All­er­gien und Neu­ro­der­mi­tis: The­ra­pie lau­fend anpassen

15.07.2022 | Medizin

Obwohl die Nei­gung für eine Erkran­kung aus dem ato­pi­schen For­men­kreis gene­tisch bedingt ist, ändern sich die Mani­fes­ta­tion und die häu­figs­ten Krank­heits­bil­der im Lauf des Lebens. Dem­entspre­chend muss die The­ra­pie je nach Krank­heits­ak­ti­vi­tät in einem ste­ti­gen step up, step down lau­fend ange­passt werden.

Sophie Fessl

Das Risiko, eine All­er­gie zu ent­wi­ckeln, liege in der Nor­mal­be­öl­ke­rung bei zwi­schen fünf und 15 Pro­zent“, erläu­tert Univ. Prof. Zsolt Szé­p­fa­lusi von der Atem- und All­er­gie­am­bu­lanz der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Kin­der- und Jugend­heil­kunde der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. „Haben aller­dings beide Eltern die glei­che Erkran­kung aus dem ato­pi­schen For­men­kreis, so steigt das Risiko des Kin­des auf 50 bis 60 Pro­zent.“ Aller­dings erkran­ken Kin­der von Eltern, die an Asthma lei­den, nicht unbe­dingt an Asthma. Auch andere Erkran­kun­gen aus dem ato­pi­schen For­men­kreis wie ato­pi­sche Der­ma­ti­tis, aller-gische Rhi­no­kon­junk­ti­vi­tis oder eine Nah­rungs­mit­tel­all­er­gie sind mög­lich. „Bei Klein­kin­dern steht eher die ato­pi­sche Der­ma­ti­tis im Vor­der­grund. Die inha­la­ti­ven All­er­gien und das Asthma stei­gen in ihrer Häu­fig­keit im Laufe des Lebens“, erklärt Assoz. Prof. Gun­ter Sturm vom All­er­gie­am­bu­la­to­rium Reu­mann­platz in Wien.

Die Mani­fes­ta­tion ändert sich cha­rak­te­ris­ti­scher­weise im Lauf des Lebens. „In den ers­ten Lebens­wo­chen und Lebens­mo­na­ten kön­nen bereits zwei Enti­tä­ten auf­tre­ten, die Neu­ro­der­mi­tis und die Nah­rungs­mit­tel­all­er­gie“, berich­tet Szé­p­fa­lusi. Babys mit Nah­rungs­mit­tel­all­er­gie reagie­ren meist auf bestimmte Nah­rungs­mit­tel, die sie bereits erhal­ten haben, wie Milch, Ei und Wei­zen­pro­dukte. „Diese Nah­rungs­mit­tel­all­er­gien bes­sern sich meist um das dritte bis vierte Lebens­jahr vor allem bei Sen­si­bi­li­sie­rung auf Grund­nah­rungs­mit­tel. Sen­si­bi­li­sie­run­gen auf Erd- und Baum­nüsse haben eher die Nei­gung, zu per­sis­tie­ren und über viele Jahre bestehen zu bleiben.“

Bei Babys tritt die Neu­ro­der­mi­tis meist in aty­pi­schen Loka­li­sa­tio­nen, eher streck­sei­tig, auf. Sturm wei­ter: „Die Neu­ro­der­mi­tis tritt oft an den Wan­gen, am Bauch, an den Ellen­bo­gen und den Knien auf. Typi­scher­weise ändert sich die Loka­li­sa­tion bei grö­ße­ren Kin­dern und Jugend­li­chen auf beu­ge­sei­tige Stel­len.“ Auch Kin­der, die bereits in den ers­ten Lebens­wo­chen und Mona­ten eine Neu­ro­der­mi­tis ent­wi­ckeln, erfah­ren ten­den­ti­ell eine Bes­se­rung über die Jahre – selbst bei mit­tel­schwe­rer bis schwe­rer Neu­ro­der­mi­tis. Eine Bes­se­rung der Ekzeme kann auf­tre­ten, aller­dings bleibt die Haut wei­ter­hin tro­cken und emp­find­lich. „Wenn die Neu­ro­der­mi­tis wei­ter­be­steht, so han­delt es sich lei­der meis­tens um hart­nä­cki­gere, schwere For­men, die auch schwe­rer zu behan­deln sind“, sagt Sturm. Aller­dings kann eine Neu­ro­der­mi­tis auch erst­mals im Erwach­se­nen­al­ter auf­tre­ten. Hier han­delt es sich eben­falls meis­tens um hart­nä­ckige und schwer behan­del­bare For­men, die oft die Hände betreffen.

