BKAÄ: Primararzt-Referat – Interview Rudolf Knapp: Zukunftsmusik

10.11.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Wie soll der Primararzt der Zukunft aussehen? Welche neuen Herausforderungen kommen auf den Primus inter Pares im Spital zu? Der Tiroler Radiologe Rudolf Knapp, Leiter des Primarärzte-Referats der Österreichischen Ärztekammer, hat dies mit Top-Experten in einer Arbeitsgruppe analysiert und spricht im Interview mit Thorsten Medwedeff über die wichtigsten Ergebnisse.

Die Rolle des Primararztes muss völlig neu gedacht werden – was sind die zentralen Ergebnisse der ÖÄK-Analyse? Als Primarius muss man in erster Linie das Ärzteteam der eigenen Abteilung führen und Raum für die Mitarbeiter schaffen, um ihnen individuelle Entfaltungsmöglichkeiten für die berufliche Tätigkeit als Arzt zu ermöglichen. Gleichzeitig gilt es, eine klare medizinische Linie im eigenen Sonderfach vorzugeben. Zielvorstellung ist eine medizinisch-ethische Grundstruktur, die als Basis einer funktionierenden Abteilung dient. Nur in einer derartig guten Abteilungskultur kann sich Medizin optimal entfalten und den Patienten dienen. Die Verantwortung für die Patienten hört auch nicht an der Grenze der eigenen Abteilung auf. Der Dschungel aus stationär-ambulant und tagesklinisch sowie der Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit verkompliziert, verzeihen Sie mir bitte das Unwort, ‚Patientenkarrieren‘ oft erheblich. Der Primarius ist gefordert, den Patienten in den Vordergrund medizinischen Behandelns zu bringen und das ohnehin oft tragische Patientenschicksal nicht noch weiter zu verschärfen. Patienten sollten möglichst ohne viel Aufwand zu einer klaren Diagnose und einem terminlich akzeptablen, individuell abgestimmten Therapieplan kommen. Neben dem Führen der eigenen Abteilung hat auch die intensive Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Krankenanstalt höchsten Stellenwert. Systemgrenzen zwischen Medizin und Administration müssen von Primarärzten durch sachliches, medizinisch korrektes, aber auch ökonomisches Handeln überwunden werden. Im Zusammenspiel mit der Administration hat stets das medizinisch richtige Argument zu gelten.

Primarius nennt man auch den ersten Geiger in einem Streichquartett – wie sieht denn die tatsächliche Rolle im Spital aus? Der Vergleich ist sehr treffend. Ich würde ihn bis hin zum Dirigenten eines Symphonieorchesters erweitern. Nur wenn die Musik meisterhaft – und zwar von allen – gespielt wird, wird es dem Publikum gefallen und der Konzertsaal gut besucht sein. Kurzum: Seine Mitarbeiter zu motivieren und damit deren Performance für die Patienten zu steigern, ist von großem Vorteil. Dabei ist stets der Schutz der Mitarbeiter im Auge zu behalten. Auch das ist eine Aufgabe der Abteilungsleitung. Unser Beruf als Arzt ist ja leider sehr anfällig für Selbstausbeutung.

Welche Strategien gibt es, um das zu verhindern? In Zukunft sollten Primarii auch mehr auf die Karrieremodelle für ihre ärztlichen Mitarbeiter bedacht sein. Angestellter Arzt zu sein, vom Beginn der Ausbildung bis zur Pensionierung, muss ein erstrebenswertes Ziel sein. So ist wissenschaftliche Aktivität, auch außeruniversitär und in Kooperation mit einer medizinischen Fakultät, eine Bereicherung der täglichen Arbeit. Aber auch das medizinische Profil der Kollegen muss der Berufserfahrung und dem Alter des angestellten Arztes angepasst werden. Denken wir nur an die direkte Weitergabe von Berufserfahrung an junge Kollegen im Rahmen von Tutorien. Last but not least sind intramurale Karrieremodelle auch dementsprechend finanziell zu unterfüttern, um mit dem extramuralen Sektor mithalten zu können und auch monetär attraktiv zu sein.

