Österreichischer Impftag 2023: In Vergessenheit geraten

15.12.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der Österreichische Impftag 2023 widmet sich nicht nur den aktuellen COVID-19-Impfstoffen sondern auch Krankheiten, die zuletzt nur wenig Aufmerksamkeit erhielten und wegen mangelnder Durchimpfungsraten in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren.

Sophie Niedenzu

The good, the bad & the ugly – Neues aus der Vakzinologie“ lautet der Titel des Österreichischen Impftags, der am 21. Jänner im Austria Center in Wien stattfinden wird. „Das Gute“ in diesem Motto beziehe sich laut Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien, auf die vielen verfügbaren Impfstoffe, nicht nur die in den vergangenen Jahren groß verbreiten Covid-Schutzimpfungen. „Das Schlechte“ sei, „dass die Kommunikation von uns rund ums Impfen nicht sehr gut geglückt ist“, die „hässliche“ Seite beim Thema Impfen betreffe den Aspekt, „dass wir durch Impfung schon Krankheiten ausrotten hätten können“, was aber laut Wiedermann-Schmidt durch mangelnde Impfquoten nicht geglückt ist, wie sie im Rahmen der Auftaktpressekonferenz im Vorfeld zum Impftag schilderte.

Erfolgsgeschichte HPV-Impfung
„Good“ sei vor allem die Erfolgsgeschichte der HPV-Impfung, betonte Rudolf Schmitzberger, Leiter des Referats für Impfangelegenheiten der Österreichischen Ärztekammer. Australien etwa gelte als Musterschüler in Bezug auf die HPV-Impfung: Seit 2007 werden Mädchen, und seit 2013 auch Jungen flächendeckend gegen humane Papillomaviren geimpft. Bereits jetzt liegt die Inzidenz von Gebärmutterhalskrebs bei 7 pro 100.000 Frauen, aktuellen Berechnungen zufolge könnte die Anzahl der Neuerkrankungen bis zum Jahr 2028 auf 4 pro 100.000 Frauen gesenkt werden. Auch Schweden hat in einer Langzeitstudie unter rund 1,7 Millionen Frauen im Zeitraum von 2006 bis 2017 gezeigt, dass die HPV-Impfung, wenn sie vor dem Alter von 17 Jahren erfolgt, das Tumorrisiko um knapp 90 Prozent reduzierte. 2019 hätten den Forschern zufolge 124 Länder und Territorien nationale HPV-Impfpläne umgesetzt. Auch in Afrika läuft eine flächendeckende Impfaktion unter jungen Mädchen: In Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Kinderhilfswerk Unicef unterstützt die öffentlich-private Impfallianz „Gavi“ Regierungen auf Antrag beim Kauf der Impfstoffe. Ruanda ist das erste Land in Afrika mit einem umfassenden Programm zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs, die Durchimpfungsrate liegt bei über 90 Prozent: Vor dem Hintergrund, dass sich 80 Prozent aller Männer und Frauen zumindest einmal im Jahr mit humanen Papillomaviren infizieren und ein Großteil der Krebserkrankungen von Frauen und Männern im mittleren Rachenraum und an den Geschlechtsorganen HPV-induziert ist, sei es umso erfreulicher, dass die Impfung in Österreich ab Februar 2023 bis zum 21. Lebensjahr kostenlos sein wird. Ob Gynäkologie, Urologie, Innere Medizin, Allgemeinmedizin oder Kinder- und Jugendmedizin: „Die HPV-Impfung soll bei Ihrem Arzt des Vertrauens durchgeführt werden“, sagte Schmitzberger. Die Ausweitung des kostenlosen Impfprogramms sei eine wichtige Säule für die Gesundheitsvorsorge. Auch Maria Paulke-Korinek vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz bezeichnete die Ausweitung als „Meilenstein“: „Diese Maßnahme stellt einen wichtigen Schritt in der Bekämpfung von Gebärmutterhalskrebs und weiteren HPV-assoziierten Erkrankungen dar“, sagte sie. Was den Impfplan Österreich 2023 angehe, würden zwei neue Kapitel aufgenommen werden, welche sich mit Affenpocken und COVID-19 beschäftigen.

