Interview Michael Lang: „Es wird nicht zukunftsorientiert gedacht“

10.05.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Standespolitik ist Gesundheitspolitik, denn nur eine zufriedene Ärzteschaft in einem funktionierenden, wertschätzenden Arbeitsumfeld kann eine patientengerechte, hochqualitative Gesundheitsversorgung garantieren: Nach diesem Motto hat sich Michael Lang viele Jahre lang als Ärztekammerpräsident im Burgenland und Mitglied des Präsidiums der Österreichischen Ärztekammer für die Ärzteschaft eingesetzt. Im Interview mit Sophie Niedenzu spricht er über wichtige Meilensteine, halbherzige Lippenbekenntnisse und Zukunftskonzepte.

In Ihrer Zeit als langjähriger Präsident der Ärztekammer Burgenland und Mitglied des ÖÄK-Präsidiums: welche Errungenschaften bleiben Ihnen besonders in Erinnerung?
Einer der größten Erfolge war die Entwicklung der Spitalsärzte von einer Gruppe von Arbeitnehmern, mit denen der Arbeitgeber umspringen wollte, wie es ihm gutdünkte, zu einer selbstbewussten Ärzteschaft, die einen wesentlichen standespolitischen und gesundheitspolitischen Faktor darstellt. Ein weiterer Meilenstein waren die Proteste und Kundgebungen im Jahr 2008 in Wien, wo wir als geeinte Ärzteschaft, niedergelassene und Spitalsärzte, gegen grundlegende Änderungen und geplante Verschlechterungen im Gesundheitssystem aufgetreten sind. Das war ein klares Signal. Leider habe ich den Eindruck, dass diese Geeintheit und dieser Schulterschluss wieder drohen abhanden zu kommen, sowohl zwischen den Kurien als auch zwischen Landesärztekammern und der ÖÄK.

Was konnte für die Ärzteschaft verbessert werden?
Im Spitalsärztebereich war das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz ein Meilenstein, wo klargestellt wurde, dass auch Ärzte ein Recht haben auf geregelte Arbeitszeiten. Ich komme noch aus der Zeit, wo Wochenenddienste Usus waren, welche Samstag in der Früh begannen und Montag nachmittags endeten. Ein wesentlicher Erfolg war außerdem die Schaffung der Notarztausbildung neu und des Zertifikates für  Notfallmedizin, wo ich als Referatsleiter eng eingebunden war. Damit wurde die Qualität der Notarztausbildung auf ein deutlich höheres Niveau gehoben und mit dem Zertifikat all jenen, die nicht aktiv als Notarzt  tätig sein wollen, die Möglichkeit eröffnet, notfallmedizinische Inhalte zu erwerben.
Auch die Ausbildungssituation hat sich – trotz der noch bestehenden Mängel – deutlich verbessert. Umso schlimmer ist es, dass jetzt die Politik hier aus Machtgelüsten die Ausbildungskompetenzen wieder der ÖÄK weggenommen hat. Es zeigt sich wiederum, dass Politiker ohne Vergangenheitsbewusstsein und Entwicklungserfahrungen aus rein persönlichen Gründen Rückschritte in längst vergangene Zeiten und Systeme  durchboxen. Die Errungenschaft eines österreichweit gleichen Systems, das Qualität garantiert hat, wird hier verlassen und unterschiedliche Systeme im Bereich Anerkennung von Ausbildungsstellen forciert.
Im niedergelassenen Bereich ist im Hinblick auf die ÖGK ein gesamtösterreichischer Leistungskatalog längst überfällig. Hier versagt die ÖGK – wie in vielen anderen Bereichen – jämmerlich! Die ÖÄK hat einen  solchen erarbeitet und längst präsentiert. Aber die Reaktion ist kläglich, hier bewegt sich nichts.

Was sagen Sie aus Sicht eines Spitalsarztes zum Pandemiemanagement?
Da ich mit 31.12.2020 in Pension gegangen bin, habe ich nur einen Teil der Pandemie als Spitalsarzt erlebt. Ganz allgemein ist aber festzuhalten, dass die Pandemie zu einer deutlichen Vernachlässigung der „normalen“ Krankheiten geführt hat. Insgesamt dürfen wir hier den Versorgungsauftrag im niedergelassenen und im stationären Bereich nicht aus den Augen lassen, die Akutversorgung in Epidemiezeiten darf die Basis- und Langzeitversorgung nicht behindern. Wenn man postuliert, dass wir uns an ein Leben mit COVID – oder anderen neu auftretenden Erregern – werden gewöhnen müssen, dann muss man dies auch in die gesundheitspolitische Planung einfließen lassen. Die Lehre sollte sein, dass wir an allen Krankenanstalten Isoliereinheiten und Strukturen, die Patientenströme entflechten, benötigen.
Das hätte bereits unter dem Blickwinkel, dass Risiken durch „Krankenhauskeime“ längst bekannt sind, eine Voraussetzung für eine verantwortungsbewusste Patientenbetreuung sein müssen. Den Eindruck,
dass hier zukunftsorientiert gedacht wird, habe ich ganz und gar nicht. Die Planung müsste längst beginnen.