Auch die Art und Weise, wie die Primarärzte bestellt werden, wurde hinterfragt – mit welchem Ergebnis? Zumindest im außeruniversitären Bereich werden Primariate oft exklusiv von der Administration der Krankenhausleitung bestellt. Wir finden es nicht mehr zeitgemäß und sogar unklug, die ärztlichen Kollegen der jeweiligen Abteilung bei Bestellungsverfahren außen vor zu halten. Diese sollten daher klar definiert und unbedingt mit Anhörung des medizinischen Teams der beworbenen Abteilung ablaufen. Während der Probezeit des Bewerbers sollte dessen Performance mehrfach von der Krankenanstaltsleitung, aber auch von den ärztlichen Mitarbeitern, beurteilt werden. Grundlegende Dinge wie die Verteilung von Sonderklassehonoraren, die strategische Auslegung der Abteilung oder die medizinische Ausrichtung für die Zukunft, um nur einige zu nennen, sollten im Vorfeld geklärt sein. Ein solches ‚Bestellungsverfahren neu‘ wäre idealerweise von der zuständigen Landesärztekammer zu begleiten. Ziel eines solchen ‚standespolitisch zertifizierten Bestellungs-verfahrens‘ ist eine friktionsarme Übergabe einer Abteilung an den neuen Leiter zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Hier sehe ich die Österreichische Ärztekammer durchaus gefordert.

Und welche medizinischen Kompetenzen sind für die Bestellung wünschenswert? Das hängt in erster Linie von der Abteilung ab. Je mehr Basisversorgung, desto mehr sollte der zukünftige Chef ein Generalist in seinem Sonderfach sein. Je spezieller das Aufgabengebiet ist, desto mehr Gewicht ist auf die Expertise im jeweiligen Teil des Fachs zu legen, ohne auf eine ganzheitliche Kompetenz im jeweiligen Sonderfach zu vergessen. Außerdem sollte der Primar in der Lage sein, sein Wissen und seine Kompetenz weiterzugeben.

Daneben sind ja auch Führungskompetenzen notwendig, welche Herausforderungen gibt es hier für den Primararzt der Zukunft? Primariate sind ihrer Struktur nach hierarchisch aufgebaut. Hierarchien sind wie jedes menschliche Zusammenleben immer auch von Macht durchzogen. Es lohnt sich also, sich mit dem Machtbegriff auseinanderzusetzen. Macht zerfällt im einfachsten Fall in Herrschaftsmacht und Überzeugungsmacht. Die Proponenten ersterer gelten gemeinhin als autoritär und wenig kritikfähig. Die Macht zu überzeugen spielt hier die wichtigere und auch zeitgemäßere Rolle. Ich halte es mit Jürgen Habermas, der in seiner Diskursethik das Wort vom ‚zwanglosen Zwang des besseren Arguments‘ geprägt hat. Auf der persönlichen Ebene gilt es, auf Wünsche und Ängste der Mitarbeiter einzugehen. Wir sollten uns unserer, dem ärztlichen Stand entspringenden, Kollegialität besinnen und aufeinander zugehen. Letztlich umspannt der Begriff der Kollegialität alle Ärzte – vom KPJ-Studenten bis hin zum Professor emeritus.

Kleiner Themenwechsel: Primarärzte werden bekanntlich oft als „Personalreserve“ herangezogen, wenn es „eng“ wird – ist das sinnvoll? Sie sprechen das enger gewordene Korsett des KA-AZG an. Der Primararzt als Personalreserve ist der Gipfel einer miserablen Personalplanung, wenn Abteilungen organisatorisch und in Ihrer Personalplanung von langer Hand an die Wand gefahren wurden. Um solche Krisensituationen zu beenden, hilft nur der Schulterschluss von Ärzten und Administration. Dabei kann auch unkonventionelles Denken helfen – etwa alternative Arbeitszeiten oder fach- und arbeitsspezifische Entlohnungsmodelle. Beispielhaft wird ein 24-Stundendienst, in dem durchgearbeitet wird, in Dienstform und Entlohnung zukünftig noch höher zu werten sein. Auch wird der drohende Ärztemangel in manchen Sonderfächern nur über verbesserte Arbeitsbedingungen, dazu gehört auch eine deutlich bessere Bezahlung, in den Griff zu kriegen sein. Nur wenn die aufgezeigten Probleme rasch und nachhaltig gelöst werden, können junge Kollegen Vertrauen fassen und den Glauben an eine intramurale Karriere behalten. Wenn das nicht gelingt, ist es eine Frage der Zeit, bis sich fehlende Sensibilität für Personal und Patienten in der Führung von Krankenanstalten negativ auf unser Gesundheitssystem auswirken werden.

Wie sieht Ihr Ausblick auf die Zukunft aus? Ist der Primararzt künftig mehr Gesundheitsmanager als Arzt? Primarärzte gehören zu den zentralen Leistungsträgern in unserem Gesundheitssystem. Sie sind in erster Linie der Garant dafür, dass unserer Patienten nach neuestem Wissenstand bestens betreut werden. Um dieses Ziel zu erreichen und zu festigen, braucht es ein physiologisches Miteinander mit allen in einer Krankenanstalt tätigen Mitarbeitern. Dieses Miteinander muss der Primarius bestmöglich managen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2022