Atem­wegs­pro­bleme im Vorschulalter

„Im Vor­schul­al­ters, wenn Neu­ro­der­mi­tis und Nah­rungs­mit­tel­all­er­gien ten­den­ti­ell eine Bes­se­rung erfah­ren, tre­ten meist erst­ma­lig Anzei­chen von Atem­wegs­pro­ble­men auf“, berich­tet Szé­p­fa­lusi. Meist trifft es Kin­der, die bereits eine mit­tel­schwere bis schwere Aus­prä­gung der Neu­ro­der­mi­tis zeig­ten. „Es kommt zu einem Tausch der Mani­fes­ta­tion: Wäh­rend Neu­ro­der­mi­tis und Nah­rungs­mit­tel­all­er­gien an Bedeu­tung ver­lie­ren, neh­men inha­la­tive All­er­gien zu und eta­blie­ren sich.“ So tre­ten am Ende des Vor­schul­al­ters meist die ers­ten Sym­ptome von all­er­gi­scher Rhi­ni­tis und Asthma auf. Im Schul­al­ters kön­nen neben einer bestehen­den All­er­gie – meist auf Baum- oder Grä­ser­pol­len – auch Kreuz­all­er­gien auf­tre­ten. „Im gro­ßen Unter­schied zu pri­mä­ren Nah­rungs­mit­tel­all­er­gien, die durch Grund­nah­rungs­mit­tel aus­ge­löst wer­den, wer­den Kreuz­all­er­gien durch Obst und Kräu­ter aus­ge­löst und mani­fes­tie­ren sich mit mil­den Beschwer­den im loka­len Mundbereich.“

Inha­la­tive All­er­gien blei­ben auch im Erwach­se­nen­al­ter bestehen. „Manch­mal wird die Hoff­nung genährt, dass sich inha­la­tive All­er­gien in der Puber­tät bes­sern. Das ist aller­dings durch Daten nicht gut zu unter­stüt­zen“, erklärt Szé­p­fa­lusi. Zwar könne sich die Erkran­kung sta­bi­li­sie­ren, was Szé­p­fa­lusi aller­dings dar­auf zurück­führt, dass die betrof­fe­nen Jugend­li­chen ler­nen, mit ihrer Erkran­kung bes­ser umzu­ge­hen. „Grund­sätz­lich ver­schwin­det die Erkran­kung aller­dings nicht.“

Wurde frü­her von einem ato­pi­schen Marsch oder einem „Eta­gen­wech­sel“ gespro­chen, bei dem es zuerst zu einer inha­la­ti­ven All­er­gie die obe­ren Atem­wege betref­fend kommt und danach zu all­er­gi­schem Asthma, wird über die­ses Modell mitt­ler­weile dis­ku­tiert. „Durch Stu­dien ist nicht klar belegt, ob durch The­ra­pie­an­sätze ein Wech­sel von Heu­schnup­fen auf Asthma ver­hin­dert wer­den kann“, sagt Szé­p­fa­lusi. Sturm unter­streicht, wie unter­schied­lich die Ver­läufe sein kön­nen. „Manch­mal kommt es sehr rasch zur Ent­wick­lung eines all­er­gi­schen Asth­mas, aber nicht immer und der Ver­lauf ist nicht vor­her­sag­bar.“ Szé­p­fa­lusi etwa führt an, dass rund ein Drit­tel bis zur Hälfte der Pati­en­ten mit all­er­gi­scher Rhi­ni­tis und obe­ren Atem­wegs­pro­ble­men auch eine Nei­gung zu oder bereits eine leichte Aus­prä­gung von all­er­gi­schem Asthma hat.

