof. Hannes Stockinger vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien, wie herausfordernd in manchen Fällen die Diagnose der Lyme-Borreliose sein kann. Und das, obwohl eine Lyme-Borreliose im Frühstadium anhand der typischen Hautmanifestation Erythema migrans eindeutig klinisch zu diagnostizieren sei, betont Stockinger. „Wenn ein Erythema migrans vorliegt, bedeutet es klar, dass der Patient eine Lyme-Borreliose hat.“

Nicht jeder Stich einer mit Borrelien infizierten Zecke führt zum Ausbruch einer Lyme-Borreliose. „Die Wanderröte tritt mit einer zeitlichen Verzögerung von drei bis 30 Tagen nach einem Zeckenstich auf“, berichtet Univ. Prof. Stefan Winkler von der Borreliose-Ambulanz der Universitätsklinik für Innere Medizin I der Medizinischen Universität Wien. „Je nach Lokalisation ist das Erythema migrans ein rundes oder ovales sich ausbreitendes Exanthem mit scharf begrenztem Rand. Typischerweise kommt es zu einer gewissen Abblassung in der Mitte des Kreises, manchmal ist das Exanthem auch livider“, erklärt Winkler. Ab einem Durchmesser von fünf Zentimetern wird das Exan­them als Erythema migrans definiert. Wenn die Borrelien disseminieren, können in Form einer multifokalen oder multiplen Wanderröte auch mehrere Läsionen auftreten: eine Läsion rund um den Zeckenstich, weitere an anderen Körperstellen. „Die Wanderröte ist klinisch so eindeutig, dass dazu eigentlich keine Differentialdiagnose besteht.“ Ein Juckreiz an der Stelle des Zeckenstichs sei kein Hinweis für das Vorliegen einer Lyme-Borreliose.

Tritt ein Erythema migrans auf, sollte laut Stockinger jedenfalls eine antibiotische Therapie mit Doxycyclin eingeleitet werden, die zu einer raschen Abheilung der typischen Hautmanifestation führt. Eine Labordiagnostik ist bei Manifestation eines Erythema migrans nach einem Zeckenstich nicht zur Diagnose und Therapieeinleitung notwendig und auch nicht sinnvoll. „Da die Antikörper erst über Wochen gebildet werden, ist eine Blutuntersuchung zu diesem Zeitpunkt nicht hilfreich“, betont Winkler. Ein negativer Antikörpertest im Frühstadium der Erkrankung schließt daher eine Lyme-Borreliose nicht aus.

Eine Labordiagnostik kann überlegt werden, wenn ein Erythema migrans – etwa aufgrund der Lokalisation des Zeckenstichs wie beispielsweise am Rücken – über wenige Wochen übersehen wurde, erklärt Stockinger. „Nach etwa zwei Wochen sind Antikörper nachweisbar. Früher wäre eine Laboruntersuchung nicht sinnvoll.“ Auch bei einem unklaren klini­schen Bild könne ein zweistufiger Labortest eingesetzt werden: etwa wenn nach einem Zeckenstich zwar kein Erythema migrans beobachtet wurde, aber Symptome wie Müdigkeit, Fieber oder Gliederschmerzen auftreten.

Die erste Stufe der Labordiagnostik bei Verdacht auf Lyme-Borreliose ist ein Screening mittels ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent-Assay). Ist dieser erste Test positiv, so folgt in zweiter Stufe ein Western Blot zur Bestimmung der IgM- und IgG-Antikörper. Da ein relativ hoher Prozentsatz der österreichischen Bevölkerung serumpositiv ist – rund die Hälfte aller Jäger hat Antikörper gegen Borrelien ausgebildet – hat ein positiver Antikörpertest wenig Aussagekraft in Bezug darauf, ob eine aktuelle Infektion vorliegt. Da auch die IgM-Antikörper gegen Borrelien teils über Jahre persistieren, ist der IgM-Titer ebenfalls kein Anhaltspunkt. „Die Serologie ist dann hilfreich, wenn sie negativ ist, da sie dann das Vorliegen einer Borreliose ausschließt“, betont Winkler. „Bei einem positiven Antikörper-Test muss die typische Symptomatik vorliegen, um eine Borreliose zu diagnostizieren. Jedenfalls darf man sich bei der Diagnose nicht auf die Borrelien-Serologie allein verlassen.“ Stockinger fügt hinzu, dass ein rascher Anstieg der Antikörper-Spiegel wenige Wochen nach einem Zeckenstich ein Hinweis auf eine Neuinfektion mit Borrelien sein kann, aber nicht muss. Für eine Neuinfektion spricht die Serokonvertierung, das heißt das Umschlagen auf IgG bei einer empfohlenen Folgeuntersuchung, wenn bei der Erstuntersuchung nach einem Zeckenstich IgM nachgewiesen wurde.