Keine Wunderwaffe
Der Impftag befasse sich nicht nur mit den Neuigkeiten im Impfprogramm, sondern auch mit der schwierigen Kommunikation zwischen Wissenschaft, Politik und Bevölkerung rund um die Corona-Impfung seit Beginn der Pandemie, sagte Wiedermann-Schmidt. Zudem werde es einen Überblick über die vielfältigen Erscheinungsformen von Long Covid und deren Auswirkungen auf den Gesundheitsbereich geben: „Die genauen Ursachen für das komplexe Post-Covid-Syndrom sind immer noch nicht klar“, erklärte Wiedermann-Schmidt, „derzeit geht man von verschiedenen Faktoren, wie Viruspersistenz, Entzündungsreaktionen mit Autoimmunitätsentwicklung, Dysregulationen im Mikrobiom oder Reaktivierung einer Epstein-Barr-Virus-Infektion aus.“ Das mache ein spezifisches therapeutisches Vorgehen unmöglich, bislang werde nur symptomatisch vorgegangen. Die Vakzinologin betonte, dass der Impfstoff gegen Corona vor allem schwere Verläufe, Hospitalisierungen und daraus resultierende Todesfälle verhindere, auch sei die Wahrscheinlichkeit, an Long Covid zu erkranken, deutlich reduziert. Die Impfstoffe seien aber keine Wunderwaffe, man könne dennoch erkranken, besonders, weil immer wieder neue Subvarianten des Virus auftreten. „Beim Impfen gegen Corona – so wissen wir heute – steht der Selbstschutz und der Schutz vor einem schweren Verlauf im Vordergrund. Die ursprüngliche Erwartungshaltung eines Herdenschutzeffekts war falsch, denn die Impfung kann eine Infektion und damit auch Weitergabe des Erregers nicht oder nur kurzfristig verhindern “ Dennoch sei Impfen weiterhin zu empfehlen, hier besonders für Risikogruppen.

Viele Impflücken
Auch im Erwachsenenalter dürfe man Auffrischungsimpfungen und Impfungen im Allgemeinen nicht aus den Augen verlieren, appellierte Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer, an die Bevölkerung. Er betonte zudem die Relevanz der Impfungen gegen Herpes Zoster oder Pneumokokken im zunehmenden Alter. Der neue Impfstoff gegen Herpes Zoster werde im ersten Halbjahr 2023 in den Apotheken deutlich verbilligt angeboten, für den Impfstoff gegen Pneumokokken finde bis zum 31. März 2023 eine Impfaktion mit vergünstigen Preisen statt. Kobinger erinnerte zudem daran, sich gegen Influenza zu impfen. Vor dem Hintergrund der COVID-19 Pandemie sei davon auszugehen, dass es zu vermehrten Impflücken gekommen ist, weil empfohlene Impfungen nicht wahrgenommen wurden. Es sei daher von größter Wichtigkeit, auf die Impflücken in der Bevölkerung hinzuweisen und deren Schließung voranzutreiben, sagte Paulke-Korinek: „Aus medizinisch-fachlicher Sicht ist anzumerken, dass die Durchimpfungsraten gegen impfpräventable Erkrankungen in Österreich derzeit nach wie vor deutlich unter den für einen Gemeinschaftsschutz notwendigen Werten liegen.“ Auch Schmitzberger attestierte einen extremen Nachholbedarf. So habe die Analyse der Masern-Durchimpfungsraten für 2021 gezeigt, dass nur mehr 74 Prozent der Zweijährigen mit zwei Dosen gegen Masern geschützt sind. Um den Gemeinschaftsschutz zu erreichen, ist eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent notwendig. Auch bei der Kombinationsimpfung Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Polio-Haemophilus influenzae B-Hepatitis B gebe es Impflücken. Rezente Fälle in London und New York hätten gezeigt, dass der Import von Polioviren bei unzureichender Durchimpfungsraten rasch zu einem Infektionsgeschehen führt. Und auch bei FSME, der „Lieblingsimpfung“ der Österreicher gebe es Nachholbedarf. Daher sei es umso wichtiger, den Impfpass vom Vertrauensarzt prüfen zu lassen: „Nur der Arzt des Vertrauens kennt die Krankengeschichte und kann beurteilen, welche Impfungen individuell sinnvoll und notwendig sind.“ Dass das persönliche Gespräch mit dem Arzt des Vertrauens auch zielführender sei als groß angelegte Impfkampagnen, habe zuletzt eine Studie bestätigt. Es wurde untersucht, inwiefern wissenschaftsbezogener Populismus Einfluss auf die Impfentscheidung hat. Die Studie hat gezeigt, dass die Rolle der Medien entscheidend ist: Während sich Populismus kaum auf medial wenig diskutierte Impfungen wie gegen Grippe oder HPV auswirkt, sei der mediale Einfluss bei den vieldiskutierten COVID-19- oder Masern-Impfungen hingegen hoch. Die Studienleiterinnen ziehen aus den Ergebnissen den Schluss, dass Informationskampagnen zu Impfungen mit großem Bedacht geplant werden müssen und im Zweifel das persönliche Gespräch mit Experten, wie den Ärzten, erfolgreicher sei als Impfinserate oder -plakate.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2022