Neue ÖÄK-Spitze: Geeint handeln

16.08.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Seit knapp zwei Monaten ist das neue ÖÄK-Präsidium im Amt. Bei einer Pressekonferenz in Wien skizzierten Präsident Johannes Steinhart sowie die Bundeskurienobmänner der angestellten bzw. niedergelassenen Ärzte, Harald Mayer und Edgar Wutscher, wie es gelingen kann, eine drohende „Gesundheitsarmut“ zu vermeiden.

Thorsten Medwedeff

Steinhart, der auf eine jahrelange Expertise im Gesundheitssystem und Erfahrung in der Kammerpolitik verweisen kann – unter anderem war er zehn Jahre lang Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und ist seit Mai 2022 auch Präsident der Wiener Landesärztekammer – betonte, dass ein wichtiger Fokus seiner Amtszeit darauf liege, in der Ärzteschaft Gemeinsames über Trennendes zu stellen: „Die zuletzt aufgetretenen Risse in der Ärzteschaft müssen geschlossen werden, wir Ärztinnen und Ärzte müssen angesichts der Weggabelungen und der nötigen Entscheidungen, wohin es mit der österreichischen Gesundheits-versorgung geht, stark und geeint auftreten. Nur der Zusammenhalt macht uns zu einem verlässlichen Faktor.“

Als größte Herausforderungen für die nächsten Jahre sieht der ÖÄK­Präsident die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Spitalsärztinnen und ­ärzten, die Attraktivierung des niedergelassenen Kassenbereichs, die Sicherstellung einer wohnortnahen niederschwelligen Gesundheitsversorgung vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden und älter werdenden Bevölkerung und eine deutliche Entlastung der Ärzteschaft von bürokratischen Aufgaben.

Die Gesundheitsversorgung dürfe nicht länger als „Spargebiet“ des Staates betrachtet werden. „Man kann von einem System nicht Leistungen auf Champions League Niveau erwarten, wenn man es wie eine Bezirksliga führt“, so Steinhart. Gleichzeitig übte er Kritik an der mit viel Aufwand neu geschaffenen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) – diese müsse endlich beginnen, österreichweit zu denken: „Von unserer Seite liegt seit fast zwei Jahren ein fertiger, einheitlicher Leistungskatalog bereit. Dieser muss unverzüglich umgesetzt werden.“ Es dürfe nicht angehen, dass die Straßenseite oder das Bundesland, wo jemand wohnt, über die Qualität der persönlichen medizinischen Versorgung entscheide.

„Die Situation in der österreichischen Gesundheitsversorgung ist dramatisch und hat sich über Jahre aufgebaut, der Ärztemagel ist praktisch da, jetzt muss massiv in das Gesundheitssystem investiert werden – sonst droht neben der Energiearmut bald auch eine bedrohliche Gesundheitsarmut“, unterstrich Steinhart.

Ausbildung als wichtiger Faktor

Diese Einschätzung teilte Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte: „Mir schwant nichts Gutes. Wir wissen seit 20 Jahren, dass die Pensionierungen der Baby Boomer Generation jetzt anstehen und es wurden, anstatt nachzubessern und zu investieren, Mangelfächer geschaffen. Die, die jetzt in Pension gehen, werden uns nicht nur als aktive Ärztinnen und Ärzte fehlen, sondern auch als Lehrer der nächsten Generation.“ Ausbildung sei generell einer der wichtigsten Faktoren im Kampf gegen den drohenden Ärztemangel: „Die Ausbildung ist unseren Jungärztinnen und ­ärzten enorm wichtig. Sie darf nicht als lästige Nebenbeschäftigung betrachtet werden, die Ausbildung ist eine der wichtigsten Investitionen in die Zukunft unseres Gesundheitssystems!“

Aktuell würden die Spitäler aber nicht einmal genügend Ärztinnen und Ärzte für den Spitalsbereich ausbilden, geschweige denn für den niedergelassenen Bereich: „Was die Politik derzeit macht, zeugt nicht von besonderem Weitblick und Tatendrang.“ Insbesondere die Tatsache, dass sich die Bundesländer die Kompetenz, sich um die Bewilligung und Qualität der Ausbildungsstellen selbst zu kümmern, vor kurzem „gekrallt“ hätten, sei wenig ermutigend. Diese Kompetenz hatte bisher die ÖÄK inne – und mit hoher medizinischer Expertise ausgeübt. Mayer: „Es ist nicht zu erwarten, dass diese hohe Qualität bei einer Zersplitterung auf neun unterschiedliche Systeme mit neun Ausbildungskriterien gehalten werden kann, im Gegenteil.“ Genau das werde noch mehr Ärztinnen und Ärzte vertreiben. „Erst recht, wenn sie sehen, dass sie in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern keine Top­Ausbildung erhalten, und dass bereits genehmigte Ausbildungsstellen von den Krankenhausträgern mangels fehlender Dienstposten erst gar nicht besetzt werden, wie es derzeit der Fall ist.“ Mayer ergänzt: „Schon jetzt gehen fast 40 Prozent der Absolventen des Medizinstudiums in Österreich ins Ausland – das ist bei Ausbildungskosten von rund 500.000 Euro pro Studienplatz eine erschreckend hohe Quote, die jeder Wirtschaftlichkeit widerspricht.“