Diagnostik bei Lyme-Komplikationen

Obwohl bei Manifestation eines Erythema migrans eine Antibiotika-Therapie jedenfalls notwendig ist, besteht keine Indikation für eine prophylaktische Antibiotikagabe nach einem Zeckenstich. „In vielen Fällen heilt eine Lyme-Borreliose auch unbehandelt wieder aus“, berichtet Stockinger. Allerdings kann eine unbehandelte Lyme-Borreliose in weiterer Folge – und zum Teil über Jahre – andere Organe schädigen. Für die Diagnose dieser Komplikationen – darunter Lyme-Arthritis, Neuroborreliose, Hautmanifestationen (Acrodermatitis chronica atrophicans) und weitere Organschäden – können verschiedene Laboruntersuchungen herangezogen werden, die in Zusammenschau mit dem klinischen Bild den Verdacht erhärten können.

Bei Verdacht auf eine Neuroborreliose, die sich unter anderem als Fazialisparese oder Enzephalomyelitis äußern kann, sollte eine Lumbalpunktion vorgenommen werden, um anschließend die lokale Antikörperproduktion gegen Borrelien im Liquor mit dem Anti­körperspiegel im Blut zu vergleichen. „Eine autochthone Produktion von Antikörpern im Liquor spricht für eine Neuroborreliose“, erläutert Winkler. Auch der Nachweis des Chemokins CXCL13 im Liquor korreliert mit den Symptomen einer Neuroborreliose und kann in der Zusammenschau mit dem Liquor/Serum-Index der Antikörper bei der Diagnose einer Neuroborreliose behilflich sein. Ein direkter Nachweis des Erregers im Liquor gelingt dagegen selten.

Der Erregernachweis mittels PCR kann hingegen bei Gelenks­entzündungen angedacht werden, die mit einem starken Gelenks­erguss einhergehen. In vielen Fällen gelingt bei einer Lyme-Arthritis der direkte Nachweis aus dem Gelenkspunktat. Allerdings tritt in Europa aufgrund des vorhandenen Erregerspektrums eine Lyme-Arthritis seltener in Folge einer Borrelien-Infektion auf als in Nordamerika. Die häufigeren Borrelien-Subtypen in Europa – Borrelia afzelii und ­Borrelia garinii – führen vor allem zu späten Hautmanifestationen beziehungsweise zur Beteiligung des Nervensystems. Der in Nordamerika am häufigsten auftretende Subtyp Borrelia burgdorferi sensu stricto hingegen führt vor allem zu einer späteren Lyme-Arthritis.

Auch bei der Acrodermatitis chronica atrophicans, die durch eine Verdünnung und livide Verfärbung der Haut gekennzeichnet ist, kann der Erregernachweis mittels PCR-Tests nach einer Biopsie der betroffenen Hautstellen gelingen. „Bei einer Lyme-Arthritis oder einer Neuroborreliose liegt typischerweise ein hoher IgG-Titer vor. Jedenfalls muss bei allen Komplikationen die Serologie positiv sein“, betont Winkler. Eine Kombination aus positiver Serologie, spezieller Diagnostik sowie klinischem Bild kann die Verdachtsdiagnose schließlich bestätigen.
Wenn Patienten, die nach einem Zeckenstich nicht mit Antibiotika behandelt wurden, länger als sechs Wochen nach dem Stich Symptome wie Fieber, Müdigkeit, Gliederschmerzen oder Unwohlsein zeigen aber weiterhin seronegativ bleiben, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Lyme-Borreliose vor. „Hier muss überlegt werden, ob nicht ein anderer durch Zecken übertragener Erreger die Symptome verursacht“, berichtet Stockinger.

Rund 25 bis 30 Prozent der in Österreich heimischen Zecken enthalten Lyme-Borrelien, weitere 17 Prozent Rickettsien, fünf Prozent Candidatus Neoehrlichia mikurensis, vier bis fünf Prozent das FSME-Virus, drei Prozent Babesien sowie zwei Prozent die Rückfallfieber-Borrelie Borrelia miyamotoi. Bei Patienten mit Symptomen nach einem Zeckenstich, bei denen keine Lyme-Borreliose festgestellt wird, sollten daher auch diese weiteren von Zecken übertragenen Erkrankungen in Betracht gezogen werden. Zu den Symptomen einer Babesien-Infektion, die zu einer Lyse der roten Blutkörperchen führt, zählen etwa Fieberschübe und teilweise anämische Manifestationen. Borrelia miyamotoi wird seit etwa einem Jahrzehnt in Europa nachgewiesen. „Vor rund vier Jahren ist der erste Patient vorstellig geworden, bei dem wir eine Infektion mit diesem Erreger diagnostiziert haben“, berichtet Stockinger. Und weiter: „Ihre Häufigkeit nimmt zu, mittlerweile konnten wir die entsprechende Diagnostik aufbauen.“ ◉

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 05 / 10.03.2022