Interview Burkhard Walla: „Kein Prellbock“

25.05.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Der neue Präsident der Ärztekammer Vorarlberg, Burkhard Walla, spricht im Interview  mit Sophie Niedenzu über Frustration in der Ärzteschaft, den Einfluss von Ökonomen und Bürokraten und warum die Zuwendungsmedizin honoriert werden sollte.

Welche Themen wollen Sie prioritär behandeln? Wir haben in der letzten Kammerperiode intern einen intensiven Visionsprozess durchlaufen, der unsere Basis für die zukünftige Arbeit ist. Schwerpunktmäßig sehe ich unverändert die Notwendigkeit, für optimale Rahmenbedingungen zu sorgen. Die jungen Generationen haben andere Vorstellungen und Ansprüche. Im Spitalsbereich sind das unverändert die Themen Ausbildung, Arbeitszeit und Dienstbelastung, in der Niederlassung geht es vor allem darum, wie man die jungen Kollegen motivieren kann, sich in eine vertragliche Bindung mit den Krankenkassen einzulassen. Wahlärzte sind eine Bereicherung in der Versorgung, der Kassenrückersatz muss im Sinne der Patienten verteidigt werden. Wir müssen außerdem neue Möglichkeiten der Kommunikation mit unseren Mitgliedern suchen und im Rahmen der aktuellen Informationsflut die Inhalte entsprechend aufbereiten. Ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt bleibt das, was wir in unserem Visionsprozess als „innere Versöhnung“ bezeichnet haben: Die Kammer soll eine Plattform bieten für den Austausch zwischen den verschiedenen Ärztegruppen. Nur wenn wir es schaffen, gegenseitiges Verständnis für die Situation der anderen, beispielsweise zwischen Fachärzten und Allge-meinmedizinern zu schaffen, können wir kraftvoll nach außen unsere Interessen vertreten.

Sie sind Kassenvertragsarzt für Innere Medizin, wie sehen Sie die aktuelle Situation für Kassenvertragsärzte? Der Kassenvertrag bietet in Summe eine gute wirtschaftliche Absicherung und mit der direkten Verrechnungsmöglichkeit der Leistungen relevante organisatorische Vorteile. Ich bekenne mich klar zu einer solidarisch finanzierten und organisierten medizinischen Versorgung, die jedem, unabhängig von seinem sozialen Status, eine optimale Versorgung garantiert. Die Arbeit in der Niederlassung ermöglicht eine sehr auf die persönlichen Bedürfnisse angepasste Organisation. Ich würde unverändert und aus tiefer Überzeugung zur Übernahme eines Kassenvertrags raten, sofern ein solcher zu bekommen ist. Das kann aber nicht den Reformbedarf im Kassenwesen ersetzen. Wenn die Kasse glaubt, mit den Verträgen Kontrolle über einen freien Beruf haben zu müssen und zunehmend mehr Hürden und Belastungen vertraglich fixieren will, wird es nicht gelingen, junge Menschen dafür zu begeistern. Zudem sind die hohen Patientenfrequenzen in der Kassenpraxis ein Thema, das gelöst werden muss. Der Qualitätsanspruch muss auch in den Kassenpraxen vorrangig gesehen werden. Dazu gehört auch die Zeit, die der Arzt für Patienten aufwenden kann. Zuwendungsmedizin muss besser honoriert werden.

Was sollte getan werden, um einem Kassenärztemangel entgegenzuwirken? Ganz wesentlich ist, den jungen Kollegen die Möglichkeiten und Vorteile von Kassenverträgen zu vermitteln und ihnen ein reales Bild von der Situation der Kassenärzte zu zeigen. Es muss sichergestellt sein, dass es klare Aufträge für die Ärzte im Kassenbereich gibt. Abgrenzungsmöglichkeiten und die Vereinbarkeit mit Familie und Freizeit müssen gesichert und unterstützt werden. Insbesondere braucht es Karenzmodelle im Kassenbereich und leicht organisierbare Vertretungsmöglichkeiten. Die Flexibilität im Vertragswesen muss noch deutlich gesteigert werden. Vertragsteilungen, Anstellungsmodelle und einfache Kooperationsmodelle müssen ausgebaut werden. Der Aufbau und die Organisation der Praxen müssen unterstützt werden.