Immun­the­ra­pie bei kon­trol­lier­tem Asthma

Beide Exper­ten raten dazu, bei Sym­pto­men einer inha­la­ti­ven All­er­gie eine all­er­gi­sche Immun­the­ra­pie zu begin­nen. „Frü­her wurde bei all­er­gi­schem Asthma keine Immun­the­ra­pie mehr durch­ge­führt. Jetzt wird eine Immun­the­ra­pie auch bei kon­trol­lier­tem Asthma emp­foh­len“, berich­tet Sturm. Immun­the­ra­pien ste­hen heute nicht nur für die sub­ku­tane Ver­ab­rei­chung zur Ver­fü­gung wie für die Haupt­all­er­gene Baum- und Grä­ser­pol­len sowie Haus­staub­milbe, son­dern auch für Rag­weed­pol­len sind sub­lin­guale Immun­the­ra­pien in Tablet­ten- oder Trop­fen­form ver­füg­bar. „Die Erst-Ein­nahme der Tablet­ten erfolgt immer in der Ordi­na­tion oder im Ambu­la­to­rium. Wenn diese gut ver­tra­gen wird, kann die The­ra­pie zuhause wei­ter­ge­führt wer­den“, sagt Sturm.

Eine Immun­the­ra­pie kann bereits bei einer Erst­ma­ni­fes­ta­tion ab dem fünf­ten Lebens­jahr erfol­gen, erklärt Szé­p­fa­lusi. „Wir wis­sen, dass ein Zuwar­ten kei­nen Vor­teil hat. Wenn ein Kind mit fünf oder sechs Jah­ren ein­deu­tig eine all­er­gi­sche Rhi­ni­tis auf­weist, so gibt es extrem geringe Hoff­nung, dass diese ver­geht.“ Um insta-bile Pha­sen der Erkran­kung zu ver­hin­dern, rät Szé­p­fa­lusi dazu, bereits früh­zei­tig nach einer ein­deu­ti­gen Dia­gnose mit einer The­ra­pie zu begin­nen, die sich gut in den All­tag ein­glie­dern lässt.

So wie sich die Mani­fes­ta­tion von ato­pi­schen Erkran­kun­gen im Lauf des Lebens ver­än­dern, so muss auch die The­ra­pie ange­passt wer­den. „Bei allen All­er­gie­er­kran­kun­gen, inklu­sive dem Asthma, sollte man – wenn eine Sta­bi­li­sie­rung erreicht wurde – ver­su­chen, die The­ra­pie zu redu­zie­ren. Wir möch­ten nicht ein gan­zes Leben behan­deln, son­dern gemäß der Akti­vi­tät der Krank­heit die The­ra­pie lau­fend anpas­sen“, sagt Szé­p­fa­lusi. Es kön­nen auch Immun­the­ra­pien gegen meh­rere All­er­gene gleich­zei­tig durch­ge­führt wer­den, indem zwei unter­schied­li­che Prä­pa­rate gleich­zei­tig oder mit kur­zem zeit­li­chen Abstand appli­ziert werden.

Bei Neu­ro­der­mi­tis und der Nei­gung zu tro­cke­ner Haut sollte stets – auch im Erwach­se­nen­al­ter – die Haut gepflegt wer­den, um den Flüs­sig­keits­ver­lust aus­zu­glei­chen. Die Ent­zün­dungs­hem­mung, die bei Schü­ben not­wen­dig ist, ist eben­falls an den Bedarf ange­passt. „Pati­en­ten mit Neu­ro­der­mi­tis brau­chen nicht ihr Leben lang eine dau­ernde Kor­ti­son­be­hand­lung, son­dern oft nur über kür­zere Pha­sen je nach Ent­zün­dungs­ak­ti­vi­tät der Haut­er­kran­kung“, berich­tet Szé­p­fa­lusi aus der Pra­xis. Bei mit­tel­schwe­ren bis schwe­ren For­men kön­nen Bio­lo­gika gezielt ein­ge­setzt wer­den, diese haben eben­falls eine Zulas­sung im Kin­des­al­ter erhal­ten. „Auch diese The­ra­pie erfolgt nicht zwin­gend das ganze Leben lang. Nach einer Bes­se­rung wird eine The­ra­pie­pause ver­sucht, um zu sehen, ob sich die Krank­heit in einer Remis­si­ons­phase befin­det.“ Bei allen All­er­gien wird die The­ra­pie indi­vi­du­ell an die Beschwer­den ange­passt. „Es erfolgt ste­tig ein step up, step down, um die The­ra­pie ange­mes­sen an der Krank­heits­ak­ti­vi­tät aus­zu­rich­ten“, so Szépfalusi.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2022