Was müsste geschehen, um Spitäler auf Dauer zu entlasten?
Hier bedarf es eines Drei-Säulenprinzips: Grundlegend sollte man dahin kommen, dass in Krankenanstalten auch nur krankenhauspflichtige Patienten behandelt werden. In Österreich kann jeder Patient dorthin gehen, wohin er will, und es fehlt an jeglicher Lenkung von Patientenströmen. Hier versagt die Politik vollkommen. Es fehlt anscheinend der Mut, der Bevölkerung Strukturen vorzugeben, die einzuhalten sind und auch entsprechende Regel-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu schaffen. Das wäre aber auch im Interesse der Patienten, weil damit jeder dort behandelt würde, wohin er gehört.
Ein weiterer Punkt ist die Versorgung im extramuralen Bereich, inklusive Bereitschaftsdiensten. Die ÖGK kommt hier ihrem grundlegenden Versorgungsauftrag nicht nach, da sie nicht bereit ist, entsprechende  Bedingungen zu schaffen, finanziell und strukturell, ganz zu schweigen von einer entsprechenden Wertschätzung der niedergelassenen Ärzteschaft. Vorgelagerte Ordinationen können eine weitere Entlastung  bringen, bedürfen aber eines entsprechend engagierten Managements und nicht nur halbherziger Lippenbekenntnisse.

Das Regierungsprogramm sieht eine Stärkung der wohn ortnahen Versorgung vor – wie ist die aktuelle Situation?
Seit jeher ist die wohnortnahe Versorgung im Burgenland ein Hauptthema und wurde noch bestärkt durch die langgestreckte Nord-Süd-Ausdehnung. Damit verbunden waren auch immer Intentionen, die fünf  Krankenanstalten mit einem profunden Leistung- und Versorgungsspektrum aufrechtzuerhalten. Leider kommt es derzeit zu einer Entwicklung, die zu deutlichen Einschränkungen des Leistungsspektrums an den kleinen Häusern führt oder führen soll. Wenn ich zum Beispiel mit akuten Bauchschmerzen und einer eventuellen akuten Appendizitis nicht mehr mein Heimatkrankenhaus aufsuchen und dort operiert werden kann, dann entspricht dies nicht mehr einer wohnortnahen Versorgung. Die Bundeskurie angestellte Ärzte hat bereits 2014 mit einem Zukunftskonzept für Spitalsärzte, an dem ich maßgeblich beteiligt war, Wege  aufgezeigt, wie man ein funktionierendes Versorgungssystem mit großen und kleinen Spitälern schaffen und aufrechterhalten kann. Dieses Konzept würde es auch im Burgenland ermöglichen, die derzeitige  wohnortnahe Versorgungsqualität aufrechtzuerhalten.

Das Land Burgenland fördert Turnusärzte, die bereit sind, nach der Ausbildung als Ärzte für Allgemeinmedizin im Burgenland als Kassenvertragsarzt tätig zu sein. Wie beurteilen Sie diese Initiativen?
Jedes Mittel ist recht, um Ärzte in das Burgenland zu bringen. Allerdings sind es auch die Arbeitsbedingungen, die Ausbildungsqualität und letztendlich auch die laufende Entlohnungssituation, die eine Rolle spie- len, ob ein Arzt in ein Bundesland geht. Daran ist laufend zu arbeiten. Dass das Burgenland mit seinem Lohnschema noch immer unterhalb der angrenzenden Bundesländer, insbesondere der Steiermark, liegt, ist  hier dringend zu ändern.

Welche Initiativen wären österreichweit sinnvoll, um dem Kassenärztemangel entgegenzuwirken?
Das Anspruchsverhalten der Ärzteschaft hat sich über die Jahre hinweg deutlich verändert. Schlagworte sind hier: Lebensqualität, Work-Life-Balance, aber auch Arbeit im Team, Kooperationen im  niedergelassenen Bereich. Eines der vorrangigsten Ziele wäre es, die Wertschätzung von Seiten der ÖGK zu verbessern. Kommunikation auf Augenhöhe, Schaffung eines bürokratiearmen Arbeitsumfeldes und  eines zeitgemäßen Honorar- und Leistungssystems sind dringend notwendig. Möglichkeiten unkomplizierter Zusammenarbeitsformen und nicht aufgeblähte Gesellschaftskonstrukte sind zwingende Notwendigkeit. Die Entwicklung von „sanften“ Einstiegsmöglichkeiten in die niedergelassene Tätigkeit wäre ebenfalls eine Möglichkeit, Berührungsängste abzubauen. Ich denke da an das Beispiel der „Thüringer  Stiftungsordination“, wie sie im Rahmen der „Stiftung für Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Thüringen“ angeboten wird.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 09 / 10.05.2022