Gibt es Projekte zur Patientenversorgung in Vorarlberg, die österreichweit denkbar wären? Wir haben in Vorarlberg mit allen Systempartnern im Bereich Pädiatrie ein sehr erfolgreiches Modell gemeinsam mit dem Arbeitskreis für Vorsorge und Sozialmedizin (AKS) etabliert. So ist es gelungen, die pädiatrische Versorgung in zwei Ballungsräumen zu sichern. Der AKS hat sich dabei als Motor und Organisator bewährt: Neben der Immobilienentwicklung, dem Ausbau und der Anfangsinvestition in diesen Praxen stellt er den Ärzten auch nach Bedarf Praxispersonal und organisatorische Unterstützung für Buchhaltung, Abrechnung und Einkauf zur Verfügung. Die Leistungen kaufen sich die Ärzte frei nach ihrem Bedürfnis zu. Sie stehen aber in direktem Vertrag mit den Krankenversicherungen. In diesen Praxen ist jeweils eine gemeinsam durch Land, Kassen und Vertragsinhaber finanzierte Lehrpraxisstelle gesichert, auf die die Kollegen aus ihrer Krankenhausanstellung im Rahmen ihrer Ausbildung rotieren. Das Modell ist sicher ausbaubar und kann als Modell für andere gesehen werden. Ein sehr gutes Projekt, das wir gemeinsam mit der damaligen VGKK ausgearbeitet haben, ist das Dringlichkeitsterminsystem. Damit kann zu einem guten Teil garantiert werden, dass Allgemeinmediziner dringende Termine bei Fachärzten buchen können. Die Fachärzte bieten diese Termine außerhalb ihrer offiziellen Ordinationszeiten an und bekommen dafür einen finanziellen Bonus, ebenso können die Allgemeinmediziner ihren Mehraufwand für die Terminvereinbarung für ihre Patienten verrechnen. Damit kommt es zu einer relevanten Stärkung der Akutversorgung im niedergelassenen Bereich.

Wie konnte bislang die Arbeitssituation bei Ärzten verbessert werden? Ein Meilenstein war die Gehaltsreform für angestellte Ärzte. Damit konnten wir eine noch bis jetzt spürbare Antwort auf den Ärztemangel in den Krankenhäusern geben. Ebenso sind es die Verbesserungen im Ausbildungsbereich, die durch Qualitätsbefragungen bei den jungen Kollegen thematisiert und dann auch umgesetzt werden konnten. Im Kassenbereich sehe ich als Meilenstein die zunehmende Flexibilisierung im Vertragsbereich. Modelle wie Job Sharing, erweitertes Job Sharing und die vertragliche Möglichkeit einer Anstellung Arzt bei Arzt sind definitiv wichtig für unsere Arbeitssituation. Leider sind diese Meilensteine nur kurz wirksam. Es bedarf ständiger Verbesserung. Ausruhen auf dem Erreichten gibt es nicht.

Welche Anreize müssten geschaffen werden, damit junge Ärzte nach ihrer Ausbildung in Österreich bleiben? Die Ärzte brauchen Arbeitsbedingungen, die mit den Vorstellungen von gutem Leben vereinbar sind. Dazu gehört neben den Arbeitsbedingungen, die finanziell mit der benachbarten Schweiz konkurrieren können, vor allem auch Anerkennung und Wertschätzung. Ich erlebe viel Frustration bei den Kollegen, weil sie in die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes und ihrer Berufsbedingungen nicht entsprechend einbezogen werden, weil Ökonomen und Bürokraten am Schreibtisch die Krankenhauswelt gestalten. Häufig besteht der Eindruck, dass die Wertschätzung für die anstrengende Arbeit, die immer wieder an persönliche Grenzen führt, fehlt. Ähnlich sehe ich die Situation im Bereich der niedergelassenen Ärzte und hier vor allem bei Allgemeinmedizinern. Ärzte müssen sich als wirksam und wichtig im System erfahren können. Wenn der Eindruck entsteht, dass man zum Prellbock für die Unzulänglichkeiten im System wird, wird es nicht gelingen, genügend Motivation zu schaffen.

Welche Lehren sollte man aus der Pandemie ziehen? Im Bereich Medizin und Gesundheit ist vieles nicht planbar. Eine zentralistische Planung und Steuerung in der Medizin haben nur einen sehr begrenzten Nutzen. Wer die wissenschaftliche Entwicklung in der Medizin verfolgt weiß, dass sich der medizinische Fortschritt nicht an die wirtschaftliche Entwicklung hält oder an einer geplanten Versorgungsstruktur orientiert. Das rasche Anpassen von Strategien auf die stetig veränderte Situation durch alle Player im Gesundheitssystem haben sich als das wesentlichste Qualitätsmerkmal in der Pandemie entpuppt. Die Spaltung in der Gesellschaft ist zu einem guten Teil passiert, weil Sachentscheidungen politisiert wurden. Man hätte sich viel an Emotionen sparen können, wenn nicht der Eindruck entstanden wäre, dass Entscheidungen nicht nur, oder in erster Linie aufgrund der medizinischen Sachlage getroffen wurden, sondern dass manche notwendigen Entscheidungen, stark durch den Einfluss von Lobbys, politisch motiviert getroffen wurden. Die Pandemie hat vor Augen geführt, wie wichtig eine gute Abstimmung zwischen Bund und Ländern ist und dass es hier unbestrittene Autoritäten braucht, die ein Gegeneinander verhindern können.

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2022