Strategien liegen vor

Strategien liegen vor, diesen Trend zu stoppen, gebe es sehr wohl und wurden von der ÖÄK bereits mehrfach skizziert, inklusive der Bereitschaft, deren Umsetzung aktiv zu unterstützen, diese sind: Verbesserung der generellen Arbeitsbedingungen in den Spitälern durch die Besetzung offener Dienststellen; leistungsgerechte Entlohnung, die auch international standhält; Steuerung von Patientenströmen für die Entlastung der Ambulanzen durch Ausbau des niedergelassenen Bereichs; hundertprozentige Einhaltung des KA­AZG ohne versteckte Überstunden und zeitgemäße Karriere­ und Aufstiegsmöglichkeiten sowie Teilzeitmodelle, für eine bessere Work­Life­Balance. Mayer: „Die jungen Kolleginnen und Kollegen wollen 40 Stunden arbeiten und nicht 55. Außerdem hat jeder Patient das Recht, von einer ausgeruhten Ärztin oder einem ausgeruhten Arzt behandelt zu werden.“

Weg von der Fünf-Minuten-Medizin

Man müsse aber auch an der generellen Wertschätzung des Arzt­berufes arbeiten, der Umgang mit der Ärzteschaft – insbesondere in den vergangenen zweieinhalb Jahren der Pandemie – sei nicht besonders motivierend für die Jungen, um Ärztin oder Arzt werden zu wollen, sagte Edgar Wutscher, Obmann der Bundeskurie für niedergelassene Ärzte. „Immer wieder wirft etwa der Obmann der ÖGK ein schlechtes Bild auf die Ärzte, vor allem die Wahl­ärzte.“ Es sei jedoch nicht so, dass jeder Arzt „auf einem goldenen Kalb“ sitze und nichts für sein Geld tun müsse, betonte Wutscher. Besonders während der Pandemie mussten Ärzte besonders viel leisten, hätten jedoch nicht die nötige Wertschätzung erhalten.

Außerdem forderte Wutscher dringend nötige Investitionen – etwa in die Gesprächsmedizin und deren Honorierung: „Es muss jene Zeit ermöglicht und honoriert werden, die die Ärztin oder der Arzt für das Gespräch und das Zuhören und Beraten braucht – etwa bei den immer häufiger werdenden psychosomatischen Erkrankungen und Beschwerden. Aber diese Zeit muss auch vergütet werden. Ein zeitgemäßes Entlohnungssystem würde die ‚Fünf­Minuten­Medizin‘ verhindern und bedeutet optimale medizinische Versorgung.“

Es müsse der niedergelassenen Ärzteschaft möglich gemacht werden, die Patientinnen und Patienten so zu behandeln, wie es dem Selbstverständnis als Ärztin oder Arzt entspreche. „Wir ste­hen jetzt an einem ganz entscheidenden Punkt in der heimischen Gesundheitspolitik. Der niedergelassene Bereich kommt immer stärker unter Druck. Auf der einen Seite gibt es bürokratische Hürden, Deckelungen und drohende Einsparungen, auf der anderen Seite werden die Lücken in der kassenärztlichen Versorgung immer größer. Anstatt hier die logische Verbindung zustande zu bringen, dass eines das andere bedingt, haben wir in den vergangenen Monaten einen ganzen Köcher an katastrophalen Vorschlägen präsentiert bekommen – von Zwangsverpflichtungen bis hin zur Abschaffung des Wahlarztbereiches“, fasste Wutscher zusammen. Dies unterstrich ÖÄK­Präsident Steinhart.

Das Bekenntnis zum freien Arztberuf in Österreich müsse unumstößlich bleiben: „Das ist ein hohes Gut und hat gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Leider ist unsere Freiberuflichkeit bedroht: durch Kommerzialisierung, Konzernisierung, Bürokratisierung und staatliche Gängelung. Unsere ärztliche Diagnose­ und Behandlungsfreiheit darf durch nichts eingeschränkt werden. Es darf nicht dazu kommen, dass wir Ärztinnen und Ärzte dazu gezwungen werden, gegen besseres Wissen und Gewissen zu handeln.“

Auch diesem Selbstverständnis entsprechend arbeite man derzeit und aktuell an einer Intensivierung des Impfprogramms und der Aufklärung zu den Corona­Impfungen, um für eine etwaige Welle, die von den Experten für den bevorstehenden Herbst erwartet wird, gerüstet zu sein.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1516 / 15.08.2022